Mit Gottvertrauen im Gepäck. Helene Arnet

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Название Mit Gottvertrauen im Gepäck
Автор произведения Helene Arnet
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783039199716



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sie von den Angehörigen empfangen und verabschiedet. Alle stehen auf der Zuschauerterrasse und winken dem Swissair-Flugzeug nach.

      Sr. Martine Rosenberg, damals stellvertretende Leiterin der Klostergemeinschaft, erinnert sich, als wäre es gestern gewesen, wie sie die kleine Gruppe zum Flughafen begleitete. Eine der ausreisenden Missionarinnen ist die vormalige und bereits 64-jährige Frau Mutter Sixta Popp. Sie hat sich in ihrer Funktion als Vorsteherin des Klosters stark für die Mission eingesetzt und wäre als junge Schwester selbst gerne ins Ausland gegangen. Nun erfüllt sie sich diesen Lebenswunsch. Sr. Sixta ist schliesslich bis 1978 Regionaloberin in Papua-Neuguinea und vor allem für Küche und Haushalt in der Missionsstation zuständig. «Sie war sozusagen die Hausmutter», sagt Sr. Martine. «Das tat allen gut, auch den jungen amerikanischen Kapuzinern, die dort stationiert waren. Sie gab uns einen mütterlichen Halt.» Mit dabei sind ausserdem die beiden Lehrerinnen Sr. Lukas Süess und Sr. Sibille Meier sowie die Krankenschwester Sr. Kiliana Fries.

      Sr. Martine erzählt: «Das war unsere erste Gruppe in Papua. Die fünf sind mit grosser Begeisterung aufgebrochen. Es war aber auch ein Abschied ins Ungewisse. Uns allen war klar, dass sie, waren sie einmal abgereist, wirklich weg waren. Denn die Kommunikationsmöglichkeiten waren fundamental anders als heute. Der Briefverkehr war unsäglich langsam, Telefonieren praktisch unmöglich. Als Sr. Lukas’ Vater starb, dauerte es länger als einen Monat, bis der Brief mit dieser traurigen Nachricht sie erreichte. Doch sie gingen mit Gottvertrauen.»

      Der Flug führt zuerst nach Genf, dann über Dubai und Indien nach Manila. Von dort aus reisen sie mit der australischen Fluggesellschaft weiter nach Port Moresby. «Ich freute mich sehr, als es endlich losging», sagt Sr. Gaudentia. Waren da keine bangen Gefühle? «Nein, keine, höchstens, ob wir das Richtige eingepackt hatten.»

      August 2013

      Kennenlernen

      Zwei Welten

      Bestimmt zwanzig Jahre ist es her, dass ich das erste Mal von Schwester Gaudentia Meier hörte. Meine Schwägerin erzählte damals von einer Tante, einer Ordensfrau des Klosters Baldegg, die als Missionarin in Papua-Neuguinea stationiert war. Heute ist es eine Besonderheit, eine Klosterfrau in der Familie zu haben. Und eine Missionarin erst! Das ist aussergewöhnlich. Gibt es das denn tatsächlich noch? Und wo genau liegt Papua-Neuguinea? Liest man in der Zeitung gelegentlich über den Inselstaat, geht es meist um Bürgerkriege, um Korruption oder Putschversuche. Unvorstellbar, dass mittendrin eine Baldegger Schwester, Sr. Gaudentia Meier aus dem Aargauer Freiamt, lebte und wirkte.

      Diese Frau interessierte mich, das Thema Mission irritierte mich. Die Faszination für Missionare, welche unsere Elterngeneration vielleicht noch verspürte, ist heute meist Misstrauen oder gar Ablehnung gewichen. Man verbindet damit Begriffe wie Zwangschristianisierung und westliche Überheblichkeit. Nur passte das so gar nicht zu dem, was meine Schwägerin von ihrer Tante erzählte.

      Dann erschien weltweit in verschiedenen Magazinen und Zeitungen eine Reportage der australischen Journalistin Jo Chandler über die grausamen Verfolgungen von Menschen in Papua-Neuguinea, die der Hexerei beschuldigt wurden. Darin erwähnte sie eine mutige Frau, die sich dagegenstellte: Sr. Gaudentia Meier.

      Am 25. August 2013 reiste Sr. Gaudentia für einige Wochen in die Schweiz, um hier ihre Goldene Profess, die fünfzigjährige Treue zum Ordensgelübde, zu feiern. Ich besuchte den Gottesdienst und vereinbarte in der folgenden Woche ein Treffen mit ihr.

      Die Gespräche verliefen anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Sr. Gaudentia ist eine gute Erzählerin, aber keine, die gerne von sich spricht. Und ihr ist das Leben in Papua-Neuguinea mittlerweile so vertraut, dass ihr nicht bewusst ist, wie exotisch das, was sie dort tagtäglich erlebt, für uns ist. Es wurde klar, dass meine ursprüngliche Idee, ihre Erzählungen einfach im Wortlaut niederzuschreiben, nicht funktionieren würde.

