1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



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legen, was ich mir von ihnen wünsche und erhoffe: Sie sind der einzige Politiker in Deutschland, der fest auf dem Boden vaterländischer Werte steht und der zugleich über den vertraulichen Zugang zu den führenden Vertretern der demokratischen Parteien verfügt. Deshalb sind sie auch der einzige, der im ersten Schritt über das nötige Wissen verfügt, um erkennen zu können, auf welchem Wege die Herren Scheidemann und Erzberger vielleicht zu einer Mitwirkung an unserem Friedensplan für 1918 bewogen werden können. In einem zweiten Schritt wären sie dann wiederum der einzige, der bei den Herren der demokratischen Fraktionen über das nötige Vertrauen verfügte, in Gesprächen vielleicht sogar ihre Kooperation zu erreichen. Das ist der wahre Grund, warum ich es bereits vor Kenntnis der genauen Ergebnisse des Kronrats als unabdingbar beurteilt habe, das vertrauensvolle Gespräch mit ihnen zu suchen.”

      Der Kronprinz legt eine Kunstpause in seiner Erläuterung ein. Er erwartet von mir wohl kaum einen Widerspruch, kaum eine Erwiderung oder Antwort. Vielmehr ringt er offenbar um die richtigen Worte, um sein Anliegen en Detail vorzubringen.

      „Die sozialistisch gesinnten Arbeiter blicken seit März 1917 aufmerksam nach Petersburg und Moskau. Der dort erhobene Ruf nach einem Frieden ohne Sieger findet auch in Deutschland viel Zuspruch. Doch es braucht gar nicht einmal der sozialistischen Überzeugung dazu. Ich ganz persönlich werte Erzbergers Friedensresolution vom Juli als eine kleine Verzweiflungstat. Denn auch Erzberger musste bemerken, wie sehr seine katholischen Arbeiter unwillig wurden, Entbehrungen für die Fortsetzung des Kampfes auf sich zu nehmen. Dieser bitteren Wahrheit haben sie und ich, lieber Stresemann, sich längst geöffnet. Gestern aber musste ich im Kronrat wieder einmal erleben, wie sehr die manches Mal all zu selbstbewussten Vertreter der alten preußischen Führungsschichten die Augen davor verschließen, wie sehr ihre Siegesplanung für 1918 auf völlig tönernen Füßen steht, falls die deutsche Arbeiterschaft ihnen die Gefolgschaft verweigerte und einen Generalstreik zur Erzwingung des Waffenstillstandes aufnähme. Der Generalquartiermeister beruhigt sich damit, seine Politik aus Zuckerbrot und Peitsche werde ihre Wirkung nicht verfehlen. Ludendorff setzt auf die Abschreckung einer möglichen Einziehung zum Heer in Kombination mit der erfolgreichen Wirkung unserer Propaganda, ein Friedensersuchen unsererseits werde die Feinde nur in ihrer Überzeugung bestärken, uns doch noch besiegen zu können. Gerade die Franzosen seien unendlich weit davon entfernt, von ihren eigenen maßlosen Forderungen Abstand zu nehmen. Also sind sie und ich vielleicht die einzigen aus dem Kreise jener Deutschen, die über Einfluss verfügen und die gleichzeitig längst erkannt haben, dass wir auf die Führer der Arbeiterschaft aktiv zugehen müssen, um dem Sieg den Weg zu ebnen. Wollen sie das gemeinsam mit mir unternehmen, lieber Doktor Stresemann?”

      Lange Zeit zum Nachdenken brauche ich tatsächlich nicht. Denn innerlich gebe ich dem Kronprinzen bei jedem einzelnen seiner Worte vollständig Recht. Allerdings bedeutet es eines, zu erkennen welcher Versäumnisse sich die Militärs schuldig machen, und etwas gänzlich anderes, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Ich stelle mir soeben vor, in der bekannten Viererrunde vom Frühjahr 1917 mit Erzberger, Scheidemann und Haußmann gemeinsam und zugleich höchst geheim darüber zu beraten, dass ihre Parteien und die ihnen nahe stehenden Gewerkschaften für eine Fortsetzung des Kampfes votieren sollen, weil ihnen dann nicht nur der Sieg, sondern zugleich einige schmackhafte Zugeständnisse im Inneren winken. Der Gedanke erscheint mir gleichermaßen verlockend und absurd. Wie soll ein Zugehen auf die Kollegen nur aussehen?

      „Kaiserliche Hoheit, sie scheinen im Ansatz die Dimension der Aufgabe zu erahnen, die da vor uns liegt. Dass es unsere gemeinsame Aufgabe wird, dass ich alles dafür tun will, mit eurer Hoheit für einen guten Sieg und eine stabile Gesellschaft im Inneren zu kämpfen, dass versteht sich für mich von selbst. Jeder gut vaterländisch gesinnte Deutsche hat sein Bestes zu geben, wenn die Krone ihn in der Stunde der Not und der Herausforderung ruft!”

      Der Kronprinz nickt anerkennend. Unterbrechen möchte er mich augenscheinlich nicht. Dennoch macht er eine kurze Bemerkung.

