Название | Das Erbe von Tench'alin |
---|---|
Автор произведения | Klaus D. Biedermann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783937883830 |
Der Tuchhändler hatte den Ausführungen seines Sohnes nicht ganz folgen können. Er war nur froh, dass er wohlbehalten zurück war. Aber der war mit seinen Ausführungen noch nicht fertig und fuhr aufgeregt fort: »Und jetzt kommt noch etwas sehr Merkwürdiges – und das schlägt wirklich dem Fass den Boden aus. Dort oben gibt es ein Schiff! Kannst du dir das vorstellen? Ein voll ausgerüstetes Segelschiff, ich glaube es ist eine Brigg ... mitten in den Bergen! Ist das nicht absurd? Sie muss allerdings neueren Datums sein, viel jünger als die Ruinen.
Sie ist in einem sehr guten Zustand ... man könnte sofort mit ihr lossegeln ... also wenn sie in einem Hafen liegen würde. Aber das war sicher noch lange nicht alles, das Tal ist groß. Jared wollte noch dort bleiben, um genauere Untersuchungen anzustellen. Er meinte, dass jeder Mörder einen Hinweis hinterlassen würde, und den wolle er finden. Danach hat er vor, nach Haldergrond zu gehen, um die Äbtissin um Rat zu fragen.«
»Adegunde? Er will wirklich Adegunde um Rat fragen, die Äbtissin von Haldergrond? Bist du dir da sicher? Das hat er tatsächlich vor?«
Hatten die Gesichtszüge des Tuchhändlers bis eben noch Besorgnis gezeigt, so schaute er jetzt erstaunt. Die Sache mit dem Schiff, das es dort in den Bergen geben sollte – und wenn es nicht sein Sohn gewesen wäre, der ihm das erzählt hatte, hätte er es nicht geglaubt –, war schon mehr als seltsam, aber dass Jared sich jetzt auch noch nach Haldergrond begeben wollte, übertraf selbst das noch.
Der Inhaber der größten Tuchweberei des Landes kannte den Farmer sehr gut. Er war sein Jagdfreund und saß seit Langem an seiner Seite im Gemeinderat von Winsget. Dass dieser Mann jetzt im Begriff war, eine Frau um Rat zu fragen, die zwar zugegebenermaßen überall einen hervorragenden Ruf genoss, von dem bodenständigen Jared allerdings mehr als einmal belächelt worden war, war schwer zu glauben. Des Öfteren hatte der in vertrauter Runde gesagt, wenn sie nach einer anstrengenden Ratssitzung noch im Dorfkrug oder in der Alten Mühle beisammensaßen, dass er nichts von diesen Dingen halte. Damit hatte er all das gemeint, wofür Haldergrond berühmt war, außer der Musik natürlich. Da musste also jetzt entweder über Nacht eine enorme Wandlung in Jared vorgegangen sein oder die Verzweiflung hatte ihn zu diesem Schritt veranlasst. Harie glaubte an das Zweite.
»Ja, das waren seine Worte«, ergänzte Scotty mit Nachdruck, »bevor wir uns getrennt haben. Ich hatte ihm noch angeboten, ihn zu begleiten, auch weil ich mir Haldergrond gerne einmal angeschaut hätte, doch er meinte, ich solle meinen Hintern nach Hause bewegen, weil ihr euch bestimmt Sorgen machen würdet. Na ja ... er hatte ja recht ... und irgendjemand muss schließlich die Nachricht überbringen. Mir wird ganz schlecht, wenn ich nur daran denke.«
»Und ob er recht hatte. Deine Mutter hat keine Nacht geschlafen, aber das wirst du wohl erst verstehen, wenn du selbst einmal Kinder hast«, meinte sein Vater mit nur leichtem Vorwurf in der Stimme, denn seine Freude, dass Scotty wohlbehalten zurück war, war größer. Dass er sich ebensolche Sorgen gemacht hatte, verschwieg er.
»Selbstverständlich komme ich mit«, hatte Greta sofort zugestimmt. Darüber musste sie nicht nachdenken. Sie hatte sehr geweint, nachdem sie alles erfahren hatte. Sie hatte Vincent, den sie von Kindesbeinen an gekannt hatte, gemocht.
Dessen betont lässige und arrogante Fassade, die er sich im Laufe der Jahre zugelegt hatte, hatte sie durchschaut. Schließlich war der Farmersohn im Hause Valeren ein- und ausgegangen, hatte sogar hin und wieder hier übernachtet, wenn es für den weiten Weg hinaus zur Farm wieder einmal zu spät geworden war.
Sie hatte immer die Meinung vertreten, dass es nicht gut für Vincent gewesen war, dermaßen verwöhnt zu werden. Diesen Vorwurf hatte sie mehr als einmal im Stillen gemacht, insbesondere in Richtung beider Großelternpaare, die – und das wusste hier jeder – eine Art skurrilen Wettstreit im Verwöhnen des einzigen Enkels ausgetragen hatten.