      Wir trafen uns zwischen August und Oktober 2015 zu drei längeren Gesprächen. Dann reiste sie wieder ab. Im Mai 2016 traf ich mich mit Sr. Martine Rosenberg, welche mit Sr. Gaudentia die Profess abgelegt, von 1981 bis 1999 der Klostergemeinschaft als Frau Mutter vorgestanden hatte und nun in Baldegg das Missionssekretariat betreute. Sie hatte die Schwestern in Papua-Neuguinea mehrmals besucht.

      Ich hoffte erst, die Geschichte mittels Mailkontakt weiterschreiben zu können. Das ging nicht. So geduldig, ja manchmal unermüdlich und bildhaft Sr. Gaudentia mündlich erzählte, so knapp und sachlich schrieb sie. Bald stand dann jeweils: «Em tasol.» Meine Frage, was das denn heisse, beantwortete sie mit: «Das wird in Pidgin-Englisch am Ende eines Berichts geschrieben. Es heisst ungefähr: Das wars. Oder einfach: Ende.»

      Mitte 2018 erreichte mich die Nachricht, dass Sr. Gaudentia ernsthaft erkrankt sei und in die Schweiz zurückkehren würde. Wahrscheinlich für immer. Glücklicherweise erwies sich die Krankheit als weniger schlimm als ursprünglich angenommen. Doch war der Entscheid gefallen. Nach fast fünfzig Jahren Tätigkeit in Papua-Neuguinea kehrte sie, in ihrem achtzigsten Lebensjahr, in die Schweiz zurück. Nicht nur auf Urlaub, sondern endgültig.

      Es ist nun Anfang Mai 2020. Gestern wären Sr. Gaudentia und ihre Mitschwester, Sr. Lukas, wohl ein letztes Mal nach Papua-Neuguinea geflogen, um das fünfzigjährige Jubiläum der Baldegger Mission zu feiern. Alles war vorbereitet. Es wäre eine schöne, aber auch anstrengende Zeit für die beiden Ordensfrauen geworden, denn viele wollten sie wiedersehen. Die überstürzte Abreise vor eineinhalb Jahren hatte einen gebührenden Abschied verhindert.

      Nun durchkreuzte die Coronakrise die Reisepläne. «Es sollte vielleicht einfach nicht sein», sagte Sr. Gaudentia. Endgültig klang das nicht.

      Sr. Gaudentia Meier kann auf eine aussergewöhnliche Lebensgeschichte zurückschauen. Sie handelt von einer Frau, die 24-jährig in ein Kloster eintrat, weil sie Missionarin werden wollte. Die fast fünfzig Jahre in Papua-Neuguinea lebte und wirkte, dort erst in der Geburtshilfe tätig war, dann Pflegerinnenschulen und ein international anerkanntes Aidsspital aufbaute. Und sie handelt von einer Missionarin, die sich furchtlos einer pöbelnden Menge entgegenstellte, als diese eine Frau brutal misshandelte, als Hexe beschimpfte und zum Scheiterhaufen führen wollte.

      In der örtlichen Presse war im Vorfeld von einem Jahrhundertereignis die Rede. Und das will sich offensichtlich niemand entgehen lassen, denn die Menschen strömen an diesem sonnigen Sonntagmorgen, lange vor Beginn des Gottesdienstes, in die Kirche des Klosters Baldegg. Es ist der 25. August 2013, und heute feiern zwanzig Baldegger Schwestern ihre Goldene Profess. Unter ihnen ist auch Sr. Gaudentia Meier aus Waltenschwil. Sie werden die nach ihrem Klostereintritt abgelegten Gelübde erneuern: Armut, Gehorsam, Keuschheit.

      Es ist die Zahl der jubilierenden Schwestern, welche diese Goldene Profess zum Jahrhundertereignis macht. 24 junge Frauen traten vor fünfzig Jahren in das Kloster Baldegg ein. Damals gehörten über 1000 Ordensfrauen der Gemeinschaft an, es war die grosse Zeit des Klosters Baldegg. Heute sind es noch 225 Schwestern, und vor bald zwanzig Jahren legte die letzte Novizin ihre Profess ab.

      Die Kirchenglocken sind im Luzerner Seetal weitherum zu hören, doch wer sich erst jetzt auf den Weg macht, wird kaum mehr Platz in der saalartigen Institutskirche des Klosters finden. Die ungefähr 500 Sitzplätze sind schon beinahe besetzt. Eine energische Ordensschwester, deren Füsse trotz hochsommerlicher Temperaturen in robusten schwarzen Schnürschuhen stecken, weist die Besucherinnen und Besucher ein. Der Raum ist festlich erleuchtet und mit Blumen geschmückt. Die Sonnenblumen lockern mit ihren sattgrünen Blättern und dem fröhlichen Gelb die ansonsten ernste, feierliche Stimmung auf.

      Nun werden zusätzliche Stühle herbeigeschafft. Noch immer treten Menschen vor den Altar, verneigen sich und folgen dann der allmählich etwas mitgenommen wirkenden Schwester, die Ausschau nach Bankreihen hält, in denen die Menschen nicht ganz so dicht sitzen. Nett lächelnd bittet sie dann, noch etwas enger zusammenzurücken. Zwei Schweizer Gardisten stehen in ihren bunten Uniformen stramm und schauen mit unbewegten Mienen dem Treiben zu. Sie sind zu Ehren einer Schwester angereist, die ihnen im Vatikan Italienischunterricht erteilte.

      Dann