Aus der emotionalen Achterbahn aussteigen. Patricia Zurita Ona

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Название Aus der emotionalen Achterbahn aussteigen
Автор произведения Patricia Zurita Ona
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783867813136



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Papier zur Hand und stellen Sie sich einen Küchenwecker oder Timer, um dem Lied 2 Minuten lang zu lauschen. Wenn der Wecker klingelt, nehmen Sie Ihr Tagebuch zur Hand und beantworten Sie folgende Fragen:

      • Welche körperlichen Reaktionen haben Sie wahrgenommen?

      • Haben Sie eine bestimmte Körperempfindung bemerkt? War diese Empfindung statisch oder hat sie sich verändert?

      • Welches Gefühl oder welche Gefühle sind aufgetaucht? Können Sie sie benennen?

      • Waren diese körperlichen Empfindungen und Gefühle von Gedanken, Bildern oder Erinnerungen begleitet?

      • Haben Sie irgendwann versucht, etwas an Ihren Gefühlen zu ändern, sie zu unterdrücken oder ihnen zu entfliehen?

      Manchmal fällt es meinen Klient/innen schwer, das Gefühl präzise zu benennen. In diesem Fall könnten Sie sich eine Auflistung von Emotionen im Internet anschauen.

      Teil 2: Stellen Sie Ihren Timer auf 2 Minuten ein, schließen Sie die Augen und rufen Sie sich eine (nicht allzu) schwierige Situation ins Gedächtnis, mit der Sie in der vergangenen Woche konfrontiert waren. Es kann eine Situation sein, die sich in der Schule oder am Arbeitsplatz zugetragen hat oder mit Freunden oder Verwandten. Versuchen Sie, sich die Situation so lebendig wie möglich ins Gedächtnis zu rufen. Nehmen Sie die Erinnerung aufmerksam in allen Einzelheiten wahr, die damit verbundenen Geräusche und die Besonderheiten dieses herausfordernden Moments. Beantworten Sie danach dieselben Fragen wie im ersten Teil der Übung.

      Shelly erinnerte sich beispielsweise an ein Telefongespräch mit ihrer Mutter, Amanda, und an ihre Enttäuschung, als sie dabei erfuhr, dass Amanda sie nicht besuchen würde. Shelly bemerkte, wie sich in ihrem Brustkorb alles zusammenzog, und sie verspürte den starken Impuls, ihrer Mutter zu sagen, wie egoistisch und rücksichtslos es von ihr sei, sie nicht zu besuchen, obwohl Shelley sie im Lauf der Jahre so oft darum gebeten hatte. Shelley nahm wahr, wie stark und überwältigend diese Impulse während des Telefonats und sogar noch danach waren.

      Haben Sie bemerkt, dass eine emotionale Erfahrung keine statische Angelegenheit ist? Sie setzt sich aus vielen kleinen Einzelkomponenten zusammen: körperlichen Empfindungen, Handlungsimpulsen und Gedanken – und sie tauchen alle auf einmal auf. Denken Sie daran, dass ich, wenn ich »Gedanken« sage, auch innere Bilder und Erinnerungen meine, nicht nur Wörter oder eine Folge von Wörtern. Jede Emotion, die wir erleben, ist tatsächlich ein Mikrosystem. Wenn Sie hochsensibel sind, werden Sie jeden Tag mit Hunderten solcher Mikrosysteme konfrontiert, mit einem Gefühl nach dem anderen, und Sie erfahren sie mit maximaler Intensität und in rascher Folge.

      Der zweite Aspekt, auf den ich Sie im Zusammenhang mit dieser Übung aufmerksam machen möchte, ist dieser: Wenn Sie Ihre Emotionen wahrnehmen, beschreiben Sie eigentlich das Gefühl, die Empfindungen, Gedanken, Impulse und inneren Bilder, die damit einhergehen. Wenn Sie sagen »Ich nehme eine schreckliche Erinnerung wahr«, ist das im Grunde keine Wahrnehmung, aber wenn Sie sagen, »Ich nehme die Erinnerung daran wahr, wie mein Auto kaputt ging«, dann ist es Wahrnehmen.

      Wahrnehmen, was was ist

      Lesen Sie die folgenden Zitate, in denen zwei verschiedene Reaktionen auf die Nachricht über den Hurrikan »Irma« in Florida zum Ausdruck kommen:

      • »Ich war schockiert, traurig und machte mir Sorgen um alle in Florida, und dann verspürte ich das dringende Bedürfnis, etwas zu tun.«

      • »Ich kann mich nicht genau daran erinnern, was passiert ist. Ich weiß nur, dass ich gemischte Gefühle hatte und als Nächstes erinnere ich mich daran, dass ich mich niedergeschlagen fühlte.«

      Was ist Ihnen aufgefallen? Die erste Person beschreibt eine spezifische emotionale Reaktion und die zweite machte eine vage Aussage über ihre Erfahrung. Warum ist das wichtig? Eine von Kashdan et al. (2015) an der George Mason University in Fairfax, Virginia, durchgeführte Studie mit Probanden, die mit sozialen Ängsten zu kämpfen hatten, kam zu dem Ergebnis, dass Menschen, die belastende Emotionen erleben, diese aber nicht genau identifizieren können, mit höherer Wahrscheinlichkeit auf andere, nicht hilfreiche Bewältigungsstrategien zurückgreifen wie Alkoholmissbrauch oder Aggression.

