1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



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bezeichnen sich längst nicht alle Vertreter jener gesellschaftlichen Schichten unseres Landes, die den Rückhalt der Monarchie und zugleich die maßgeblichen Entscheidungsträger bilden. Anders als zahlreiche Junker leitet mich die Überzeugung vom Vorzug der Modernität, wenn wir die Zukunft gewinnen wollen. Modernität indes verbürgen die Wissenschaften und vor allem die Industrie mit jenen ihrer Zweige, die für den Endkunden fertigen und die Investitionsgüter herstellen, welche ebenso für den Weltmarkt wie für den Bedarf unseres Vaterlandes produzieren. Deshalb bedeutet für mich liberal, frei nach innen wie nach außen die Verhältnisse zu gestalten.”

      Generalleutnant Ludendorff rümpft bei meinem letzten Satz die Nase, während der Kronprinz lediglich wohlwollend lächelt, Oberst Bauer dagegen die Stirn in Falten legt. Das wundert mich natürlich nicht. Zu viel weiß ich von seinen Kontakten zu den maßgeblichen Herren der Schwerindustrie an der Ruhr.

      „Nun sind indes die Herren Stinnes und Hugenberg ebenso Mitglieder der Nationalliberalen Partei wie die Herren Duisberg und Ballin oder auch Stresemann. Als stellvertretender Vorsitzender unserer Reichstagsfraktion ist es meine Aufgabe, mir mehr als nur eine persönliche Meinung über eine gute Politik für Deutschland zu bilden. Gerade in Zeiten, in denen mein Freund Ernst Bassermann leider von schwerer Krankheit geplagt ist und sein Amt nur bedingt ausüben kann, spüre ich die große Verpflichtung und, ja das will ich zugeben, auch die besondere Verantwortung. Diese ist schließlich von der schweren historischen Stunde geprägt, die die große Prüfung dieses Weltkrieges in sich birgt.

      All das führt mich dahin, für unser Reich als Nationalliberale Reichstagsfraktion Kriegsziele zu fordern, die eine Wiederholung jener unsäglichen Einkreisung unmöglich machen, mit derer unsere Gegner ihr Netz über uns geworfen haben und uns 1914 keine andere Wahl ließen, als für die Zukunft der Weltmacht Deutschland ins Feld der Ehre zu ziehen. Somit lehne ich den Status quo ante kategorisch ab, meine Herren. Und genau daran, kaiserliche Hoheit, werden auch viele Sitzungen, womöglich unzählige Gespräche mit den Herren des Zentrums, der Fortschrittlichen oder der SPD nichts und niemals etwas ändern!”

      „Bravo, bravo, mein lieber, lieber Stresemann! Wohl dem deutschen Manne, der so klare Worte findet und wählt wie sie.”

      Kronprinz Wilhelm hat sich kerzengerade im Sessel aufgerichtet und bei seinen Worten mit der flachen Hand mehrmals anerkennend auf die holzvertäfelte Platte des Tisches vor sich geschlagen. Die Lautstärke des davon ausgehenden Geräusches erschreckt mich. Doch das hat auch sein Gutes, es führt zu einer schnellen Assoziation. Der Lärm erscheint mir wie Kanonendonner, Kanonen aus dem Hause Krupp - ach ja, Hugenberg und Stinnes, diese verfluchte Bande! Das erinnert mich sofort wieder daran, dass ich eine wahrlich wichtige Abgrenzung noch vorzunehmen habe.

      „Eure Zustimmung ehrt mich und sie freut mich um so mehr, kaiserliche Hoheit, als dass ich ja die bedenkliche Einkreisung des Reiches durch gegnerische Weltmächte für alle Zeiten auszuschließen trachte. Wir sind hier im vertraulichen Kreise, daher äußere ich mich frei heraus: Meine Vorstellung von einem von Deutschland beherrschten Europa, von einem zum Nutz und Frommen, zum Wohlstande aller Nationen starken und einigen Kontinent habe ich mit wichtigen Männern des Reiches erörtert, und diese Vorstellungen sind nicht deckungsgleich mit den vielfach erhobenen Forderungen der führenden Vertreter der nordwestdeutschen Schwerindustrien und des Steinkohlenbergbaus. Ich verlange zwar eine unerschütterliche Stellung des Reiches gegenüber Frankreich für alle Zeit. Ich verlange jedoch nicht Gebietsabtretungen, die es dem Ehrgefühl der Grande Nation auf alle Zeit versagen würden, einmal wieder ein entspanntes, gar freundschaftliches Verhältnis zum Reich aufzubauen. Ich werde Ihnen gleich sogar noch erläutern, warum ich es gar nicht für erforderlich halte, größere Teile Ost- oder Nord-Frankreichs zu annektieren, lediglich um die Erzversorgung der deutschen Eisen- und Stahlindustrie sicher zu stellen. Aber vorab nenne ich Ihnen, was ich mir wünsche und zugleich hoffe, mit Ihnen gemeinsam für die Zukunft erstreben zu können.”

