1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



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dass die Fraktionen der Fortschrittlichen, des Zentrums und der Sozialdemokraten vor allem anderen einen Verhandlungsfrieden anstreben. Und wer solche Prioritäten setzt, der kommt nicht umhin, sich in seinen Forderungen zu bescheiden, ja sogar der populären sozialistischen Forderung im Grundsatz - ich betone nur im Grundsatz - zuzustimmen, ein Frieden ohne Annexionen und Kontributionen sei auch für unser Reich ehrenhaft und verhandelbar.”

      Oberst Bauer hörte mir aufmerksam und offenkundig zufrieden zu, ob der ebenfalls klaren Worte, die er meinem Munde entnahm.

      „Und die Herren haben detailliert zu erkennen gegeben, worin ihr Kriegszielprogramm für eine internationale Friedenskonferenz bestünde?”

      „Nun, Herr Oberst, so ist das nicht. Das liegt sehr einfach daran, dass diese Frage, die für die OHL verständlicherweise im Mittelpunkt ihre politischen Arbeit steht, gar nicht im Mittelpunkt der Überlegungen der drei Herren steht.”

      „Ach, darauf habe ich, und mit mir der Generalquartiermeister, aber sehr wohl gesetzt.”

      „Sehr verehrter Herr Oberst Bauer, das politische Geschäft des Reichstags vollzieht sich tatsächlich nach etwas anderen Gesetzen, als man das in Spa so wahrzunehmen scheint. Insbesondere Herr Erzberger vertritt die These, es solle gar nicht so konkret wie möglich gesagt werden, was den Frieden kennzeichnen dürfe. Das sei doch schließlich die Verantwortung der Regierung. Er und auch Herr Scheidemann sinnieren manches Mal in unserer Runde über die Option einer Resolution des Deutschen Reichstags, die möglichst alle Fraktionen - bis auf die Konservative selbstverständlich - annehmen mögen. In einem solchen Text solle die Reichsregierung dann sehr deklaratorisch und wenig präzise, somit nur der Sprachwahl gemäß machtvoll aufgefordert werden, zu einer internationalen Konferenz einzuladen und wirklich einen Frieden ohne nennenswerte Abweichungen vom Status quo ante Bellum zu verhandeln.

      Ich habe es abgelehnt, namens meiner Fraktion ein solches Ansinnen zu unterstützen. Ich habe das maßgeblich damit begründet, dass eine solche Friedensinitiative wie noch keine zweite zuvor von der Welt als Schwäche Deutschlands aufgefasst werden müsste. Und daraufhin gäbe es keine Aussicht auf Annahme des Vorschlags. Ich habe weiter den Kollegen Erzberger und Scheidemann gegenüber erklärt, es sei weiterhin meine unverrückbare persönliche Überzeugung, dass unser Reich in der Welt von morgen nur dann werde bestehen können, falls es uns gelänge, unsere Stellung in der Mitte Europas zum wenigsten so weit zu konsolidieren, dass wir auf unabsehbare Zeit keinen feindlichen Angriff mit ernst zu nehmender Erfolgsaussicht an zwei Fronten mehr erleiden müssten. Und and dieser Stelle stehen wir heute. An dieser Stelle ist es auch keineswegs möglich, dass die vier Fraktionen, die ja eigentlich Konsultationen über das Wahlrecht zu führen beabsichtigten, zu einem Konsensus in Fragen des Krieges an sich gelangen werden.”

      „Und das würden sie, sehr verehrter Herr Doktor Stresemann, auch Herrn Generalleutnant Ludendorff persönlich berichten?”

      Ich stutze, doch nur für eine Sekunde der Überraschung.

      „Aber selbstverständlich, lieber Herr Oberst. Sofern man mir die Vertraulichkeit der Unterredung zusicherte, würde ich jeder Persönlichkeit der Staatsleitung, sogar dem Herrn Reichskanzler oder Seiner Majestät, dem Kaiser selbst, diese Erklärung abgeben.”

      „Ein schönes Stichwort, lieber Herr Doktor.

      Es ist nicht Seine Majestät, der dieses Anliegen vorbringen könnte. Doch wie wäre es wohl, falls seine kaiserliche Hoheit, der kommandierende General der Heeresgruppe deutscher Kronprinz, Kronprinz Wilhelm höchst persönlich, ein Gespräch mit ihnen zu führen gedächte? Wäre das für sie vorstellbar?”

      „Ich empfinde es als meine Pflicht gegenüber dem deutschen Kaiserhause, seine Mitglieder in allem zu unterstützen, das dem Wohle unseres Landes und der Krone dienen möge. Ich bleibe dabei, im Fall der zweifelsfreien Vertraulichkeit eines Gespräches stehe ich zur Verfügung.”