      Was bedeutet dieser Befund für die Situation von Hochsensiblen? Hochsensible fühlen zu intensiv, zu schnell. Das bedeutet, dass sie innerlich überwältigt werden, denn sie wissen nicht, wie sie ein Problem lösen können, weil sich alles so komplex anfühlt. Wenn Sie allerdings lernen, innezuhalten und die Auslöser der emotionalen Maschinerie zu identifizieren, macht das einen großen Unterschied im Hinblick auf ihre Reaktion. Versuchen Sie also, wenn sich alles kompliziert anfühlt, den Ausgangspunkt zu finden. Fragen Sie sich: »Was war das erste Gefühl, das meine emotionale Maschinerie in Gang gesetzt hat?«

      Kernkompetenz: Die eigenen Gefühle wahrnehmen und benennen

      Das Benennen der eigenen Gefühle (als Kompetenz) hört sich vielleicht wie eine ganz simple und fast unbedeutende Aufgabe an, aber Sie werden überrascht sein, zu erfahren, was die Forschung darüber herausgefunden hat und wie hilfreich dieses Benennen sein kann, wenn der emotionale Schalter gedrückt wird.

      Craske et al. (2014) führte eine Studie durch, bei der die Wirkung des Benennens von Emotionen bei Menschen untersucht wurde, die Angst vor Spinnen haben. Alle, die an der Studie teilnahmen, erhielten zunächst eine allgemeine Anweisung: sich so nah wie möglich daran heranwagen, eine Spinne zu berühren. Aber nachdem sie in vier Gruppen eingeteilt worden waren, erhielten sie unterschiedliche Anweisungen dazu, wie sie mit ihren Emotionen umgehen sollten, je nachdem, welcher Gruppe sie zugeteilt wurden.

      • Die erste Gruppe wurde instruiert, ihre Gefühle in Bezug auf die Spinne zu benennen, während sie auftauchten (beispielsweise »Ich bin angespannt, ich habe Angst« etc.).

      • Die zweite Gruppe wurde gebeten, anders über die Spinne zu denken, sodass sie weniger bedrohlich wirken würde (beispielsweise »Spinnen können mir nichts tun«, »Diese Spinne ist klein« und so weiter.)

      • Die Probanden der dritten Gruppe sollten sich von den Gefühlen, die die Spinne in ihnen auslöste, ablenken.

      • Die vierte Gruppe bekam gar keine Anweisungen.

      Die physiologische Reaktivität der Teilnehmer wurde sofort und noch einmal eine Woche nach dem Experiment gemessen. Welche Gruppe kam Ihrer Meinung nach wohl am nächsten an die Spinne heran und welche Gruppe zeigte die geringste physiologische Reaktivität? Zur allgemeinen Überraschung zeigten die Teilnehmer der Gruppe, die ihre Emotionen unmittelbar beim Auftauchen benannt hatten, weniger physiologische Anzeichen von Angst und kamen der Spinne am nächsten.

      Wie ist das möglich? Das Benennen Ihres Gefühlszustands verringert die Aktivität in der Amygdala, jenem Organ in Ihrem Gehirn, das für Ihre emotionalen Reaktionen verantwortlich ist. Die Fähigkeit, Ihre Gefühle zu benennen, wird Ihnen helfen, Ihre überaktive Amygdala herunterzuregeln. Ihre Emotionen beim Auftauchen als das zu wahrzunehmen, was sie sind und sie zu benennen, sind Schlüsselfähigkeiten, um das Gefühlschaos zu regulieren, wenn es aktiviert wird, insbesondere, wenn Sie emotionalen Schmerz erleiden. Aber Sie fragen sich vielleicht, wieso wir überhaupt Gefühle haben, wenn sie doch so schmerzhaft sind. Das ist unser Thema im nächsten Kapitel.

       Kapitel 6

      Welche Funktion erfüllen Emotionen?

      Ich saß mit einem Kollegen beim Abendessen und während wir über ein Seminar sprachen, an dem er teilnehmen wollte, schaute er mir in die Augen und sagte voller Überzeugung: »Wir sind fühlende Wesen.« Natürlich wussten wir das beide, aber es war das Stichwort, das ich brauchte, um über einen der faszinierendsten Aspekte unserer Komplexität als Menschen zu schreiben: Unsere emotionale Landschaft.

      Antonio Damasio war der erste Neurologe, der die Überlegenheit des Denkens infrage stellte, der die wichtige Funktion der Emotionalität anerkannte und herausarbeitete, wie Gefühle das rationale Denken unterstützen können. Damasios Arbeit mit einem Klienten namens Elliot bildete die Grundlage seiner Theorie (1994).

      Elliot war erfolgreicher Geschäftsmann, vorbildlicher Vater und engagierter Ehemann, als bei ihm ein Hirntumor