Was du nie siehst. Tibor Baumann

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Название Was du nie siehst
Автор произведения Tibor Baumann
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783943709766



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war der Punkt, an dem ich endgültig wusste, dass ich scheiße noch mal so richtig aufgeregt war. Wir umarmten uns zur Begrüßung; sie ist größer als ich, in der Länge und im Singen.

      »Du hast ja gesagt, ich muss endlich mal kommen«, hörte ich sie lächeln.

      »Ja, ja! Auf jeden Fall.«

      Seit zwei Jahren gibt Hanna mir Gesangsunterricht. Ihre eigene Musik hat mit unserer nichts zu tun. Aber sie beherrscht ihre Stimme wie ein fein gestimmtes Instrument. Sie greift die Töne, surft auf ihnen und erschafft so leicht und trotzdem bestimmt Stimmungen und Gefühle, dass ich am Anfang dachte, es ist bei mir alles verloren. Und letztes Jahr hat sie tatsächlich Background Vocals für uns eingesungen. Stolz wie Oskar war ich, dass sie tatsächlich für einen Song, dessen Text ich geschrieben hatte, für einen Nachmittag ihre eigene Musik ruhen ließ und mit uns sang.

      Und jetzt war sie hier. Ich hatte sofort das Gefühl, dass ich keinen Ton herausbekommen würde. Plötzlich hörte ich, wie laut es um mich herum war, wie viele Menschen da waren.

      »Du darfst nicht zu hart zu mir sein.«

      »Ach was, das wird schon. Das ist übrigens Alexa.«

      »Hi Alexa.« Ich wandte mich in die Richtung, in der ich sie vermutete, und streckte meine Hand aus.

      Eine kühle, kleine, aber kräftige Hand umschloss meine.

      »Schön, dich kennenzulernen.« Ihre Stimme war schokoladig.

      Ich vergrub meine Linke in der Tasche. Als ob sie mich sofort verlegen machen würde. Meine Hand stieß an das Handy.

      »Du bist also der Benefizrocker?«

      »Ja ich …« Jetzt musste mir was einfallen.

      »Herr Flirtmeister, wir müssten mal backstage«, unterbrach Fabi meinen ungelenken Denkversuch. »Hallo Hanna«, legte er nach, ich hörte Stoffrascheln, Umarmung.

      Er stand neben mir, lehnte sich auf das runde Bar-Tischchen, das sich leicht kippelnd bewegte, auf dem auch ich meinen Ellbogen hatte.

      »Ja, ja, ich komme gleich.« Bitte sag nicht: »Das seh’ ich auch.«

      »Das seh’ ich auch«, gluckste er.

      Alexa lachte klar und sanft, weniger über das bescheuerte Wortspiel, als vielmehr darüber, dass ich immer noch ihre Hand in meiner hatte. Glaube ich. Sie roch ein wenig nach Rauch und frisch gewaschenen Haaren und einem Hauch von Meerluft. Manchmal habe ich das Gefühl, dass nur Weinkenner und Whiskyfreaks wissen, wie ich Menschen beschreibe.

      »Es tut mir leid, das ist wirklich, ich weiß auch nicht …«, stammelte ich und zog meine Hand zurück, lächelte unbeholfen in ihre Richtung.

      »Schon gut«, sagte sie freundlich.

      »So, auf geht’s.« Fabi legte seine Hand auf meine Schulter.

      Ich hakte mich ein und versuchte, dabei lässig auszusehen.

      »Dann setzen wir das Gespräch nach dem Konzert fort, ich überlege mir bis dahin was Schlaues.« Wenigstens ein charmanter Satz.

      »Alles klar.« Sie klang, als ob sie mir glauben würde.

      »Erst mal wird Musikgeschichte geschrieben. Ich bring ihn dann frisch gefeudelt zurück.« Fabi drehte sich mit mir ein, nach links, in Richtung des Flures.

      »Das will ich hoffen.« Auch das klang so echt, wie ich es mir nur wünschen konnte.

      Ich rumpelte mit Fabi gegen den Tisch, mein Handy schlug hart dagegen.

      »Mann, wer ist das denn?«, fragte Fabi, während wir uns durch die Leute zum Backstagebereich drängelten.

      Ich zuckte mit den Schultern und versuchte, es ein bisschen abzutun. Fabi lachte nur. Hinter uns floss der Lärm in den Konzertsaal und wir verschwanden backstage.

      Im verrauchten, niedrigen Raum, der, vollgestopft mit unserem Zeug, gerade noch Platz für uns, die Kiste Bier und das Sofa mit einem kleinen Tisch davor hatte, saßen wir mit den anderen Bands zusammen. Der Schlagzeuger der Headliner des Abends erzählte einen seltsamen Witz nach dem anderen.

