Mit Gottvertrauen im Gepäck. Helene Arnet

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Название Mit Gottvertrauen im Gepäck
Автор произведения Helene Arnet
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783039199716



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Das hat geklappt, Sr. Lukas kam sicher nach Hause.»

      Sr. Martine erinnert sich an ihren ersten Besuch in Det. Das war 1972 anlässlich einer Kirchenweihe. «Es war eine mühevolle Reise, zumal ich vorher schon in Tansania zu Besuch war. Von dort flog man über Bombay nach Hongkong oder Manila, dann nach Port Moresby und anschliessend mit einem kleinen Flieger nach Mendi. Von dort aus gings auf holperigen Pisten nach Det. Die Schwestern wohnten in Buschhäusern aus Naturmaterial. Sie waren sehr schön gebaut. In Erinnerungen sind mir aber vor allem die Flöhe; das war fast ein Martyrium. Kaum war man dort, war man voller Flöhe. Ich musste mich zusammennehmen, dass ich nicht andauernd darüber sprach und jammerte, denn es hat mich derart gejuckt. Die Menschen waren freundlich, manchmal richtig anhänglich, und die Frauen arbeiteten schwer. Die Männer dagegen taten nicht viel. Das Leben dort war anstrengend und fordernd, auch für unsere Schwestern. Ich kann verstehen, dass einige von ihnen das nicht allzu lange aushielten und darum baten, zurückkehren zu dürfen. Als ich damals, nach meinem ersten Besuch, in Singapur ins Flugzeug zurück in die Schweiz stieg, dachte ich, dass es das letzte Mal sei, dass ich so etwas tue. Ich hatte genug. Und ging dann doch wieder zurück.»

      Nicht nur die Einheimischen waren in den ersten Jahren in Det noch nahezu unberührt von äusseren Einflüssen, auch die Natur war es. Sr. Gaudentia erzählt, wie die Paradiesvögel während der Balz direkt hinter dem Schwesternhaus einen solchen Lärm veranstalteten, dass man unmöglich schlafen konnte. «Es war schön anzuschauen, wie sich das Männchen wie ein Pfau aufplusterte und sich den Weibchen präsentierte. Manchmal waren fünf oder sechs gleichzeitig auf einem Baum. Ich habe sogar einmal einen auf dem Arm gehabt. Heute sieht man sie kaum noch.»

      Eines muss ich noch klären. Sr. Gaudentia spricht von Buschhäusern, Buschmännern, Buschspital … Ist das nicht abwertend? Sie schaut mich verständnislos an. «Abwertend? Weshalb? Die Menschen leben mitten im Busch. Wir lebten mitten im Busch. Sie sprechen selbst von Busch. Abgeleitet vom Englischen. Ein anderes, adäquates Wort kenne ich nicht. Es ist völlig wertneutral.» Wir werden es in diesem Sinne verwenden.

      Die Insel Neuguinea ist nach Grönland die zweitgrösste Insel der Erde; Papua-Neuguinea wiederum ist nach Indonesien und Madagaskar der drittgrösste Inselstaat der Welt. Er gehört zum Kontinent Australien und ist Teil des pazifischen Grossraums Melanesien. Klimatisch sind die Unterschiede gross: An der Küste ist es stetig um die dreissig Grad Celsius warm, auch nachts. Im Hochland kann es nachts Frost geben. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, und es regnet oft.

      In Europa war Neuguineas Existenz bis ins 16. Jahrhundert unbekannt. Auch danach gab es lange Zeit keine intensiven Kontakte zwischen den Inselbewohnerinnen und -bewohnern und dem Rest der Welt. Lediglich die Küstenregionen wurden regelmässig von Europäern heimgesucht. Der negative Beiklang dieses Verbs ist berechtigt.

      Noch um 1960 lebten im Landesinneren Einheimische, die keine Berührung mit der Aussenwelt hatten. Dazu gehörten die Stämme der Region um Det im Südlichen Hochland. Bis 1969 die Baldegger Schwestern dort ankamen, hatten sie vereinzelte weisse Missionare gesehen, weisse Frauen noch nie.

      Die Insel ist seit der Kolonialzeit zweigeteilt. Da diese Epoche bis heute Auswirkungen hat, lohnt sich ein kurzer Rückblick: Der Westen der Insel wurde 1828 von den Niederlanden besetzt und zusammen mit den indonesischen Inseln als Niederländisch-Indien bezeichnet. 1963 wurde dieser Teil von Indonesien annektiert. Seither gehört Westneuguinea zu Indonesien, wobei die Verhältnisse bis heute verworren sind. Laut verschiedenen Berichten wurden schätzungsweise mehr als 100 000 Einheimische ermordet und zahlreiche andere verschleppt. Unabhängigkeitsbestrebungen wurden blutig niedergeschlagen.

      Der Osten der Insel geriet erst etwas später in den Fokus der europäischen Mächte. Ab den 1860er-Jahren versuchten das Deutsche Reich und Grossbritannien, dieses Gebiet für sich zu gewinnen. 1884 einigten sie sich auf eine Aufteilung: Der Norden wurde unter dem Namen «Kaiser-Wilhelms-Land» deutsches Schutzgebiet, der Süden wurde erst britisches Protektorat, vier Jahre später vom Vereinigten Königreich Grossbritannien und Irland annektiert und als «Britisch-Neuguinea» bezeichnet. Im Osten begann die Mission durch die katholische und die evangelische Kirche, im Süden wurde die anglikanische Kirche verbreitet. Als 1902 Australien unabhängig wurde, ging Britisch-Neuguinea an Australien über.

      Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs besetzten australische Truppen das deutsche Gebiet; nach Kriegsende überliess der Völkerbund die einstige deutsche Kolonie Australien als Mandat. Im Dezember 1941 eroberten japanische Truppen den Nordteil der Insel, und Port Moresby im Süden wurde zeitweise zum Hauptquartier des amerikanischen Generals Douglas MacArthur. Es kam zu heftigen Kämpfen zu See, in der Luft, aber auch im Dschungel. Nach der japanischen Kapitulation nahmen die alliierten Truppen am 13. September 1945 den gesamten Ostteil der Insel Neuguinea ein. Danach wurde Papua-Neuguinea von Australien verwaltet.

      Insbesondere in ländlichen Gebieten und im Regenwald wurde die australische Regierung nur am Rande wahrgenommen. Sr. Gaudentia erzählt, wie wenig Ansehen die australischen Regierungsbeamten genossen und auch, wie wenig Einfluss sie nehmen konnten. Es seien vor allem junge Leute, frisch nach Abschluss des Studiums, nach Papua-Neuguinea gekommen, die sich kaum mit den Gegebenheiten dort auskannten und auch nicht bereit waren, sich darauf einzulassen. «Sie waren nicht auf ihre Aufgaben vorbereitet, konnten sich mit den Einheimischen nicht verständigen, liessen sich nicht auf die fremde Kultur ein.» Die Australier versuchten zwar, eine staatliche Administration auf dieses Gebiet zu übertragen, doch scheiterte das auf dem Land schon weitgehend beim Erstellen eines Einwohnerregisters. Sr. Gaudentia erinnert sich: «Bereits das Auftreten dieser Beamten mit ihren Rucksäcken und dem autoritären Gehabe hat die Einheimischen mehr belustigt als eingeschüchtert. Sie haben sich vielleicht vordergründig gefügt, die Besucher aber schlichtweg nicht ernst genommen. Die Einheimischen haben uns manchmal in Theateraufführungen vorgespielt, wie eine solche Visitation durch einen Regierungsbeamten ablief. Dann haben sie sich Kissen unter die Shirts gestopft, um so richtig dick daherzukommen, und sind schwankend herumgelaufen, um zu zeigen, dass die Beamten zu viel getrunken haben. Sie schrien herum und zeigten unter Gelächter, wie sie selbst sich jeweils scheinbar folgsam in Reih und Glied aufstellten.» Andererseits, so betont Sr. Gaudentia, benahmen sich die australischen Beamten durchaus korrekt. Sie waren guten Willens, versuchten auch, die Sippenkämpfe zu stoppen und ein Rechtssystem einzuführen. Doch blieb vieles wirkungslos, weil sich das australische System und die Denkweise nicht einfach auf Papua-Neuguinea übertragen liessen.

      1972 wurden erstmals Wahlen abgehalten, und die Bevölkerung stimmte über die Unabhängigkeit ab. Sr. Gaudentia erzählt von der kuriosen Situation, dass die Einheimischen sich gar nicht recht erklären konnten, was denn diese Unabhängigkeit sein sollte, da sie sich ja zuvor gar nicht vom australischen Staat abhängig gefühlt hatten. «Sie kannten nicht einmal ein Wort für Unabhängigkeit», erzählt sie. «Sie sagten statt ‹independent› ‹underpant›, also Unterhose.» Die Kirche habe damals zwar Programme entwickelt, um die Leute aufzuklären, doch stiessen diese auf wenig Interesse. In den ersten Wahlen seien denn auch oft Europäer ins Parlament gewählt worden, nicht etwa aus Hochachtung, sondern aus Gewohnheit: «Die sollten dort für uns reden. Und als die neu gewählten Beamten die Einheimischen aufforderten, den Tag der Unabhängigkeit zu feiern, haben sie zwar ein paar Schweine geschlachtet, doch sie wussten nicht wirklich, weshalb. Es ging ihnen danach ohnehin eher schlechter als besser.»

      Im Dezember 1973 wurde Papua-Neuguinea autonom, das Nationalitätszeichen PNG ist seither die gebräuchliche Abkürzung des Landes. Ich werde sie in der Folge auch verwenden. Die Flagge erinnert an die beiden Kolonialmächte: Im oberen, roten Dreieck zeigt sie einen Paradiesvogel, zu Ehren des deutschen Ornithologen Otto Finsch, der als einer der ersten Erforscher der Insel gilt. Das untere Feld zeigt auf schwarzem Grund das Sternbild Kreuz des Südens, wie es auf der australischen Flagge abgebildet ist. Ein weiteres Überbleibsel der australischen Herrschaftszeit ist bis heute geblieben: Das offizielle Staatsoberhaupt ist Königin Elisabeth II. von England, die auch den Titel «Königin von Papua-Neuguinea» trägt. Vertreten wird sie vor Ort durch einen Generalgouverneur. Die Staatsform ist daher eine parlamentarische Monarchie, das Regierungssystem eine parlamentarische Demokratie. Laut dem von der