Goldmond. Tamara Glück

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Название Goldmond
Автор произведения Tamara Glück
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990014714



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beruhigt. Ich sah aus dem Fenster.

      »Es tut mir leid«, murmelte sie. Ich drehte mich zu ihr um. Wieder hatte sie den Kopf gesenkt. Ich hörte, wie sie ganz bewusst tief Luft holte.

      »Was ist passiert?«, fragte ich.

      Sie schluckte und sah auf. Sie machte eine müde Geste mit der Hand. »Die Technik hatte einen Ausfall. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich hatte Glück, dass ich es rechtzeitig bemerkt habe. Wenn nicht …« Sie sprach nicht weiter, doch schließlich murmelte sie so leise, dass ich es vor ein paar Stunden sicher nicht einmal bemerkt hätte: »Das wäre unschön gewesen.«

      Sie sah wieder zu Boden. Ich schwieg. Diesmal war die Stille schwer wie Blei. Ich schluckte noch einmal. Wenn etwas nicht in Ordnung wäre … Ich wollte gar nicht daran denken. Ich dachte daran, dass sich vorher alles so schrecklich falsch angefühlt hatte.

      Ich hörte etwas, das wie ein Schluchzen klang. Ich sah Maria an. Sie hatte ihr Gesicht in die Hände gelegt. Ich wartete ein paar Minuten, doch langsam bekam sie sich wieder in den Griff.

      »Hey, es ist ja nicht deine Schuld. Ich hatte Glück, dass du da warst.«

      Sie sagte nichts, doch ihr Atem normalisierte sich.

      »Wenn du so weit bist, dann würde ich gerne ein paar Tests durchführen.«

      Ich nickte und schlug die Decke zurück. Ich ging die Wendeltreppe hinunter und Maria folgte mir. Ich erkannte am Klang, dass es Holzstufen waren. Komisch, früher hätte ich meine jetzt so leisen Schritte auf keinen Fall gehört. Ich schüttelte den Kopf.

      Konzentration, mahnte ich mich. Dann setzte ich mich auf den Sessel. Um mich herum erschienen holografische Bildschirme und zeigten meinen Herzschlag, meinen Atemrhythmus und alle möglichen anderen Vitalzeichen.

      Maria warf einen schnellen Blick auf die Bildschirme, ihre Augen scannten jeden einzelnen und blieben schließlich an mir hängen. Sie lächelte unsicher.

      »Sieht alles ganz gut aus.«

      »Siehst du?«, sagte ich, obwohl auch mir eine Last von den Schultern fiel.

      »Ich hatte es mir ohnehin gedacht, aber …« Sie beendete ihren Satz nicht. »Na ja … So, fangen wir an. Wir wollen alle Möglichkeiten ausschließen.«

      Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich konnte es auf dem Bildschirm sehen. Ich atmete tief durch. Er normalisierte sich wieder. Trotzdem fühlte ich mich nervöser als zuvor.

      »Also …«, fing Maria an, »halte bitte den Atem an.«

      Neben ihrer Hand schwebte ein holografisches Tablet, das eine Stoppuhr zeigte.

      Mein Atem setzte aus.

      ELENA

      Meine Mutter, mein Vater, Grace, Luke und ich saßen beim Abendessen. Ich hatte fast den ganzen Morgen mit dem Waschen der Wäsche verbracht und war dann um acht in die Fabrik gegangen. Wenigstens war ich jetzt erst mal für eine Zeit vom Wäschewaschen befreit. Für mindestens drei Tage. Ich seufzte.

      Das Abendessen war alles andere als normal. Wenn wir nur zu dritt waren, dann sprachen wir normalerweise nicht. Doch Grace und Luke lachten und scherzten und mein Vater stieg schnell ein. Auch ich und meine Mutter mussten lachen, als Luke das Gesicht verzog und mit verstellter Stimme einen Witz erzählte. Ich grinste. Luke hätte jeden Witz erzählen können. Seine Stimme war großartig und sein Gesicht war so unglaublich lustig.

      Meine Mutter klopfte ihm scherzhaft auf den Kopf. Sie war immer angespannt, wenn Grace und Luke zu Besuch waren, aber heute wirkte sie fröhlicher als sonst. Vielleicht war sie ja endlich über die Heirat ihrer Tochter hinweggekommen.

      »Also wirklich, Luke!«

      Wir lachten, als Luke ein übertrieben enttäuschtes und verletztes Gesicht aufsetzte und mit weinerlicher Stimme »Aber, Mama!« rief.

      Ich konnte mich kaum noch halten vor Lachen. Wenn Luke ein Adeliger gewesen wäre, dann hätte er damit bestimmt Geld verdienen können.

