Название | Karmische Rose |
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Автор произведения | Ulrike Vinmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783937883588 |
Die ersten Tage in der neuen Umgebung kamen Loredana irgendwie unwirklich vor. Ihr Mann war seit einer Woche in München und Alejandro war viel bei seiner Großmutter. Diese fragte Loredana dann auch gleich, ob er nicht weiterhin bei ihr wohnen könne, dann wäre es für sie leichter, als wenn sie ihn jeden Morgen um halb sieben bei Loredana abholen müsse, bevor diese zur Arbeit fuhr. Loredana konnte die Argumente ihrer Schwiegermutter nachvollziehen und sie sah auch ein, dass es für Alejandro und letztlich auch für sie selbst bequemer wäre. Gleichzeitig würde es jedoch auch bedeuten, dass sie und ihr Sohn sich noch mehr voneinander entfernten. Aber nach den harten Jahren in Madrid an der Seite eines Mannes, der sie nicht unterstützte, hatte sie keine Kraft mehr, sich zu widersetzen. So nahm sie Marías Vorschlag an.
Alejandro hatte zwar ein eigenes Zimmer in ihrer Wohnung, aber er war selten dort. Meist ging Loredana ins Haus der Schwiegermutter, um mit ihrem Sohn zusammen zu sein. Auf gewisse Weise fühlte es sich falsch an, aber sie wusste nicht, wie sie es hätte ändern sollen.
Die Abwicklung des Wohnungskaufes erwies sich als komplizierter als angenommen. Loredana wartete noch auf die Zurückzahlung des Geldes, das sie in Madrid angelegt hatte und das nun als Anzahlung für die neue Wohnung genommen werden sollte. Die Überweisung war längst überfällig und die Besitzer der neuen Wohnung wurden ungeduldig.
Es war für sie sicher ungewöhnlich, mit einer Frau zu tun zu haben, und sie hätten sich wahrscheinlich leichter getan, mit Sergio zu verhandeln. Die Zusammenkünfte mit ihnen waren für Loredana oft unangenehm. Die beiden – ein Ehepaar – behandelten sie mit Distanz und Misstrauen. Oft war sie nach solchen Treffen wütend auf Sergio, darauf, dass er sie so alleine ließ, wo er doch ganz genau um die Mentalität der Ortsansässigen wusste. Wenn Loredana ihm am Telefon von diesen Treffen und ihren Gefühlen erzählte, hörte sie von ihm immer dasselbe: »No pasa nada – alles halb so wild.« oder »Pasa olímpicamente – das kann dir doch gleichgültig sein.« Am Ende hatte sie schon gar keine Lust mehr, ihn an ihren Sorgen teilhaben zu lassen. Wozu auch? Ihm fiel ja sowieso nicht viel dazu ein.
Endlich war das Geld aus Madrid überwiesen worden und der Notartermin konnte stattfinden. Sergio kam für diesen Termin aus München angereist, schließlich kauften sie die Wohnung auf beider Namen. Fast wie der Anflug einer Ahnung ging es Loredana kurz vor dem Termin durch den Kopf, ob es nicht doch besser wäre, die Wohnung nur auf ihren Namen schreiben zu lassen. Aber der gemeinsame Kauf war beschlossene Sache und sie wollte die Entscheidung nicht im letzten Moment kippen.
Als Sergio und sie zur Kanzlei des Notars gingen, hatte Loredana zwar ein komisches Gefühl, aber sie wagte nicht, diesem nachzugeben. Zu gut hatte sie verinnerlicht, dass Pflichtgefühl über momentan auftauchenden Gefühlsregungen zu stehen habe. Das hatte ihre Stiefmutter ihr immer wieder vermittelt.
Sie war eine Frau, die ihr ganzes Pflichtgefühl brauchte, um die Ehe mit ihrem Mann aufrechterhalten zu können, eine Ehe, die in Wirklichkeit schon lange keine mehr war. Loredana überlegte oft, ob ihre Eltern sich jemals geliebt hatten. Ihr Vater war Bürgermeister des Dorfes gewesen, in dem sie an der Costa Brava lebten. Sein Beruf war mit einem gewissen Prestige verbunden und er hatte auch öfters verreisen müssen, sodass Stiefmutter und Tochter oft alleine waren.