      »Was ist grün, und wenn es dich trifft, bist du tot?« Kunstpause. »Billardtisch!«

      Wir lachten betrunken und verraucht, kickten uns gegenseitig in dem kleinen Raum weiter in Bühnenstimmung.

      »Was ist weiß und stört beim Essen?« Kunstpause. »Lawine.«

      Ich konnte richtig fühlen, wie sich über uns der Saal füllte, und ich dachte daran, dass sie auch da oben stand. Direkt über mir. Obwohl ich ja keine drei Sätze mit ihr gewechselt hatte. Ich zählte noch mal nach. Aber eigentlich waren meine Sätze ja sowieso nur halbe gewesen.

      »Ein Blinder und ein Tauber machen zusammen Musik …«

      Keine Kunstpause.

      Plötzliche Stille im Raum. Er brach ab.

      Ich ergänzte: »… sagt der Blinde: ›Tanzen sie schon?‹ Sagt der Taube: ›Wieso, spielen wir schon?‹«

      Kenne ich von meinem Vater.

      Alle lachten. Irgendwer klopfte mir auf die Schulter. Ich mag es, locker zu sein. Es ist, wie auf dem Surfbrett stehen und spüren: Wenn du locker bist, dann tragen dich die Wellen. Aber wenn du verkrampfst, fällst du ins orientierungsfreie Wasser. Also: locker bleiben, auf der Welle gleiten, mitziehen und sich dem Strom anpassen.

      Wir machten uns bereit, auf der Welle zu reiten, ein paar von uns zogen sich um, ein Hütchen wurde ausgepackt und dem lachenden Sänger der anderen Band auf seinen Punkerkopf gebunden, ich schraubte meinen Mikrofonständer zusammen, den ich mit Fabi aus einem Blindenstock gebastelt hatte. Wir bildeten einen Kreis und stießen noch einmal an – es konnte losgehen.

      Auf jeder Bühne habe ich einen Bereich, in dem ich mich bewegen kann. Links von mir stellt Chris die Begrenzung dar. Rechts von mir die Kante einer Box, genauso vor mir. Auf der Bühne brauche ich diese Eckpunkte. So kann ich mich bewegen, ohne Gefahr zu laufen, auf die Fresse zu fliegen oder aus Versehen jemanden zu treten, der es nicht verdient hätte.

      Der Jubel, der uns entgegenschlug, brachte mich innerlich hüpfend auf meinen Platz.

      »Hi Leute, schön, dass ihr alle da seid.« Grölen und Johlen als Antwort. »Wie jedes Jahr freuen wir uns auch dieses Jahr, euch ordentlich einzuheizen und mit eurem Geld was Gutes zu tun!«

      Rechts hinter mir zählte das Klacken der Stöcke mit leisem »one, two, three, four« den Takt ein, und die ersten Riffs von Paranoid rollten von der Bühne hinab. Ich hob den Arm, stampfte im Takt, die andere Hand legte sich um das Mikro; mit Hüftschwung griff ich an und los ging’s.

      Bevor ich als Sänger bei den Jungs landete, war ja immer die Frage, wie ich mich auf einer Bühne bewegen sollte. Als ich dann auf der Bühne gelandet war, ohne dauernd auf der Fresse zu landen, fragte irgendwer, ob die Gesten und Bewegungen antrainiert sind. Also, ob ich Bühnenmoves geübt hätte. Von Freunden weiß ich, dass die Aufgabe des Sängers nicht nur das Singen ist. Aber niemand übt das. Ich versuche mir das immer vorzustellen, wie man das macht. Vor dem Spiegel bringt es für mich nichts. Ich hätte einen Trainer gebraucht. Aber es ist sowieso nicht einstudiert. Das ist ein Gefühl, das eben so herauskommt. Es geht ums Rocken. Ums Bewegen. Darum, das Publikum mitzunehmen. Das muss ich eben auf engem Raum machen, damit das funktioniert. Aber es ist nicht einstudiert, antrainiert oder sonst was. Es sind die Mucke und der Spaß, die mich mitreißen. Kick nach vorne, Arm nach oben, bei »Fuck you« den richtigen Finger raus, den Kopf bangen, Gas geben. Bei den ruhigeren Songs schließe ich die Augen, lege den Kopf zurück; bei Paranoid spanne ich den Hals an, so dass die Sehnen hervortreten, und zeige Zähne. Das gehört dazu. Es gehört auch das Gesicht dazu; auch wenn ich blind bin, habe ich Mimik.

      Es treiben mich der Song und das Gefühl, vor so vielen Menschen zu stehen, an. Und an diesem Abend die Vorstellung, dass sie da in der Menge stand, nein, am besten noch: tanzte.

      Der