Selbst der beste Plan. Séamus Ó Grianna

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Название Selbst der beste Plan
Автор произведения Séamus Ó Grianna
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866483996



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wen. Auf dem Weg zu ihr begegnete mir Sorcha Roe, und sie erzählte mir, dass Nelly Hughdie am Vortag eine Tochter bekommen hatte. Das war zum Sommerjahrmarkt. Unsere Annie war damals fünf Wochen alt. Und damit sind die beiden jetzt genau einundzwanzig.«

      »Mutter«, sagte der Junge, »hättest du uns nicht einfach erzählen können, dass sie fünf Wochen jünger ist als unsere Annie und damit einundzwanzig, und uns die ganze Geschichte über Máire Wuiris und die Kratzer und den Pullover ersparen?«

      »Rede nicht so mit deiner Mutter«, sagte der Vater. »Und wenn du nicht aufhörst, bekommst du es mit mir zu tun. Deine Mutter kann die Geschichte genau so erzählen, wie sie will.«

      »Lass ihn in Ruhe, Shamey«, sagte die Mutter. »Lass ihn in Ruhe. Es kommt der Tag, da wird er dafür bezahlen. Solche wie ihn kennen wir doch schon, noch und nöcher. Wenn es so weit ist, wird er eine Frau bekommen, die ihn zum Fußabtreter macht, und er wird nicht wagen, sie zu korrigieren. So bestraft nämlich das Leben. Also überlass ihn seinem Schicksal.«

       II

      Einige Wochen darauf wurde in Gartan ein sogenanntes Feis abgehalten, und der junge Manus MacAward beschloss, sich für den Wettstreit im Geschichtenerzählen zu bewerben. Er wurde abermals zum Liebling seiner Mutter. Sie vergaß alles, was er über ihre ausschweifende Erzählweise gesagt hatte. Sie betete für seinen Erfolg und erteilte ihm das, was sie für gute Ratschläge hielt.

      »Du solltest zu Neddy More hinübergehen und dir von ihm erzählen lassen, wie Oisín von der Dame mit den goldenen Haaren ins Land der Ewigen Jugend gelockt wurde. Wenn du diese Geschichte lernst, bekommst du den Preis bestimmt. Sie war wie Musik in meinen Ohren.«

      »Du kannst einige Male zu Neddy More hinübergehen, weil deine Mutter es dir geraten hat«, sagte Shamey MacAward am nächsten Tag, als er und sein Sohn im Moor Torf schichteten. »Aber achte nicht weiter auf ihn. Er taugt nichts. Ich habe ihn einige Male gehört. Er leiert nur Wortfolgen herunter, die er auswendig gelernt hat. Aber von einer Geschichte hat er keine Ahnung. Das wirst du selbst merken, wenn du ihm fünf Minuten zuhörst, wie er über etwas redet, das mit der Geschichte nichts zu tun hat. Erzähl deine Geschichte auf deine Weise. Wenn die Preisrichter irgendeine Ahnung haben, wirst du fast sicher gewinnen.«

      »Aber Vater, wenn die Preisrichter nun finden, dass Neddy Mores Wortfolgen die beste Art von Geschichte sind?«

      »Das könnte passieren, mein Sohn, die Gefahr ist sogar groß, dass es passieren wird. Die Kunst des Geschichtenerzählens ist tot oder fast tot. Die Preisrichter sind vermutlich zwei oder drei unwissende Schullehrer. Ein Gastwirt aus Kilmacrenan könnte auch dabei sein. Er wird den Preis unbedingt in seiner eigenen Gegend halten wollen. Er wird Angst haben, Kundschaft zu verlieren, wenn er einen Außenseiter die Lorbeeren davontragen lässt.«

      »Aber wenn das so ist, wozu dann überhaupt ein Wettbewerb?«

      »Deshalb, mein Sohn: Es ist besser, zu verlieren, als einer Bande von Gaunern nachzugeben, die Irisch hassen und die nur mitmachen, weil sie hoffen, etwas dabei herauszuholen – und sei es nur ihr Name in der Zeitung. Sag deiner Mutter kein Wort über das, was ich dir jetzt erzähle. Es könnte sie verletzen. Deine Mutter ist eine wunderbare Frau, eine hervorragende Frau. Sie hat ihre Begabungen, ihre großen Begabungen. Und wenn Geschichtenerzählen nicht dazu gehört, macht sie das nicht schlechter. Vergiss das nicht.«

      Das Feis begann, einen Tag ehe Manus MacAward die Rosses mit dem Mittagszug verließ. Er hatte beschlossen, die Geschichte von Columcille und dem Jüngsten Gericht zu erzählen, da er sie immer wieder von seinem Vater gehört hatte. Nachdem er am frühen Nachmittag in Kilmacrenan eingetroffen war, hatte er noch Zeit, die historischen Stätten der Umgebung zu besuchen. Er bestieg den Rock of Doon, wo in den alten Zeiten Könige gekrönt worden waren und wo seine Vorfahren, die MacAwards, diese Geschehnisse in Versen festgehalten hatten. Er suchte die Steinplatte auf, auf der Columcille geboren worden war. Er besichtigte die Ruinen der alten Abtei, wo die Kinder den Heiligen als Erste die »Taube der Kirche« genannt hatten. Er bekam alle Inspiration, die er überhaupt bekommen konnte.

