Das Virus in uns. Kurt Langbein

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Название Das Virus in uns
Автор произведения Kurt Langbein
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783990406021



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an: »Hallo zusammen. Denke wir kommen gegen 16/17 Uhr. Was macht der Corona V bei Euch????« Die Hotelmitarbeiterin antwortet darauf ebenfalls via WhatsApp: »Hallo, wir wünschen euch eine gute Anreise. Das Corona Virus ist noch nicht in Ischgl und bleibt hoffentlich noch lange weg.«50

      Am 5. März wird eine E-Mail aus Island vom Wiener Gesundheitsministerium nach Tirol weitergeleitet. »Dear colleagues«, schrieben die isländischen Behörden, »we have a total of 14 cases with travel history to Ischgl via Munich.« Die Tiroler Behörden wissen also spätestens jetzt, dass das Virus bereits seit Ende Februar in Ischgl im Umlauf ist. Und: Die Isländer listen in der E-Mail auch alle fünf Hotels auf, in denen sich die isländischen Gäste aufgehalten haben.51

      Zunächst geschieht nicht viel. Ein eigens einberufener Krisenstab tagt in Ischgl – vertreten sind die Größen der Hotellerie und der Seilbahngesellschaft, der Gemeindearzt und die Polizisten des Ortes. »Vom TVB (Tourismusverband) konnten 14 Hotels, welche zu dem in Frage kommenden Zeitraum Isländer beherbergt hatten, ausfindig gemacht werden«, protokollieren die Beamten. »TVB Mitarbeiter werden persönlich die Hotels informieren, bzw. dort Nachfrage halten. Die Polizei wird dann in zivil die Gästeblätter abholen.«52

      Aber in den genannten Hotels wurde nur eine einzige Mitarbeiterin ergebnislos getestet, nirgends wurde die gesetzlich geforderte Quarantäne verhängt. Selbst nachdem am 7. März ein Barkeeper im »Ibiza der Alpen« positiv getestet wurde, teilte Tirols Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber mit, es erscheine »wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist«. Die Touristen aus Island hätten sich wohl im Flugzeug angesteckt – das war schon allein aufgrund der Inkubationszeit erkennbar falsch. Auch eine Übertragung des Virus »auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich«. Besorgten Hoteliers wurde versichert, dass kein Risiko bestünde.

       Aus Urlauberwelle wird Coronawelle

      Am selben Tag – es ist Samstag, 7. März – reisten mehr als 100.000 Urlauber aus den Tiroler Wintersportorten ab, ebenso viele kamen an. Busse und Sammeltaxis brachten wieder 10.000 nach Ischgl. Informationen über Infektionsgefahren gab es nirgends, erzählen die Touristen. Das Partywochenende in Ischgl, in Sölden, am Arlberg und im Salzburger Land konnte wie geplant starten. Alle Skilifte, Hütten und Bars waren offen. Der Tourismusverband Paznaun-Ischgl versandte am Abend eine E-Mail an alle Hotels, in der die falsche Darstellung, dass sich die infizierten Isländer im Flugzeug angsteckt hätten, wiederholt wurde.

      In den Bars mussten sich die Kellner weiter mit Trillerpfeifen den Weg durch die Menge bahnen. »Wir haben getanzt, geschmust und aus denselben Gläsern getrunken«, erzählt ein deutscher Urlauber, dessen Freund inzwischen an Covid-19 gestorben ist. Mitarbeiter einiger Hotels berichten, dass sie die Anweisung erhalten hatten, bei Grippesymptomen ausschließlich den Gemeindearzt Andreas Walser aufzusuchen.

      »100, 200 Mitarbeiter waren da schon bei mir«, berichtet Walser. »Da standen Hunderte vor der Praxis und wollten sich testen lassen«, erzählt dagegen ein Mitarbeiter, »der Doktor hat niemanden drangenommen.«53 Schließlich habe der Gemeindearzt am Ohr Fieber gemessen und ihm eine Bescheinigung ausgestellt, dass er sich bester Gesundheit erfreue und »es keinerlei Kontakt mit Covid-19-getesteten Personen gab«.

      Eine Restaurant-Mitarbeiterin berichtet, dass allein in ihrem Gasthaus fünf Mitarbeiterinnen schon Anfang März erkrankt waren. Der Gemeindearzt habe bei der ersten Betroffenen lediglich Bettruhe verordnet, die habe dann weitergearbeitet und alle anderen angesteckt.54

      Doch allmählich scheint das Raunen um die Epidemie Ausmaße angenommen zu haben, sodass es die Verantwortlichen nicht mehr wegschieben können. Am 8. März entsendet die Tiroler Landessanitätsdirektion Ärzte nach Ischgl, um dort zu testen – allerdings nur ausgewählte Personen. Immer noch geben die Behörden öffentlich Entwarnung. »Eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich«, informiert Anita Luckner-Hornischer von der Landessanitätsdirektion Tirol. »Für alle BesucherInnen, die im besagten Zeitraum in der Bar waren und keine Symptome aufweisen, ist keine weitere medizinische Abklärung nötig. BarbesucherInnen, die aktuell grippeähnliche Symptome haben, sollen die Gesundheitshotline 1450 wählen und werden in der Folge ärztlich abgeklärt. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.«55