      Sodann wechselten wir das Thema hin zu diversen Fragen der Rüstungsproduktion, der Ausstattung unseres Heeres mit Waffen und Munition, natürlich einschließlich der Einschätzung darüber, wie lange unsere Feinde, vornehmlich Großbritannien, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wohl noch überstehen könnten, ohne wirtschaftlich in Not zu geraten. Es war intensiv und anregend, sich mit Oberst Bauer zu unterhalten. Als wir uns verabschiedeten, meinte er nur recht knapp:

      „Sie werden bald von mir hören, lieber Herr Doktor Stresemann. Zurück in Spa berichte ich seiner Exzellenz, Generalleutnant Ludendorff, und er wird dem Kronprinzen berichten. Vielleicht sehen wir uns schon recht bald wieder.”

      So kam es. Genau eine Woche später empfing mich seine kaiserliche Hoheit im Berliner Stadtschloss im Beisein des Generalquartiermeisters und des Obristen Bauer. Es wurde ein mindestens für mich denkwürdiges Gespräch, weil es mein Bewusstsein dafür schärfte, welche gravierenden innerparteilichen Unstimmigkeiten daraus in Zukunft wohl resultieren mochten, falls meine Fraktion und ich den Weg der Annäherung an die fortschrittlichen Kräfte in der Innenpolitik wählen sollten, während der nationalliberale Weg in der Außen- und Kriegszielpolitik weiterhin eng an der Seite der Reichsleitung bliebe. An jenem 29. Mai 1917 im Berliner Stadtschloss beschritt ich sehr zaghaft einen Weg, der mich im Folgejahr an der Seite guter Freunde und in harten Verhandlungen mit großen Gegnern zu einer Friedensordnung führen sollte, die - das darf man sicherlich heute bereits so sagen - die Grundfesten für die Weltordnung des 20. Jahrhunderts bedeuteten.

      „Mein lieber Doktor Stresemann, wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?”

      „Kaiserliche Hoheit, haben sie herzlichen Dank für die freundliche Einladung zu dieser Unterredung. Ich freue mich sehr darüber.

      Was ihre Frage anbelangt, es war zum Neujahrsempfang Seiner Majestät, ihres verehrten Herrn Vaters, dass wir uns im Charlottenburger Schloss zuletzt begegneten. Es war mir ein Vergnügen mit ihnen und Herrn Generalquartiermeister Ludendorff einige Worte wechseln zu dürfen.”

      Ich reichte Ludendorff die Hand und verneigte mich dabei, wie es unter Offizieren und selbst seitens deutscher Zivilisten gegenüber einem wahrlich hoch stehenden Militär üblich ist.

      „Aber noch im letzten Jahr, mein lieber Stresemann, da haben wir uns des Öfteren gesehen. Mir hat es wichtige Erkenntnisse erbracht, im letzten Herbst mit ihnen über das Vaterländische Hilfsdienstgesetz plaudern zu dürfen. Unser gemeinsames Treffen mit Herrn Rathenau ist mir da besonders eindringlich in Erinnerung geblieben. Der Präsident der AEG beeindruckte mich ohne Zweifel. Er fügte seine Erfahrungen als Leiter des Reichsrohstoffamtes und seine Kenntnisse über die Industrie damals zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Rathenau zeigte mir damals, dass unsere Rüstungswirtschaft mit Arbeiterausschüssen besser funktionieren werde als ohne.”

      Ich musste schmunzeln, als ich daran zurückdachte, wie verwundert Walther nach dem Treffen über die zuweilen offensichtliche Naivität des Kronprinzen urteilte. Seine kaiserliche Hoheit hatte kaum eine Vorstellung davon, wie scharf die Abwehrmaßnahmen gerade der Schwerindustrie gegenüber jeglicher gewerkschaftlicher Organisation im Betrieb ausfielen.

      „Für mich und meine Fraktion war zusätzlich von größter Bedeutung, kaiserliche Hoheit, welche Aussichten uns Herr Rathenau für die Nachkriegszeit eröffnete: Die Erprobung der Arbeiterausschüsse im Kriege werde den Betriebsfrieden fördern, die Arbeitsmotivation der Arbeiterschaft insgesamt steigern und damit der deutschen Industrie einen schönen Wettbewerbsvorteil auf dem Weltmarkte verschaffen. Das sehe übrigens Herr Duisberg von der IG Farben genau so.”

      „Ich erinnere dies, mein lieber Stresemann. Und ich hoffe doch sehr, dass die Herren Vertreter der Exportindustrien auf der ganzen Linie recht behalten werden.”

      Wilhelm lachte, Ludendorff stimmte mit ein, ich lächelte und war auf den nächsten Schachzug gespannt.

      „Aber heute treffen wir uns ja, lieber Stresemann, weil wir nicht mehr 1916 haben, sondern 1917, und da dringen manch beunruhigende Nachrichten an mein Ohr. Die führenden Herren der so genannten demokratischen Fraktionen im Deutschen Reichstag scheinen sich zusammen zu tun. Aber wozu, oder wogegen?

      Geht es gegen die Krone, gegen das Wahlrecht im Königreich Preußen oder geht es gegen unsere