Als Vincent älter geworden war und dabei immer unliebsamere Seiten von ihm zum Vorschein gekommen waren, war sie nicht glücklich über Scottys Umgang gewesen. Sie hatte sich aber nicht eingemischt, weil sie wusste, dass sie damit eher das Gegenteil erreichen würde. Dazu kannte sie ihren Sohn zu gut. Als die beiden erwachsen waren, wollte und konnte sie ihm den Umgang mit Vincent nicht mehr verbieten.
Nicht zuletzt auch, weil sie mitbekam, dass Scotty sich nicht verbiegen ließ, sondern eher er einen mäßigenden Einfluss auf Vincent zu nehmen schien.
Sie erreichten die Farm nach einer halben Stunde zügiger Fahrt. Greta Valeren war eine Frau der Tat und so war der Zweispänner schnell abfahrbereit gewesen. Als sie von der Hauptstraße abgebogen und durch das große Tor unter dem Schild mit der Aufschrift Raitjenland hindurchgefahren waren, bat sie ihren Sohn, er möge die Pferde die lange, schnurgerade, von alten Ulmen gesäumte Zufahrt zum Haupthaus im Schritt gehen lassen. Ein Beobachter sollte sich nicht jetzt schon unruhige Gedanken machen müssen und Scotty war das nur recht, denn auf das, was jetzt zwangsläufig kommen musste, war er wirklich nicht erpicht. Niemand hatte sie jedoch bemerkt, weil um diese Zeit alle auf den Feldern bei der Ernte oder in den Ställen bei der Arbeit waren. Die Hunde schlugen nicht an, weil sie sowohl die Kutsche als auch deren Insassen kannten.
Es war Scotty noch nie so schwergefallen, die drei Stufen bis zum Eingang emporzusteigen. Als er vor der mächtigen Eingangstür stand und an dem Seil ziehen sollte, das im Inneren des Hauses eine Glocke ertönen lassen würde, zögerte er, als ob die Quelle seiner Entschlossenheit mit einem Mal versiegt sei. Er musste ein paarmal läuten, bevor von drinnen schlurfende Schritte zu hören waren. Inga, die alte Köchin, hatte endlich die schwere, mit Messing beschlagene Tür geöffnet.
»Oh, Frau Valeren, guten Tag, Scotty, welch eine Überraschung«, begrüßte sie die Besucher freundlich, »entschuldigt, dass es so lange gedauert hat, aber ihr wisst ja … meine Knie.«
Die Freude über diesen Besuch war ihr deutlich anzusehen.
»Guten Morgen, Inga«, begrüßte Scotty die Frau, deren leckeres Essen er schon so oft hatte genießen dürfen.
Plötzlich umwölkten sich Ingas Augen. Eine dunkle Ahnung schlich sich in ihr Herz wie eine Schlange in einen Kaninchenbau. Sie kannte Scotty zu gut, als dass er etwas vor ihr verbergen konnte, und dass seine Mutter mitgekommen war – gewöhnlich stand sie um diese Zeit in ihrem Geschäft und beriet Kunden –, konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten.
Eingeladen waren die Valerens jedenfalls nicht, das hätte sie gewusst und wäre am Herd gestanden, um für sie und Elisabeth das Mittagessen zuzubereiten.
»Ist etwas passiert? Ist was mit unserem Jungen passiert? Sag schon, Scotty!«
Dann begann sie zu weinen.
»Ja, Inga, wir müssen mit Elisabeth sprechen. Kannst du sie bitte holen? Sie ist doch zu Hause?«
»Sie ist hinten im Garten … ist Vincent verunglückt? Bitte sag es mir! Wo ist Jared?« Ihre Stimme klang flehend und weinerlich zugleich.
»Es gab einen Unfall, ich möchte es aber zuerst Elisabeth sagen … bitte verstehe das.«
»Natürlich, selbstverständlich … kommt bitte herein. Ihr kennt ja den Weg, macht es euch im Wohnzimmer bequem. Ich hole sie ... oh mein Gott.«
Sie humpelte durch die geräumige Eingangshalle davon.
Scotty blickte ihr nach, bis sie durch die niedrige Holztür unter dem präparierten Kopf eines Steinbocks mit mächtigem Gehörn verschwunden war. Dahinter lag, wie Scotty wusste, ein Gang, der zu den Gewächshäusern und Gärten führte.
Dann folgte er seiner Mutter in den Wohnraum der Farm.
»Ich hatte es geahnt«, schluchzte Elisabeth Swensson, »ich hatte es im Gefühl, als der Junge neulich so Hals über Kopf losgerannt ist ... ich habe es irgendwie gespürt! Eine Mutter spürt so etwas.«
In einer Hand hielt sie den Brief ihres Mannes, auf dem die Spuren ihrer Tränen zu sehen waren, die sich auf dem weißen Papier wie dunkle, Unheil verkündende Sterne ausnahmen.
Mit der