Die Vorboten der Hölle tobten fauchend und brüllen heran. Zuerst war nur klagendes Jaulen zu hören, dann pfiff und orgelte es. Aus den grauschwarzen Wolken zuckten Blitze. Das Schwefelgelb wurde intensiver. Gleichzeitig verbreitete es ein trübes, fahles Licht, eine unwirklich erscheinende Dämmerung, in der die Gesichter der Arwenacks eigentümlich leuchteten. Strecktaue wurden gespannt, damit bei den heftigen Schlingerbewegungen niemand über Bord ging. Carberry, Ferris Tucker und Big Old Shane prüften, ob alles gut verzurrt war. Die ersten Brecher donnerten mit Macht über das Vorschiff. Rasmus stieg mit fauchender Gewalt ein und sang sein höllische Lied. Der nächste Brecher raste bis zum Achterdeck…
Martin Correa, Zweiter Steuermann auf dem spanischen Expeditionsschiff «San Nicolas», war empört über den Schinder-Kapitän, der ihn eiskalt einem ungewissen Schicksal überließ, indem er befahl, ihn auf der Insel San Salvador – von den Indianern «Guanahani» genannt – auszusetzen, angeblich, um das Eiland zu vermessen! Aber auf den geheimen Befehl des Kapitäns hin sollte er dort nach Gold graben. Martin Correa schwieg und gehorchte – angesichts der Tatsache, daß er anderenfalls in der nächsten halben Stunde an der Rah baumeln würde. Don Rafael, der Kapitän, hatte die absolute Macht an Bord der Galeone, unterstützt von den Seesoldaten, die er als seine Leibgarde betrachtete…
Dicht vor dem Eingang zur Bucht lag die «Isabella IX.», in der Dunkelheit nur als Schatten zu erkennen. Um so deutlicher waren die grellen Mündungsblitze, die nahezu unaufhörlich aus ihren Rohren zuckten. Al Conroy und seine Geschützbedienungen hatten sich mittlerweile hervorragend eingeschossen. Die 17-Pfünder und die 25-Pfünder wurden abwechselnd abgefeuert, ihre Salven glichen einem Trommelfeuer. Kugeln orgelten auf die hinter den Felszungen liegenden Galeeren nieder, auch die weiter buchteinwärts vertäuten Fahrzeuge der Russen empfingen die ersten Treffer. Aus dem Großmars der «Isabella IX.» stiegen feurige Spuren auf – die Pfeile Big Old Shanes, die wie an der Kette gezogen durch die Nacht huschten und sich als feuriger Reigen auf die russischen Stellungen senkten…
Der Mann reagierte wie ein wildes Tier. Er zuckte zusammen und warf sich im Bruchteil einer Sekunde herum. Seine Hand mit der Pistole schwenkte mit, aber bevor der Lauf auf Carberry zeigen konnte, zischte dessen Säbel durch die Luft und traf den Handrücken des Mannes. Die Pistole flog im hohem Bogen in die Büsche. Die nachtschwarzen Augen des Mannes waren starr auf den narbigen Riesen gerichtet, der wie aus dem Boden gewachsen vor ihm aufgetaucht war. Dann senkte sich sein Blick. Er sah die Verletzung auf seinem Handrücken, und mit einem leisen Schrei der Wut zerrte er mit der anderen Hand ein Messer hervor…
Jean Ribault und sein Kommandotrupp hatten sich an den Bauplatz auf dem Plateau über der Bucht herangeschlichen und mußten erstaunt feststellen, mit welcher Arbeitswut die frömmelnden Kerle des erhabenen Großmeisters ihre Burg Zion errichteten, die für mögliche Gegner unangreifbar werden sollte. Die Ringmauer mit den Schießscharten stand bereits. Jetzt waren mehr als zwanzig Männer damit beschäftigt, nach den Anweisungen ihres Großmeisters zwei Kanonen über den Strand und an Seilen hinauf zum Plateau zu ziehen – eine mühselige Plackerei. Aber die Jünger des Erhabenen murrten nicht, und sie nahmen es auch hin, daß ihr Großmeister bei der Schinderei keinen Finger rührte. Daß sie als willenlose Werkzeuge benutzt wurden, merkten sie nicht…
