Warum es so schwierig ist, in die Hölle zu kommen. Hans Conrad Zander

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Название Warum es so schwierig ist, in die Hölle zu kommen
Автор произведения Hans Conrad Zander
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783897109582



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      Plötzlich herrschten mitten in Rom Zustände wie in der Wüste Ägyptens: Die gesamte christliche Elite, dort die Mönche, hier die Priester, alle waren sie auf wunderbare Weise steuerfrei geworden.

      Alsbald begann in Rom ein wahrer Oklahoma-Run reicher Familienväter auf die katholische Priesterweihe. Noch gab es ja keine Zölibatspflicht. Nach jüdischem Vorbild vererbten vielmehr die meisten christlichen Priester ihrem Sohn ihr Amt. Gelang es einer reichen römischen familia, ihren pater familias – auf Deutsch gesagt ihren Papi – zum Priester weihen zu lassen, so war die ganze Familienbande hinfort steuerfrei.

      Das Priestertum Jesu Christi als Steuersparmodell für reiche Papis? Einer solchen fatalen Entwicklung Einhalt geboten zu haben, ist das Verdienst der heiligen Paula. Diese unerhört mutige Frau aus dem Geschlecht der Scipionen hatte auf einer Bildungsreise nach Ägypten auch die dortigen Einsiedlerkolonien in der Wüste besucht. Dort war ihr etwas aufgefallen. Bei aller guten Laune herrschte unter den Söhnen des heiligen Antonius doch so etwas wie christlicher Ernst und echte Askese. Die klimatischen Bedingungen in der Wüste waren nämlich so streng, dass es undenkbar war, einen Haushalt mitzunehmen. Frauen, Bräute, Töchter, Söhne dieser ägyptischen Steuerflüchtlinge hatten zurückbleiben müssen in den Dörfern am Nil. Naturnotwendig lebten Antonius und seine Jünger im Zölibat. Sie waren „μοναχοι”. Daraus ist unser Wort „Mönch” geworden. Eigentlich aber heißt das griechische Wort „μοναχος” ganz einfach „Single”.

      Und jetzt die geniale Idee der heiligen Paula: Warum nicht eben jene Lebensweise, die in der Wüste Ägyptens naturnotwendig war, in Rom einführen als asketisches Gesetz? Das Single-Dasein als moralisches Korrektiv gegen Übermut im neuen klerikalen Steuerparadies? Nach ägyptischem Vorbild, gegen den erbitterten Widerstand der reichen römischen Papis, setzte die heilige Paula, diese wunderbare, tapfere Frau, in Rom den Zölibat durch.

      Manche halten den katholischen Klerus für eine mittelalterliche Institution. Das ist historischer Unsinn. Die mittelalterliche Klerusgeschichte ist nichts als ein mühseliger Versuch von Epigonen, das doppelte Erbe der Antike zu bewahren: einerseits Steuerfreiheit für den Klerus, anderseits, als asketisches Korrektiv dazu, den Zölibat. Der einzige originelle Kopf unter all den mittelalterlichen Bewahrern antiker Kirchenordnung ist Papst Bonifatius VIII. Am 25. Februar 1296, mit der Bulle „Clericis laicos”, verbietet er nicht nur Kaisern und Königen bei Strafe der Exkommunikation, von Priestern oder Mönchen Steuern einzutreiben. Nein, als wahrer Jünger des heiligen Antonius tut dieser großartige Papst den allerletzten Schritt: „Anathema sit” – zu ewiger Höllenstrafe verdammt sei jeder Priester oder Mönch, der sich überhaupt dazu zwingen lässt, dem Staat Steuern zu bezahlen.

      Papst Bonifatius VIII war der letzte, der den historischen Durchblick besaß. Nach ihm kamen, wie gesagt, die Maler. Die mit der Gnade der späten Geburt, mit dem geringen Wissen und der blühenden erotischen Phantasie. Ganz zum Schluss kam Karlheinz Deschner. In seinem Buch „Das Kreuz mit der Kirche” schreibt Deschner wörtlich, der heilige Antonius habe in der Wüste ständig „ganze Legionen nackter Frauen” um sich gesehen. Ja ist denn Karlheinz Deschner nicht selber Manns genug, um zu wissen, dass ein einziger Beamter der Steuerfahndung ungleich gefährlicher ist als ganze Legionen nackter Frauen?

      Lasset uns beten!

      Heiliger Antonius von Ägypten, Patriarch der Eremiten, Mönchsvater des Westens und Schutzpatron der christlichen Steuerflüchtlinge! Aus deinem himmlischen Steuerparadies blick gnädig herab auf uns geplagte Steuerzahler des 21. Jahrhunderts. Schütze du die letzten Steueroasen der Christenheit. Schütze Luxemburg und Liechtenstein. Protect Jersey and Guernsey. Segne die Schweiz! Schenke uns, wir bitten dich, schenke nicht nur Priestern und Mönchen, sondern all den verzweifelten christlichen Steuerzahlern einen Papst, der dem Fiskus aufs Neue so furchtlos entgegentritt wie Bonifatius VIII mit seiner großartigen Bulle „Clericis laicos”. Auf dass wir alle dereinst, von irdischer Steuertyrannei erlöst, eingehen zu dir, Antonius, ins himmlische Steuerparadies.