      Am folgenden Tag trat er mit den anderen Bewerbern zum Wettbewerb an. Es gab nur einen Preisrichter – einen weißhaarigen alten Mann aus Templedouglas, der in seiner Jugend einige Jahre in einem Priesterseminar auf dem Kontinent verbracht hatte und der aus irgendeinem Grunde dann doch kein Geistlicher geworden war. Er lauschte den vielen Geschichten mit sichtlichem Interesse. Am Ende fällte er sein Urteil. Alle seien gut gewesen, sagte er. Bei sechs von ihnen wäre es ihm schwergefallen, sich für die beste zu entscheiden. Aber der siebte Bewerber – Manus MacAward aus den Rosses – besitze ein angeborenes Talent, das den anderen fehle. Er könne sich auf die Grundzüge einer Geschichte konzentrieren, bringe keine überflüssigen Abschweifungen hinein, benutze kein einziges überflüssiges Wort und ende mit einem Höhepunkt, der die Zuhörer verzaubere. Und da zögere er nicht, Manus den Preis zuzusprechen.

      An diesem Abend kehrte Manus mit frohem Herzen nach Hause zurück. Seine Mutter umarmte ihn und küsste ihn zärtlich. Sein Vater sagte zwar nicht viel, freute sich aber ebenfalls. Er war froh darüber, dass sein Sohn einen Preis für das bekommen hatte, was seiner Ansicht nach echtes Geschichtenerzählen war.

       III

      Mit zwanzig verließ Manus MacAward seine Heimat und ging nach Amerika. Er nahm seine früheren Gewohnheiten und Interessen mit. Er war ein überzeugter Raucher, und seine Liebe zu Geschichten war unvermindert.

      In Amerika entwickelte er beide Vorlieben weiter. Er probierte die besten Tabaksorten aus. Nachdem er festgestellt hatte, dass eine Pfeife bald bitter schmeckt, wenn man sie über einen längeren Zeitraum hinweg ununterbrochen benutzt, kaufte er sich eine zweite und dann eine dritte. Er vergrößerte seinen Fundus an Pfeifen, bis er sieben hatte – eine für jeden Tag der Woche. Und er wurde ein Fachmann in der Kunst, eine Pfeife langsam warm zu rauchen.

      Dann kam ein neues Interesse am Geschichtenerzählen. Er wollte lesen. Aber er hatte noch nicht viel gelesen, als er feststellte, dass seine magere Volksschulbildung ihm keine Grundlage lieferte, auf der er sich den besten Geschichten in der englischen Sprache widmen könnte. Also besuchte er Abendkurse. Nach einer Weile erwachte sein Interesse an der amerikanischen Short Story, vor allem an den Werken von O. Henry. Später entdeckte er, dass er die besten Kurzgeschichten aus aller Welt in der Übersetzung lesen konnte – und die meisten sprachen ihn an, vor allem die französischen.

      Wenn er nicht gerade Geschichten las und Rauchen zu einer schönen Kunst entwickelte, lernte Manus in Amerika noch etwas. Er fing an, sich für die Freiheit Irlands zu interessieren. Er las nun die Irish World und beschäftigte sich intensiv mit den Aktivitäten der verschiedenen irischen Organisationen in Amerika. Er besuchte Kundgebungen, bei denen Parnell, Devoy und O’Donovan Rossa sprachen. Einmal reiste er mehrere Hundert Meilen, um Tom Clarke zu sehen und zu hören.

      Nach zehn Jahren in der Ferne kehrte er in die Rosses zurück, mit einer schönen Summe Geldes, einem Koffer voller Bücher und sieben Pfeifen.

      Heimgekehrt, musste er sich dann eingestehen, dass er seiner Zeit voraus war und ihr zugleich hinterherhinkte. Im größeren Teil der Rosses war die Schönheit der irischen Sprache verschwunden, und die Menschen machten grauenhafte Versuche, sich auf Englisch auszudrücken. Sie irrten zwischen zwei Kulturen umher, da sie (durchaus aus stichhaltigen Gründen) die alte aufgegeben und noch keine Zeit gehabt hatten, sich die neue anzueignen. Was die Freiheit Irlands anging – die war den Menschen in den Rosses egal. Die war etwas, das sie nicht verstehen konnten.

      Manus baute sich ein hübsches kleines Haus an einer der schönsten Stellen der Rosses. Er hatte seine Bücher und seine Pfeifen. Aber er war nicht glücklich. Er spürte, in den Worten der Genesis, dass es nicht gut für den Menschen sei, allein zu sein. Er würde sich also eine Frau suchen müssen.

      Das hätte eigentlich nicht weiter schwierig sein dürfen, denn mehrere Mütter aus der Nachbarschaft hatten schon für eine ihrer Töchter ein Auge auf ihn geworfen. Aber Manus konnte nicht überredet oder beeinflusst