Sie hatte diese Zeiten als trostlos in Erinnerung und hatte sich oft gewünscht, ihre leibliche Mutter würde noch leben. Aber diese war früh gestorben und ihr Vater hatte ihr gesagt, dass sie ›brav‹ sein und ihrer Stiefmutter immer gehorchen solle. Diese war eine Frau, die ihre Augen vor allem verschloss, was sie nicht sehen wollte. Einmal hatte sie zu ihr gesagt: »Weißt du, vielleicht hat es andere Frauen für deinen Vater gegeben. Aber ich war immer seine Ehefrau. Das ist so, wie wenn es in einer Stadt mehrere Kirchen gibt. Aber es gibt nur eine Kathedrale. Und die war ich.«
Loredana war Jugendliche gewesen, als sie diese Worte gehört hatte. Sie hatte sie damals nicht verstanden und sie verstand sie auch heute nicht. Wie konnte ihre Mutter behaupten, dass sie ›die Kathedrale‹ sei, und daraus ein Gefühl wie Stolz ableiten, wo doch das natürliche Gefühl Ärger auf ihren Mann hätte sein müssen? Loredana konnte sich das nur so erklären, dass ihre Mutter sehr streng katholisch erzogen worden war und gelernt hatte, dass eine Frau ›alles verzeihen‹ und ihrem Mann stets zu Diensten sein müsse. Der bloße Gedanke daran erzeugte Übelkeit in ihr.
Ein bisschen bedauerte sie auch, mit ihrem Vater nie über all diese Dinge gesprochen zu haben. Sie erinnerte sich an ihn mit Liebe, aber auch mit vielen Fragezeichen. Über seine erste Ehe mit Loredanas leiblicher Mutter hatte er nie gesprochen.
Mit diesen Gedanken war sie beschäftigt, während sie mit Sergio zur Kanzlei des Notars lief. Sie dachte: »Und obwohl ich mich immer so gegen die Ideologie meiner Stiefmutter verwehrt habe, gehe ich doch hier an der Seite eines Mannes, von dem ich nicht genau weiß, ob ich ihn noch liebe, zu einem Termin, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn wahrnehmen will, um eine Wohnung zu kaufen, die ich eigentlich auch nicht will.«
Es kam ihr vor, als laufe ein zweites Ich neben ihr her, das die ganze Situation beobachtete und kommentierte. Loredana sah sich wie von außen. Sie kannte dieses Gefühl aus vielen Situationen, die in Zusammenhang mit ihrem Mann standen. Wie meistens bemerkte Sergio nicht, dass etwas in ihr vorging. Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich wirklich für seine Frau zu interessieren. Sein Gesicht drückte Selbstzufriedenheit und eine Spur von Arroganz aus – wie so oft. Er war im Begriff, das zu bekommen, was er wollte – eine Wohnung gleich gegenüber von dem Haus seiner Mutter. Sein bequemes Leben für die nächsten Jahre war gesichert.
Die Sekretärin führte sie in ein muffiges, nach abgestandenem Rauch und viel altem Papier riechendes Büro. Der Notar selbst war mittleren Alters und hatte die gelangweilte Attitüde eines Mannes, der seine Schäfchen bereits im Trockenen hat.
Sergio übernahm sofort die Führungsrolle in der Situation, obwohl sie die Wohnung von Loredanas Ersparnissen kauften. Auch das registrierte sie mit Unbehagen, wusste jedoch nicht, wie sie diesem Gefühl Ausdruck hätte verleihen sollen. Die Männer begannen, auf eine kumpelhafte Art und Weise über Fußball zu reden, und sie fragte sich, warum sie sich in solchen Situationen immer wieder in die zweite Reihe stellen ließ. Sie fühlte sich dann oft wie ein kleines Kind, dem die Eltern sagen, dass es warten muss. Ein heißes Gefühl stieg aus ihrem Inneren an die Oberfläche. War es Wut? Oder Ärger? Auf jeden Fall war es ein intensives Unbehagen, das sie verspürte.
Der Notar und Sergio hatten ihre Plauderei beendet und das Verkäuferehepaar war inzwischen auch eingetroffen. Wie selbstverständlich übernahm der Mann der Verkäuferin die Gesprächsführung, obwohl die Wohnung seiner Frau gehörte. Loredana dachte: »Was für eine skurrile Situation – eigentlich müsste diese geschäftliche Transaktion zwischen uns beiden Frauen abgewickelt werden. Sie hat die Wohnung, ich habe das Geld – und trotzdem tun die Männer so, als wären sie die Hauptpersonen.«
Nach einigem Hin und Her waren die Verträge unterzeichnet und sie verließen die Kanzlei als frischgebackene Wohnungsbesitzer. Sergio schlug vor, das Ereignis irgendwo zu feiern, aber Loredana war nicht nach feiern zumute. Wie so oft befand sie sich in der Zwickmühle, Sergios Wünschen nachzugeben, sich dann aber schlecht zu fühlen, oder ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern, woraus aber ebenfalls schlechte Gefühle oder zumindest ein schlechtes Gewissen resultieren würden, denn Sergio würde auf seine gewohnte, leicht beleidigte Art und Weise reagieren, wenn sie ihm sagte, dass sie nicht dasselbe wollte wie er.
Sie dachte: »Warum habe ich in dieser Ehe immer nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, die ich beide nicht will? Warum muss ich mich immer entscheiden zwischen zwei Dingen, die beide nicht wirklich stimmig sind? Ich will mich doch einfach nur gut fühlen.«
Sarah – November 2007
Fünf