Vor Erschöpfung hatten die Mannen der «Santa Barbara» abwechselnd, jeder ein, zwei Stunden geschlafen. Wie die Teufel hatten sie gegen die Brände gekämpft, die an Bord infolge des Vulkanausbruchs entstanden waren. Jetzt waren sie wieder wach – verdreckt, verrußt, immer noch abgeschlafft und mit kleinen Brandwunden übersät. Die blauen Flecken zählten sie erst gar nicht mit, die sie sich geholt hatten, als die Galeone verrückt spielte. Der Tag begann mit einer Entdeckung, die niederschmetternd war, als sich Hasard auf dem Achterdeck umschaute. Überall sah er Brandlöcher im Holz, aber das war es nicht, was ihn so entsetzte. Ungläubig starrte er auf das Kompaßhäuschen. Das war nur noch ein Trümmerhaufen – der Kompaß war zerschmettert…
Im dichten Regen liefen der Kutscher sowie Hasard und Philip junior auf den Kai zu. Sie gelangten nicht weit. Wie aus dem Nichts tauchten schattenhafte Gestalten vor ihnen auf. Der Kutscher wurde von einer eisenharten Faust vor den Brustkasten getroffen und zurückgeschleudert, Hasard junior wurde an den Oberarmen gepackt und zur Seite gerissen. Nur Philip schaffte es, den zustoßenden Fäusten auszuweichen. Er konnte noch zur Seite springen, aber einer trat ihm die Beine unter dem Körper weg. Aus war es mit dem Gedanken, den Kerlen noch entwischen zu können, um die Arwenacks zu alarmieren. Sie fielen auch über ihn her und waren alles andere als zimperlich. Einer schlug zu, und Philip folgte seinem Bruder und dem Kutscher in jenen schwarzen Abgrund, aus dem es meist nur ein schmerzhaftes Erwachen gibt…
Die spanische Galeone war achtern aus der Nebelwand so unvermittelt und plötzlich aufgetaucht, als hätte sie hinter einem Vorhang gesteckt und nur darauf gelauert, im richtigen Moment über die «Isabella» und die «San Donato» herzufallen. Bestenfalls war sie noch sechs Kabellängen entfernt. Durch das Spektiv sah Hasard, daß es sich um ein schnelles Kriegschiff und einen ausgezeichneten Am-Wind-Läufer handelte. Die Armierung war beachtlich. Die Galeone verfügte über insgesamt dreißig Culverinen sowie über sechs Drechbrassen, jeweils drei auf der Back und auf dem Achterdeck. Im Kielwasser der «Isabella» segelnd, holte sie mächtig auf, und über die Absichten der Spanier brauchte sich Hasard keinen Illusionen hinzugeben. Die waren erpicht darauf, die «Isabella» und die «San Donato» zu den Fischen zu schicken…
Die Breitseite der «Isabella» krachte voll ins Ziel und zerhämmerte die Steuerbordseite der spanischen Kriegsgaleone. Es sah aus, als breche die Galeone auf dieser Seite in sich zusammen oder knicke ein. Gleichzeitig verfingen sich Großmast und Fockmast, die aufeinander zugekippt waren. Sekunden später raste etwa mittschiffs eine Feuersäule in den Himmel. Eine Druckwelle fegte zur «Isabella» hinüber, daß den Arwenacks die Ohren flatterten. Wiederum Sekunden später flog die Kriegsgaleone in einer grellen, ohrenbetäubenden Explosion auseinander, und die Arwenacks zogen die Köpfe ein, als es Trümmer regnete. Bill wurde erwischt, ein Splitter fetzte über seine linke Hüfte und schlitzte sie auf. Er sackte aufstöhnend in sich zusammen…
Am Spill in der Bodensenke an Land stellten die sechs Kerle jetzt ihre Arbeit ein. Mit der Unterwasserkette hatten sie den riesigen spitzen Eisendorn unter der Wasseroberfläche aufgerichtet, und er würde wie immer das Schiff aufschlitzen, das dem Fahrwasser folgte. In diesem Fall war es die Schebecke der Seewölfe, die vor achterlichem Wind unaufhaltsam auf das tückische Ding zusegelte. Doch die Arwenacks wußten, um was es ging, und handelten nun nach Hasards Plan, denn Carberry gab seiner Gruppe, mit der er sich an die Kerle angeschlichen hatte, das Handzeichen und sprang als erster auf. Die Mannen folgten ihm. In breiter, halbkreisförmiger Front stürmten sie und brüllten dabei ihren donnernden Kampfruf. Und schon peitschten ihre Musketen…