Aktive Gewaltfreiheit. Группа авторов

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Название Aktive Gewaltfreiheit
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429063849



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innerhalb der Ökumene (Konziliarer Prozess, Dekade zur Überwindung von Gewalt) haben zu einer Weiterentwicklung der christlichen Friedenstheologie und -ethik geführt, die sich um den Leitbegriff „Gerechter Friede“ bündelt.7 Ausdrücklich soll unter diesem Leitwort die Lehre vom „gerechten Krieg“ in eine heute zeitgemäße Friedenslehre überführt werden. Es gilt nicht länger die Devise „Si vis pacem, para bellum“ (Wenn Du Frieden willst, bereite den Krieg vor), sondern „Si vis pacem, para pacem“ (Wenn Du Frieden willst, bereite ihm den Weg). Dabei ist, anknüpfend an das biblische Verständnis von Schalom8, ein umfassenderes Friedensverständnis im Blick als jenes, das nur auf die Abwesenheit von Krieg abhebt. Frieden wird in engsten Zusammenhang mit Gerechtigkeit gestellt (vgl. Ps 85,11; Jes 32,17; Röm 14,17). Der EKD-Denkschrift zufolge liegt die Bedeutung dieser Einheit als Inhalt göttlicher Friedensverheißung für menschliche Friedenspraxis darin, „dass sie das gängige Verständnis von Frieden von Grund auf neu orientiert: Friede im Sinn der biblischen Tradition bezeichnet eine umfassende Wohlordnung, ein intaktes Verhältnis der Menschen untereinander und zur Gemeinschaft, zu sich selbst, zur Mitwelt und zu Gott, das allem menschlichen Handeln vorausliegt und nicht erst von ihm hervorgebracht wird. Die biblische Rede vom Frieden beschränkt sich nicht auf die Distanzierung von kriegerischer Gewalt, auch wenn diese zu ihren Konsequenzen gehört (…) Friede und Gerechtigkeit interpretieren sich wechselseitig, weil in den biblischen Schriften auch die Gerechtigkeit mehr ist als eine abstrakte Norm oder ein bloßes Sollen. Im Alten Testament bezeichnet Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen den Menschen die Gemeinschaftstreue, in der die Geschöpfe dem Bund entsprechen, den Gott in seiner Gemeinschaftstreue mit ihnen geschlossen hat (…) Sie ist Kategorie einer sozialen Praxis der Solidiarität, die sich – der rettenden Macht Gottes entsprechend – vorrangig den Schwachen und Benachteiligten zuwendet. Die ‚bessere Gerechtigkeit‘, von der in der Bergpredigt die Rede ist (Mt 5,20), erfüllt sich letztlich im Gebot der Nächsten-, ja Feindesliebe; sie zielt auf eine soziale Praxis zunehmender Inklusion und universeller Anerkennung. Sie befähigt zur Achtung der gleichen personalen Würde jedes Menschen unabhängig von seinen Taten (und Untaten) und sie berücksichtigt zugleich die relevante Verschiedenheit der Einzelnen in ihren Lebensbedingungen und -äußerungen.“9

      Zusammenfassend wird im Begleitdokument zum erwähnten Ökumenischen Aufruf „Gerechter Friede“ wie folgt bestimmt: Er „versteht sich ganzheitlich. Er ist nicht nur die Abwesenheit von Konflikten und Krieg, sondern ein Zustand des Wohlergehens und der Harmonie, in dem alle Beziehungen zwischen Gott, der Menschheit und der Schöpfung in guter Weise geordnet sind.“10

      Entsprechend weit ist das Feld, in dem Friedensbemühungen anzusetzen haben. Das Begleitdokument, aus dem gerade zitiert worden ist, führt folgende Bereiche an: „Für Frieden in der Gemeinschaft – damit alle Menschen frei von Angst leben können“ – „Für Frieden mit der Erde – damit das Leben erhalten bleibt“ – „Für Frieden mit der Wirtschaft – damit alle in Würde leben können“ – „Für Frieden unter den Völkern – damit Menschenleben geschützt werden“.11 Zu ergänzen wäre noch: „Für Frieden unter den Religionen – damit die Menschen sich nach ihrem Gewissen frei von jeglichem Zwang entscheiden und ihren Glauben praktizieren können“.