      Schließlich verzog sich sogar Lukes Gesicht zu einem Lächeln und am Ende lachte er genauso los wie wir anderen auch.

      Ich sah, wie meine Mutter sich unauffällig wegdrehte. In der Hütte war es dunkel, doch ich glaubte, etwas auf ihrer Wange glitzern zu sehen. Offenbar war sie doch noch nicht so weit. Ich fragte mich, ob ich sie auch eines Tages zum Weinen bringen würde, wenn ich auszog. Ich hatte ja noch Zeit, dachte ich, bezweifelte aber gleichzeitig, dass meine Mutter in den nächsten Jahren plötzlich ihre Meinung ändern würde. Heirat bedeutete schließlich Ausziehen und Ausziehen bedeutete weniger Geld und Essen für alle.

      Da fing Grace plötzlich an zu summen und Luke spielte uns einen Sketch zu Graces Musik vor. Ich vergaß meine Sorgen, als ich das Lächeln meiner Mutter sah, und entspannte mich. Ich hatte seit Ewigkeiten nicht mehr so gelacht.

      Als die Dunkelheit hereinbrach, zog Grace eine Kerze aus ihrem Sack. In ihrem Schein saßen wir noch lange zusammen. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so lange aufgeblieben zu sein. Als die Kerze schließlich heruntergebrannt war, sah man bereits den ersten hellen Schimmer am Horizont.

      Wir legten uns schlafen, obwohl ich mir sicher war, dass ich viel zu wenig Schlaf bekommen würde.

      Am nächsten Morgen jedoch hörte ich meine Mutter früh in der Küche rumoren, aber ich schlief aufgrund meiner Müdigkeit wieder ein.

      Kurz darauf erwachte ich panisch. Ich musste doch Wasser holen, Reis kaufen und in die Fabrik! Ich riss meine Decke so schnell zurück, dass sie meinen Vater im Gesicht traf. Er drehte sich im Schlaf um. Wieso schlief er noch? Wieso hatte meine Mutter uns nicht schon lange geweckt?

      Hellwach warf ich mich in mein Gewand und eilte hinaus an den Ofen. Meine Mutter stand seelenruhig davor und murmelte vor sich hin. Sie kochte Reis. Ein Kübel mit Wasser stand bereits in der Ecke und der Tisch war gedeckt. Von draußen kamen Sonnenstrahlen herein. Es musste schon total spät sein!

      Da bemerkte meine Mutter mich. »Oh, Morgen, El! Ich wollte dich noch etwas schlafen lassen.« Ihr Tonfall war entspannt, ihre Miene heller, als ich es gewohnt war.

      »Wo kommt das Wasser her?«, fragte ich verwirrt. Träumte ich? Ich zwickte mich in den Arm. Es tat weh. Ich rieb mir die wunde Stelle und ärgerte mich über mich selbst.

      »Oh, Morgen, Schwester!« Ich blickte auf. Grace streckte den Kopf zur Tür herein. »Luke und ich waren nicht ganz untätig, wo wir euch doch gestern den Schlaf geraubt haben.« Sie lächelte.

      »Wie spät ist es?«, fragte ich verblüfft.

      Grace zeigte auf die große, schmutzige und vor allem sehr laute Uhr, die in der Ecke auf einem alten Schemel stand. Sie zeigte fünf vor sieben. Ich musste normalerweise um acht in der Fabrik sein und verließ daher zehn Minuten vor acht das Haus.

      »Wann bist du aufgestanden?«, fragte ich Grace ungläubig.

      Sie lachte über meinen Gesichtsausdruck. »Halb fünf.«

      »Aber wir sind doch erst um vier schlafen gegangen!«, rief ich entsetzt. »Warum habt ihr mich nicht geweckt?!«

      »Immer mit der Ruhe, Schwesterherz!« Grace zwinkerte mir zu und ich hörte, wie Luke von draußen rief: »Schatz, wo bleibst du?«

      Meine Schwester verdrehte die Augen und entschuldigte sich. »Luke kann auch wirklich nichts allein. Sogar zum Dachdecken braucht er Hilfe.« Gespielt verzweifelt warf sie die Hände in die Luft und verschwand dann aus der Türöffnung. Ich hörte noch, wie sie Luke zurief: »Was hast du denn schon wieder angestellt, nicht eine Minute kann man dich alleine lassen! Also wirklich! Sooooo geht das!« Sie lachten beide.

      Ich drehte mich zu meiner Mutter um. »Was machen sie?« Sie lächelte. »Die beiden sind so lieb und decken die Hütte mit neuen Planen ab.«

      »Und was soll ich tun?«

      »In etwa zehn Minuten gibt es Essen. Du kannst den Fußboden aufwaschen.«

      Ich