Capitan Roca, der Militärbefehlshaber von Havanna auf Cuba, kannte nur noch ein Ziel: die totale und endgültige Vernichtung der Seewölfe. Er war ein harter und zäher Mann, ein Kämpfer, der eins niemals tun würde: die Flagge zu streichen. Aber dann mußte er doch kapitulieren – nicht vor dem Feind, sondern vor dem Höllenriff der Schlangen-Insel…
Sie war der Gottheit des Flusses geopfert worden, die kleine, hübsche Chinesin mit dem klingenden Namen «Flüssiges Licht im beginnenden Sommer». Aber sie lebte, weil der Gott sie verschmäht hatte. Sie trieb auf einem Bambusfloß, das der Fluß ins Meer geschwemmt hatte. So wurde sie von den Seewölfen gefunden und an Bord der «Isabella» genommen. Was für ein Juwel sie war, begriff Philip Hasard Killigrew erst, als sie zu sprechen begann, denn sie sprach die portugiesische Sprache – und das konnte für die Seewölfe lebensrettend sein in dem fremden, unheimlichen Land des Großen Chan…
An Deck war alles ruhig, nichts knackte und knisterte mehr. Der Mond schien bleich auf die Wüste nieder, der Sandsturm hatte sich verabschiedet, und es war fast unwahrscheinlich, daß er noch vor ein paar Minuten mit unvorstellbarer Heftigkeit getobt hatte. Der Fockmast stand wie ein riesiger, schwarzer Leichenfinger an Deck. Er trug keine einzige Rah mehr. Der halb nach vorn gestürzte Großmast hatte ihm die Spieren abgeschlagen, alle mit einem einzigen, gewaltigen Hieb. Ein Teil der Back war völlig zertrümmert, das Schanzkleid zerschlagen. Einzelne Teile hatte der Sturm über eine weite Fläche gewirbelt, bis weit in die Wüste hinein. Das war nicht mehr ihr Schiff, das war nur noch Kleinholz…
Auf der Pier von Falmouth prallten die Fronten aufeinander. Auf der einen Seite die Männer der «Empress of Sea» des Kapitäns O'Flynn und auf der anderen Seite die Strolche von den drei Karavellen Sir John Killigrews. Die Kerls Sir Johns waren in der Mehrzahl, aber das nutzte ihnen nichts. Sie konnten zwar eingeschüchterte und verschreckte spanische Handelsfahrer angreifen, die sich noch dazu ergeben hatten, aber gegen die entfesselten Berserker von der «Empress of Sea» hatten sie nichts zu bestellen. Das zeichnete sich ab, als der völlig überdrehte Burghauptmann ihren Karitän von hinten mit dem Degen töten wollte. Brian Wolfe, der Decksälteste der «Empress»-Crew verhinderte das. Und anschließend verlosch der Burghauptmann wie eine Kerze. Harte Seemannsfäuste war er nicht gewohnt. Aber das war erst der Anfang…
Auf ein Handzeichen des Seewolfs hin senkten sich die brennenden Lunten auf die Zündkanäle. Grelles Feuer stach aus den Rohren von drei der insgesamt sechs Kanonen auf der Backbordseite. Pulverdampf wölkte auf, und brüllender Donner verwnadelte die Bucht in einen tobenden Hexenkessel. Zwei der schweren Kugeln krachten voll in die Backbordseite der Karavelle und hinterliesen dicht über der Wasserlinie riesige schwarze Löcher. Die dritte Kugel – ein Weitschuß, für den Al Conroy das Rohr der Culverine höher ausgerichtet hatte – hieb in unmittelbarer Nähe des Klostergebäudes in die Erde und ließ eine prächtige Dreckfontäne aufspritzen. Das war die Kriegserklärung der Seewölfe. Die Wirkung blieb nicht aus. Zahlreiche Kerle in schwarzen Mönchskutten stürzten brüllend aus dem Kloster. Aber sie schwenkten keine Gebetsbücher…
Sie waren von der Teufelsinsel geflohen, hatten die tobende See durchschwommen und den Strand von Guayana erreicht. Aber jetzt lag vor ihnen der Dschungel, undurchdringlich, geheimnisvoll, feindlich. Von drüben, von der Teufelsinsel, näherten sich die Verfolger. Die Männer um den Seewolf hatten nichts weiter als eine Axt und ein paar Messer – und ihren Mut. Und sie zeigten, daß sie nicht nur auf See zu kämpfen verstanden…
Smead zog den Verurteilten mit dem Tau hoch. Der Mann mit dem roten Kopftuch half ihm dabei. Alle sahen zu, wie der arme Teufel mit den Beinen strampelte und nach Luft rang. Dann erstarben die Bewegungen des Mannes. Schlaff hing er am Tau. So war die Großrah der «Kyrie eleison» zum Galgen geworden. Orman Smead war der Henker. Hündisch ergeben blickte er zu Webster auf, dem Großmeister dieser puritanischen Sekte, der ihm gnädig zunickte. Die Gemeinde murmelte Beifall. Das Gemurmel wurde zu einem heiseren Rufen, dann zu einer Art Jaulen. Dan O´Flynn und Batuti, als heimliche Beobachter dieser grausigen Szene, hatten genug gesehen und zogen sich in die Dünen zurück…
Sie fanden das sagenhafte El Dorado, und es war wie ein Traum, ein goldener Traum. Aber sie wußten nicht, daß ihnen jemand gefolgt war – Spanier, verrückt in ihrer Gier nach Gold, und eine Horde von Krokodilmännern, die den Spaniern untertan waren. Und darum mußten die Seewölfe kämpfen, um das Geheimnis von El Dorado zu wahren und den Inkas Frieden zu bringen…
Mardengo explodierte wie ein Pulverfaß, in das ein Funke gefallen war. Seine rechte Faust schwang hoch und krachte mit der Wucht eines Schmiedehammers unter Quibos Kinn. Der Kreole wurde angehoben und segelte in gestrecktem Flug über die Querbalustrade. Auf der Kuhl stoben die Kerle auseinander wie aufgescheuchte Hühner. Einer wurde dennoch von Quibo umgerissen und stürzte mit ihm zusammen auf die Planken. Mardengo war noch nicht fertig. In den letzten Stunden hatte sich zuviel in ihm aufgestaut. Er mußte seinen Kerlen auch nachhaltig einbleuen, wer hier der Häuptling war. So setzte er mit einer Flanke über die Querbalustrade und fiel über seine Kerle her…
Der Alte nahm den Schlüssel, den er um den Hals trug, beugte sich vor und öffnete das geschmiedete große Schloß seiner Seemannskiste. Die Seewölfe standen mit neugierigen Augen um ihn herum. Seekisten hatten seit je etwas Geheimnisvolles an sich. Immerhin hatte das Ding ein beträchtliches Gewicht, fast so, als befänden sich Goldbarren darin. Als der Deckel zurückschlug und der Inhalt sichtbar wurde, gab es betroffene Gesichter an Deck der «Isabella». Der Alte blinzelte ungläubig, zuckte zurück, beugte sich wieder vor und warf einen zweiten Blick hinein. Dann schüttelte er fassungslos den Kopf…