      Amen.

      Kassian in der Wüste

      Worin wir eine dynamische Methode der Keuschheit kennen lernen.

      Die Gerüchte kamen aus Ägypten und sie klangen so unglaublich, dass sie das Rom des späten 4. Jahrhunderts in maßlose Aufregung versetzten. In Ägypten, hieß es, seien abertausend Männer aus den Städten und Dörfern am Nil aufgebrochen in die Wüste. Um dort ein Leben in vollkommener Keuschheit zu führen. Im radikalen Zölibat.

      Die „Wüstenväter”! Wer verstehen will, warum solche Gerüchte, obwohl sie vom äußersten Rand der damaligen Welt kamen, gerade in Rom, in der antiken Metropole, als Sensation empfunden wurden, der muss sich einen Augenblick vor Augen halten, was die Sexualität dem antiken Menschen bedeutet hat. Sex galt damals, ähnlich wie im 21. Jahrhundert wieder, als etwas „Natürliches”, als etwas „Gesundes”. Die Götter im antiken Himmel, Zeus selber, hatten nichts im Kopf als Sex. Das Christentum hatte eine andere Lehre nach Rom gebracht, aber kaum eine andere Praxis. Für die Römerinnen und Römer des 4. Jahrhunderts war Sex noch immer das, was jeder, ob Gott ob Mensch, „einfach braucht”.

      Natürlich hatte auch die Antike ihre Außenseiter: Ärzte wie Hippokrates, der spottete, nach seiner medizinischen Erfahrung mache nichts so krank wie Sex; oder Philosophen wie Epiktet, der behauptete, Sex erschöpfe sich darin, Dummheiten zu machen. Aber das waren, wie gesagt, Außenseiter. Um zu erfahren, was die antike Allgemeinheit im Kopf hatte, genügt noch heute ein Spaziergang durch die Ruinen von Pompeji. An allen Wänden nichts als erotische Graffiti, nichts als Porno-Zeichnungen – genau wie heute nichts als Sex.

      Und jetzt das. Keuschheit in der Wüste! Viele Wüstenväter, hieß es, hätten sich bei Theben in alten Felsengräbern aus pharaonischer Zeit bei lebendigem Leib begraben. In der Nitrischen Wüste, westlich von Alexandrien, lebten andere wie Hyänen in selbstgegrabenen Erdhöhlen. Und drüben, in den Wüsten östlich von Alexandrien, würden manche dieser neuen Asketen „Säulenheilige” genannt, weil sie von hohen selbstgemauerten Säulen verächtlich herabblickten auf die Gelüste der Welt. Aber ob sie nun in Gräbern hausten, in Erdhöhlen oder auf Säulen, eines, so lauteten die Berichte aus Ägypten, hätten die Wüstenväter alle gemein: den radikalen Zölibat.

      Besonders groß war die Aufregung über diese ägyptische Sensation bei den Intellektuellen in Rom. Intellektuelle sind nun mal von Natur aus so eine Art geistige Wüstenväter. Insbesondere die christlichen Intellektuellen spielten im spätantiken Rom eine ähnliche Rolle wie heute bei uns die Linksintellektuellen. Und wie denn eine Weile, in den siebziger und achtziger Jahren, die deutschen Linksintellektuellen alle von den Hopi-Indianern in der Wüste Arizonas schwärmten, so begannen jetzt, in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, die christlichen Intellektuellen Roms alle von den Wüstenvätern in Ägypten zu schwärmen. Von den Wüstenvätern sozusagen als den Hopi-Indianern einer christlichen Keuschheit, von der in Rom selber nichts zu spüren war. Im Salon der heiligen Paula, einer steinreichen Römerin, die die meisten christlichen Intellektuellen finanziell aushielt, entstanden jetzt unzählige Hymnen auf die Keuschheit in Ägypten.

      Während so in den christlichen Salons die neue Poesie der Keuschheit blühte, erging sich das gemeine römische Volk in wilden Spekulationen: Wie geht das eigentlich ganz konkret und im Detail zu, wenn viele tausend Männer weit draußen in der Wüste, einsam unter Palmen, der Keuschheit frönen? Gerade weil niemand etwas Genaues wusste, überstürzten sich in Rom, bei den Friseuren und in den Badehäusern, die Gerüchte.

      Diese Gerüchte braucht sich niemand im Kopf vorzustellen. Sie sind noch heute zu besichtigen. Im Bilde. So sehr nämlich haben sie die abendländische Phantasie beherrscht, dass sie zu einem der großen, klassischen Themen der Malerei wurden. Es handelt sich um die „Versuchungen des heiligen Antonius”.

      Nochmals gesagt: Abertausende von ägyptischen Christen waren, um Frau Welt zu entfliehen, hinausgezogen in die Wüste, unter ihnen einige so bedeutende Persönlichkeiten wie Makarios der Alte oder Pachomios der Mönchsvater. In der römischen Gerüchteküche aber, wie das nun mal mit Gerüchten ist, verdichteten sich alle