      „Kein Zweifel kam mir daran, auf ihre Hilfe und ihre Gesinnung vollkommen zählen zu können.”

      „Was die Sache selber betrifft, kaiserliche Hoheit, liegt es mir völlig fern, ihnen vorgeblich nach dem Munde zu reden, die Größe der Herausforderung herunterzuspielen. Da sie mich in der Vertraulichkeit unseres heutigen Treffens zu sich gerufen haben, werden sie die Kraft und die Geduld und die Konzentration aufbringen, meiner Einschätzung und meinen Empfehlungen zu lauschen.”

      Die Spur von Ironie, die man in die Worte Konzentration und lauschen hinein legen könnte, ist von mir gar nicht bewusst gewählt und daher auch bestimmt nicht abfällig gemeint. Das ändert selbstverständlich nichts daran, dass der Kronprinz die Spitzen meiner Worte wahrnimmt, ohne mir dies allerdings im Geringsten übel zu nehmen. Im Gegenteil lächelt er.

      „Das dürfen sie tatsächlich von mir erwarten. Bei der Größe der von mir geäußerten Bitte um Mithilfe dürfen sie jetzt und immerdar von mir verlangen, ihnen aufmerksam und so lange wie nötig zuzuhören.”

      „Beginnen wir bei Herrn Erzberger. Die christlichen Gewerkschaften haben zwar nicht ganz so viele Mitglieder wie die sozialistischen. Bis vor dem Krieg jedoch zeigten sie sich Appellen an ihre vaterländische Verantwortung gegenüber stets aufgeschlossener als die Konkurrenz. Also haben wir sicher eine realistische Möglichkeit, über die Reichstagsfraktion des Zentrums auf die Streikneigung der Christlichen Einfluss zu nehmen. Herr Erzberger speziell ist hingegen nicht so naiv, uns seine Unterstützung anzubieten ohne handfeste Gegenleistungen. Zwar liegt ihm vielleicht mehr am Verhandlungsfrieden als am gleichen Wahlrecht in Preußen. Er wird aber sogleich erkennen, dass seine Friedensidee obsolet ist, sobald wir in Russland siegen. Folglich wird er zwei Dinge gleichzeitig fordern: Erstens sollen wir sicherlich trotz der militärischen Erfolge den Bogen an Kriegszielen nicht überspannen. Zweitens wird er seine Kooperation von einer Einführung des gleichen Wahlrechts ausdrücklich vor dem Kriegsende abhängig machen.”

      „Sie sagen das sehr gelassen, lieber Doktor Stresemann. Ich möchte daraus beinahe schließen, dass sie seiner Forderung womöglich zustimmen könnten. Sagen sie mir dazu bitte mehr, denn ich sehe voraus, dass insbesondere die Herren Scheidemann und Ebert noch unversöhnlicher auf dem gleichen Wahlrecht in Preußen bestehen werden.”

      „Kaiserliche Hoheit, sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. Ganz gewiss werden die beiden Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokratie uns keinen Zentimeter entgegenkommen, ohne dass beim Wahlrecht der Durchbruch geschafft sein wird. Falls sie aber nun annehmen, ich sähe das ganz gelassen und würde der Forderung sofort nachgeben, interpretieren sie meine nüchterne Schilderung fehl. Der Grund für meine Ausgeglichenheit ist ein anderer. Ich kann mir sehr wohl eine Lösung vorstellen, die es den Herren Scheidemann, Erzberger und Haußmann ebenso ermöglichte zuzustimmen wie sie dasselbe Graf Hertling, ihnen oder sogar ihrem Herrn Vater erlaubte.”

      „Jetzt haben sie mich neugierig gemacht. Immer heraus damit!”

      „Ja, es gibt da einen Weg. Stellen sie sich vor, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts fände unmittelbar, sagen wir zum 1. Februar oder zum 1. März statt, und zugleich hätte das überhaupt keine Auswirkungen auf die weitere innere Lage, keinerlei Folgen für die Position der vaterländischen Parteien. Ich bin sicher, sie wollen mehr erfahren.”

      „Aber selbstverständlich, heraus damit.”

      „Nun, kaiserliche Hoheit, meine Lösung bestünde darin, das gleiche Wahlrecht in Preußen sofort einzuführen, doch die Durchführung von Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus auf die Zeit nach dem Waffenstillstand zu vertagen. Und sodann würde ich noch eines darauf setzen: Diese verbindliche Aussage für die Zukunft würde ich feierlich im Reichstag durch Seine Majestät, durch den Reichskanzler in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident und dann durch alle Fraktionsvorsitzenden der demokratischen Parteien sowie aller weiterer Parteien, die daran mitwirken wollen, unterzeichnen lassen. Ich kann mir keine wirkungsvollere, machtvollere Demonstration der Einigkeit und der Stärke der deutschen Gesellschaft im Kriege vorstellen. Sollen doch die Blätter des Westens ihre Korrespondenten zu jenem feierlichen Akt entsenden und in ihre Heimatländer berichten, wie einig das deutsche Volk hinter Kaiser, Armee und Regierung stehe.”

      „Ein wahrlich genialer Gedanke, lieber Doktor Stresemann!