      Ludendorff streckt seine Beine aus und ruft:

      „Na, na, mein lieber Doktor Stresemann. Wir sind doch heute zu Ihnen gekommen, um etwas zu erfahren und unseren Nutzen aus dieser Unterredung zu ziehen.”

      Dabei lächelt er sehr verschmitzt und ist sichtlich stolz auf den gelungenen humoristischen Einwurf.

      „Wir wollen doch am Ende des Tages nicht von diesem Tische aufstehen und feststellen, dass sie uns auf ihre Seite gezogen haben, wir indes nichts vorzuweisen hätten. - Aber, Spaß beiseite. Sollten wir uns hier auf ein handfesteres Programm an Kriegszielen einigen, die wir unverbrüchlich gemeinsam fordern wollen, als es Herr von Bethmann-Hollweg bis heute zustande gebracht hat, so würden wir für die Diskussionen der Zukunft alle gestärkt und als Sieger von diesem Tische aufstehen dürfen.”

      „Sehr erfreulich, dass es uns allen hier nicht um Gewinnen und Verlieren geht. Denn wir können alle gemeinsam gewinnen. Sofern wir mit der gleichen Zielrichtung gegen eine Friedensresolution des Deutschen Reichstages streiten werden, die unsere fundamentalen nationalen Interessen auf das Gefährlichste zu verscherbeln droht, zu verramschen regelrecht, erfüllen wir eine heilige nationale Pflicht! So schaffen wir nämlich die Voraussetzung dafür, dass unser Reich die Chance auf eine echte diplomatische Initiative erhält.”

      Meine Worte lösen eine unmittelbare Reaktion aus.

      „Oder auf eine militärische! Initiative meine ich.“

      Der Zwischenruf des Kronprinzen überrascht mich nicht. Soll ich ihm jetzt zaghaft widersprechen? Nein, ich will es nicht tun. Denn sollte unser Heer einen großartigen Erfolg erzielen können, so würde es meinem Selbstverständnis eklatant widersprechen, einen solchen Erfolg durch unprofessionelle diplomatische Manöver oder eine von Zerwürfnissen geprägte deutsche Innenpolitik zu gefährden.

      „Eben, oder auf eine militärische Initiative, die uns aber einen sichtbaren Vorteil gegenüber dem Feinde einbringen müsste, um in Friedensverhandlungen gewichtig in die Wagschale geworfen werden zu können. Doch, welchen Frieden meine ich?”

      Ohne Worte nickt mir Ludendorff auffordernd zu und sitzt erwartungsvoll in seinem Sessel.

      „Aus dem Septemberprogramm der Reichsregierung unterscheide ich zwischen den territorialen Forderungen, quasi als klassische Kriegsziele, wie wir sie schon seit Jahrhunderten kennen, und den ordnungspolitischen Vorstellungen für Europa. Was Landerwerb betrifft, so meine ich, die Möglichkeiten dazu hängen einzig und allein von der Machtposition ab, die eine Nation zum Zeitpunkt der Friedensverhandlungen erworben hat. Und diese Macht wiederum korrespondiert recht unmittelbar mit dem Erfolge auf dem Schlachtfeld. - Nun meine Herren Militärs, was soll ich darüber spekulieren? Nebenbei gelten sie in dieser Frage für mich als die größeren Experten als ich selbst oder auch der Reichskanzler. Wir müssen also abwarten. Wir müssen uns jedoch auch ganz ehrlich eingestehen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkte gar keine Friedensverhandlungen erreichen können. Warum ist das aber so?”

      „Da bin ich aber sehr gespannt, ob wir nun auch noch übereinstimmen werden, lieber Stresemann.”

      Wilhelm scheint sich zu amüsieren. Er hat sich neuen Kaffee einschenken lassen von einem Bediensteten, der stumm den Raum betreten hat. Mit einem Lächeln um die Lippen flüstert Wilhelm dem jungen Mann „Kognak” zu und sieht gleich darauf wieder mich an.

      „Aber bitte, lassen sie sich doch von mir nicht stören.”

      „Also, ich plädiere dafür, dass wir uns nichts vormachen:

      Erstens, unsere Forderungen sind so weit reichend, dass sie die Machtverhältnisse auf dem Kontinent grundlegend und auf Dauer verschieben müssten. Darüber werden Franzosen und Briten nicht verhandeln.

      Zweitens, die Forderungen unserer Feinde gehen gar so weit, dass sie Deutschlands Stellung als Großmacht unterminieren. Wir verlören die Autonomie der Entscheidungen über die Größe von Heer und Flotte. Unser Verbündeter in Wien würde zerstückelt, so dass Deutschlands Grenzen niemals wieder zu verteidigen wären. Im Westen und im Osten würden Teile unseres Reiches abgetrennt, vielleicht sogar ein Teilstaat unter Pariser Kontrolle am Rhein gebildet. Logisch also, dass wir unsererseits darüber niemals verhandeln werden, solange die Truppen der Entente nicht vor den Toren Berlins stehen.”

      Oberst