Ein paar Minuten später, nachdem wieder eine der Culverinen explodiert war, folgte der ganz große Knall – eine Art Urknall. Zuerst zuckte ein langer Blitz aus dem Depot des Inselforts, dem eine schwarze, brüllende Rauchwolke nachstieß. Dann zerriß es den Pulverturm. Die Insel bebte und wackelte. Eine Culverine löste sich aus der Wand und stürzte ins Meer. Ein Feuerball raste mit alles vernichtender Gewalt in den Himmel. Grellweiß wie tausend aufgehende Sonnen erschien ein kugelförmiges Licht. Die Druckwelle bließ das Fort weg. Überall fegten Gesteinsbrocken durch die Luft. Alles zerbarst in dieser gewaltigen Wolke aus Feuer, Rauch, Staub und Steinen....
Beim Aufentern bot sich den Seewölfen ein Bild des Grauens und des Schreckens. Das Schiff ächzte und knackte in allen Verbänden. Irgendwo gurgelte das Wasser in einen Raum. Planken hatten sich gelöst, die kalfaterten Fugen waren aufgeplatzt wie überreife Tomaten. Auf der Kuhl lag ein toter Mann. Sein Gesicht war etwas bläulich angelaufen. Aber noch schlimmer wirkte der Mann am Ruder. Er war mit Tauen festgebunden und hing zusammengebrochen mit herabhängenden Armen über dem Ruder. Sein Mund war wie zu einem letzten Schrei geöffnet. Bei jeder Bewegung des knarrenden und ächzenden Wracks pendelte der Leblose hin und her. Es sah aus, als wolle er sich wieder aufrichten…
One-Eye-Doolin hieß er in einschlägigen Kreisen, und das fehlende Auge ersetzte er durch doppelte Tücke, Gerissenheit und Brutalität. Seine Kerle standen ihm in nichts nach. Ihr Schiff war auf den Namen «Scorpion» getauft, und das besagte auch eine ganze Menge. One-Eye-Doolin hatte sich in den Kopf gesetzt, sein Glück in der Karibik zu suchen – und dabei mal so eben den legendären Seewolf auszunehmen, von dem in den Kneipen Comwalls die wildesten Gerüchte umliefen. Als er ihm dann jedoch gegenüberstand, war's nichts mit dem Ausnehmen, das Gegenteil war der Fall, und One-Eye-Doolin konnte noch froh sein, wie ein geprügelter Hund davonschleichen zu dürfen…
Sie saßen mit der «Isabella» fest, das war mal sicher, gefangen im Packeis, wie sie meinten. Aber als der Schneesturm vorbei war und sie sich durch die Schneemassen an Deck wühlten, stockte Ihnen nicht der Atem, weil um sie herum eine Eiswüste war, sondern weil sich über der «Isabella» ein gigantischer Dom wölbte. Und dieser Dom bildete einen riesigen Überhang, der jeden Augenblick mit Tausenden von Tonnen Eis herabstürzen konnte. Wie eine festgefrorene Riesenwelle sah er aus, die beim Überschlagen erstarrt war. Aus den Gesichtern der Seewölfe wich alle Farbe. Fassungslos starrten sie zu diesem himmelhohen Ungetüm aus blankem Eis hoch, das seine Titanenpranken nach dem Schiff auszustrecken schien. Wenn sich dieser Gigantenblock löste, würde er die «Isabella» kurz und klein schlagen…
Der Profos entzündete die Lunten der Flaschenbombe, während er an den Totempfählen vorbeihastete. Dünne Pulverspuren schlängelten sich über den Waldboden. In Gedanken zählte Carberry bis drei, dann schleuderte er die mit Pulver, gehacktem Blei und Nägeln gefüllte Flasche einfach hinter sich. «Ar-we-nack!» brüllte er und warf sich rechter Hand in die Büsche. Batuti tat es ihm auf der anderen Seite gleich. Die Höllenflasche detonierte, bevor die Rothäute heran waren. Lediglich die vordersten wurden von Schrot getroffen und von den Beinen gefegt. Ihre Verwundungen waren aber nicht so schlimm, daß sie nicht ein frenetisches Geheul hätten anstimmen können. Ringsum zischte und krachte es plötzlich. Keine zehn Yards hinter den Indianern zuckten grelle Entladungen zwischen den Bäumen auf…