      In Norwegen registriert man unterdessen bereits 500 Corona-Fälle, bei denen die Ansteckung in Österreich erfolgt sein musste. Die große Mehrheit davon in Ischgl. Tirol wird daher auch dort auf die Liste der Risikogebiete gesetzt. Am Morgen des 9. März leitet das Gesundheitsministerium in Wien diese Meldung an die Landessanitätsdirektion Tirol weiter. Auch Dänemark hat Ischgl mittlerweile auf die Liste der Hochrisikogebiete gesetzt.

      Am selben Tag wird bekannt, dass die Tests von 16 Mitarbeitern und Kontaktpersonen im »Kitzloch« positiv ausgefallen sind. Erst jetzt ordnet die Bezirkshauptmannschaft Landeck die sofortige Schließung des Lokals an. Die Touristen werden allerdings immer noch nicht informiert, Hotels und Skilifte bleiben im Vollbetrieb.

      Und inzwischen ist durchgesickert, dass es auch in anderen Skiorten wie St. Anton und Lech am Arlberg zahlreiche Infizierte gibt.

       Feiern trotz Schließung

      »Bei allen in der Gemeinde Ischgl bewilligten Après-Ski-Lokalen ist der Après-Ski-Betrieb unverzüglich einzustellen.« So steht es in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck, die für Ischgl zuständig ist, vom 10. März. Aber kaum ein Wirt hielt sich daran: Noch am selben Abend wurde in Bars gefeiert, als gäbe es weder das Coronavirus noch die behördlichen Betriebssperren. Das belegen unter anderem Fotos und Videos, die sechs deutsche Urlauber der Zeitschrift »profil« zur Verfügung stellten – die Aufnahmen aus dem Après-Ski-Lokal »Trofana Alm« stammen vom 10. März um 21:31 Uhr, das geht aus den Metadaten hervor.56

      Das Lokal war zu dieser Zeit voll, die meisten Gäste sangen und tanzten eng an eng zur Musik. Zurück in Deutschland, wurden die sechs Urlauber alle positiv auf Corona getestet. Der Betreiber der »Trofana Alm« ist Obmann des Tourismusverbands Paznaun-Ischgl. Auch andere Après-Ski-Bar-Betreiber wollten das verfrühte Saisonende nicht so recht einsehen. Zunächst versuchten sie, ihre Partybuden mit anderen Konzessionen – etwa für den Betrieb eines Restaurants – weiterzuführen. Noch am Vormittag des 11. März stellte die Bezirkshauptmannschaft per E-Mail klar: »Es ist nicht relevant, welche zusätzlichen Konzessionen das Lokal besitzt. Es sind daher die betreffenden Lokale spätestens mit 16:00 Uhr zu schließen.«

      Bei einer Kontrolle um 16 Uhr stellten Ischgler Polizeibeamte fest, dass sich mehrere Lokale dennoch nicht an diese Vorgaben hielten, schreiben die Beamten in ihren Aktenvermerk. Die »Schatzi-Bar« etwa hatte ihren Ausschank kurzerhand ins Freie verlegt. Die Eigentümerin, die im Aufsichtsrat des Tourismusverbands sitzt, erklärte den Beamten, dass »der Betrieb als Restaurant geführt werde« und »kein Après-Schi veranstaltet werde«. Die Beamten schritten nicht ein. Sie berichteten der Bezirkshauptmannschaft Landeck bloß, dass eine »zwangsweise Durchsetzung der Verordnung aufgrund des wetterbedingt starken Personenverkehrs und dem Umstand, dass damit lediglich eine Verlagerung der Menschenansammlungen erzielt würde, nicht verhältnismäßig erschien«. Die Polizisten regten bei der Bezirkshauptmannschaft an, dass den Betreibern am folgenden Tag »nochmals die Einhaltung der Verordnung nahelegt wird«, berichtet das »profil«.

      Der Skibetrieb ging weiter. Alle anderen Restaurants waren weiter offen, ebenso die Skilifte.

       Lockdown ins Chaos

      Erst am Freitag, dem 13. März, reagierten die Gesundheitsbehörden und die Landesregierung. Sie verhängten eine Quarantäne über das Paznauntal, in dem Ischgl liegt, und St. Anton am Arlberg. »Ausländische Urlauber dürfen die Gebiete noch verlassen, müssen aber an den Kontrollpunkten ein Formular mit den wesentlichen Kontaktdaten vorweisen«, wurde verlautbart, »Personal der Tourismusbetriebe