      Die beiden Verlautbarungen der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland entfalten das Leitbild des gerechten Friedens schwerpunktmäßig mit Blick auf die sich daraus ergebenden politischen Weichenstellungen, die vorgenommen werden müssen, um sowohl auf innerstaatlicher als auch auf internationaler Ebene ein Mehr an Frieden, Freiheit und individueller, sozialer und ökologischer Gerechtigkeit zu erreichen. Hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang etwa die Bedeutung einer entsprechenden Rechtsordnung, die Schaffung eines Bewusstseins universaler Solidarität mitsamt deren Konkretion im Einsatz für globale Gerechtigkeit sowie der konsequente Einsatz für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Im Einzelnen werden die Bedeutung und Grenzen militärischer Maßnahmen erörtert. Die selbstkritische Aufarbeitung der jeweils eigenen Schuldgeschichte wird angemahnt. Insgesamt sind die Überlegungen und Vorschläge, die unterbreitet werden, von der Überzeugung getragen, dass eine radikale Umkehr im Denken und Handeln überfällig ist: Die insbesondere in Wirtschaft und Politik dominant gewordene, sich aber als selbstdestruktiv erweisende Logik der Machtsteigerung gilt es zu ersetzen durch eine auf Verständigung und Anerkennung der Anderen in ihrer Andersheit ausgerichtete Vernunft. Statt immer wieder nachträglich eingetretene Schäden zu beseitigen, gilt es, präventiv zu planen und entsprechende Vorkehrungen umzusetzen. Dabei spielen vertrauensbildende Maßnahmen eine große Rolle. Statt immer nur in eine noch größere Effizienz der Kriegsmaschinerie zu investieren, sollten die Waffenpotentiale ab- und die zivile Konfliktbearbeitung ausgebaut werden. Statt hinter Errungenschaften einer friedensfördernden internationalen Zusammenarbeit zugunsten der Verfolgung nationaler Interessen zurückzufallen, sind diese Institutionen zu stärken und vor allem mit wirksamer Zuständigkeit auszustatten.

      Wie sehr eine biblisch inspirierte Perspektive eine grundlegende Umwälzung der herrschenden Denk- und Handlungsgewohnheiten beinhaltet, wird an der Entwicklung des Gottesbildes ersichtlich: JHWH offenbart sich immer klarer als der, der „auf der Seite der Opfer steht, nicht auf der Seite der gewalttätigen Sieger“12. Von daher richtet sich der Blick der an diesen Gott Glaubenden vorrangig auf die Opfer von Gewalt in jedweder Form von Krieg und Terror und lässt die jeweilige Situation der Welt „von unten her“, in Compassion und Solidarität mit den Betroffenen begreifen und angehen. Mit Verweis auf die bei der Gefangennahme Jesu von diesem an Petrus gegebene Anweisung, er solle sein Schwert in die Scheide stecken, weil alle die zum Schwert greifen würden, durch das Schwert umkämen (vgl. Mt 26,52), heißt es in der Erklärung der deutschen Bischöfe, dass wahre Solidarität in der Bereitschaft bestehen könne, „das Schicksal des anderen dort, wo man ihm nicht mehr helfen kann, wenigstens zu teilen“13. Dieses Ethos trage dazu bei, „die Logik der Gewalt nicht nur einzudämmen, sondern sie in einer entscheidenden Situation zu überwinden“14.

      Doch bleiben solche wohlfeilen Ratschläge an die Politik, ihren Kurs im Sinne des Gerechten Friedens zu ändern, nicht Appelle, die ins Leere verhallen? Sind es nicht völlig gegenteilige Interessen, die die Tagesordnung der Welt bestimmen und die den überkommenen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt perpetuieren lassen? Anders gefragt: Welche Einwirkungsmöglichkeiten auf die Politik gibt es überhaupt für solche vom Evangelium inspirierten Überzeugungen? Selbst in Parteien hinein, die sich als christlich verstehen, sind sie zunehmend schwieriger zu vermitteln.

      Aufgrund ihrer immer noch gewichtigen gesellschaftlichen Verankerung haben die beiden Großkirchen in Deutschland die Möglichkeiten zu einer direkten und indirekten Einflussnahme, die sie auch nutzen. Dies geschieht etwa durch Lobbyarbeit auf den verschiedenen politischen Ebenen: Bundesland, Bund, Europa und Vereinte Nationen. Die in diesem Zusammenhang wohl engste Verflechtung der Kirchen mit dem Staat, speziell mit dem Verteidigungsministerium, ist mit der staatlich alimentierten (und deswegen innerkirchlich nicht unumstrittenen) Militärseelsorge gegeben; auch wenn sie vorrangig für die Angehörigen der Streitkräfte gedacht ist, stehen durch sie Kanäle offen, durch die kritische Vorbehalte seitens der Kirchen etwa gegenüber militärstrategischen Doktrinen geäußert werden können. Dazu trägt auch das in Trägerschaft der Katholischen Militärseelsorge liegende Institut für Theologie und Frieden in Hamburg bei, das die Aufgabe hat, in theologisch-ethischer Perspektive Grundlagen menschlicher Friedensordnung zu erforschen und in den aktuellen friedenspolitischen Diskurs einzubringen. Auf evangelischer Seite gibt es in Heidelberg die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), übrigens eines der fünf Friedensforschungsinstitute, die jährlich ein Friedensgutachten erstellen.15 Daneben gibt es eine Reihe von Sachverständigengremien zu den verschiedensten Bereichen, die im Zusammenhang mit dem Leitbild des gerechten Friedens stehen. Zu nennen ist etwa auf Bundesebene die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), die jährlich einen Rüstungsexportbericht veröffentlicht, in dem das Rüstungsexportgeschehen kritisch kommentiert wird. Auch mit Stellungnahmen und Diskussionen zu anderen aktuellen entwicklungspolitischen Themen tragen die Kirchen zur politischen Meinungsbildung bei. Der Initiative von der Sache überzeugter Christen ist es zu verdanken, dass es staatlicherseits zur Einrichtung und Unterstützung des zivilen Friedensdienstes gekommen ist. Eine wichtige und vorbildliche Rolle spielen des Weiteren die kirchlichen