Vier soldaten führten einen Todeskandidaten an den Pfahl, der für ihn bestimmt war. Dort nahmen sie ihm den Knebel aus dem Mund. Doch er tat ihnen nicht den Gefallen, zu schreien oder auch nur um Gnade zu winseln. Einer legte ihm die Schlinge um den Hals. Vier Mann packten ihn an den Beinen und hoben ihn mit unerbittlicher Gewalt hoch. Jener, der auf der Leiter am Pfahl stand, zog das Seil straff und verknotete es um den Querzapfen am Pfahl. Auf sein Komando hin ließen die vier anderen den Delinquenten los. Er starb einen qualvollen Tod angesichts der anderen Strafgefangenen, darunter die Seewölfe, die mit ansehen mußten, wie der brutale Lagerkommandant mit Menschen umsprang, die versucht hatten zu fliehen…
Länger als eine Stunde blieb der Medizinmann in dem Seetempel auf Bali und befragte die Götter, ob ein Unglück die Insel heimsuchen würde. Als er zu der schweigenden Menge zurückkehrte, kündete der Ausdruck seiner Augen von Unheil. Sein Gesicht war düster. Er blickte zum Gipfel des Gunung Agung auf und sprach mit leiser, kaum hörbarer Stimme: «Ein Unglück wird geschehen. Das Meer wird sieden und brodeln, und es wird fremde Seefahrer zur Insel schleudern. Nehmt euch in acht vor ihnen, es wird schon bald passieren.» Aber es waren nicht die Seewölfe, die den Balinesen das Unglück brachten…
Die Insel im südlichen Sargassomeer hatte sich als Falle entpuppt. Ihre schmale Passage in die liebliche Bucht hatte die «Isabella VIII» zwar durchsegeln können, aber da hatte der Sturmschwell die Galeone über die Barriere getragen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Insel schien unbewohnt, aber dann entdeckten die Seewölfe Feuerstellen am Strand. Lebten hier Kannibalen? Plötzlich war der eiserne Carberry spurlos verschwunden, und damit begann eine Serie mysteriöser Geschehnisse…
Ganz schwach in dem nächtlichen Nebel wurde eine Jolle sichtbar. Dan O'Flynn hatte sie entdeckt. Die vier Schatten darin waren kaum wahrzunehmen. Mehr als daß sie etwas sahen, spürten die Arwenacks, daß die Jolle an der Bordwand anlegte und drei Kerle lautlos aufenterten, während der vierte an Bord blieb. Sie waren noch nicht richtig über dem Schanzkleid, als die Arwenacks blitzschnell in Aktion traten. Hasard riß den ersten Kerl mit einem wilden Ruck zu sich heran und versetzte ihm einen Fausthieb unter das Kinn. Den zweiten räumte der Profos mit einem Volltreffer ab, und den dritten nahm Big Old Shane eisenhart in Empfang. Hasard riß seinen Kerl wieder hoch – und erstarrte…
Im Grunde war Dom Ruiz de Retortilla, der Stadtkommandant von Havanna, ein feiger Mann, der seinen Mangel an Mut hinter herrischem Gehabe und forschem Auftreten verbarg. Aber den deutschen Kaufherrn Arne von Manteuffel konnte er damit nicht beeindrucken, als er verlangte, dessen Handelshaus nach einem Frauenmörder durchsuchen zu müssen. Der reagierte nämlich mit einer Duell-Forderung wegen Beleidigung, und da stand der Stadtkommandant ziemlich dumm da, vor allem, weil er jetzt seine Gardisten nicht vorschicken konnte, die heraushalten würden, weil sie ein Ehrenhändel nichts anging. Dem sehr ehrenwerten Don Ruiz wurde der Kragen eng, denn das war klar: Ein Duell mit Blankwaffen gegen den kraftvollen Deutschen würde er nicht überstehen…