Reiseziel Utopia. Victor Boden

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Название Reiseziel Utopia
Автор произведения Victor Boden
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783964260208



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hatte.

      »Kommen Sie«, Sibillen packte ihn einfach am Arm und zog ihn zu einem der Tische in der Nähe. Sie drückte ihn in einen der Stühle und holte zwei Trinkbehälter aus der Tasche ihres Kittels. »Hier, trinken Sie das. Anweisung des Doktors.« Wieder lachte sie. »Was sogar stimmt. Ich habe sieben Doktortitel. Wenn auch keinen in Medizin.« Ihre braunen Augen musterten ihn, als er vorsichtig einen Schluck nahm. Ihr Gesicht wurde ernst. »Erzählen Sie, Dru! Ich werde Sie Dru nennen.« Es war keine Frage.

      Der ältere Mann seufzte. »Es ist schwierig ... manche Dinge kann man einem Nicht-Psioniker schlecht erklären. Wissen Sie, wenn man eine telepathische Verbindung mit jemandem hat, dann ist das um einiges intimer, als es eine normale Unterhaltung sein kann. Und ich hatte fast einen Monat lang täglich mit Bobby Kontakt. In dieser Zeit ist er mehr als ein guter Freund für mich geworden. Ich ... ich hoffte so sehr ...« Seine Stimme brach ab und er schloss die Augen.

      »Nun, vielleicht wird es ein kleiner Trost für Sie sein, was wir in Erfahrung bringen konnten. Sie hatten vor zwei, drei Wochen noch Kontakt mit ... Bobby, ja?«

      »Ja, das stimmt. Warum fragen Sie?« Verwundert schaute Brogoff sie an.

      »Wir haben inzwischen herausgefunden, dass der Krieg, der auf dieser Welt stattgefunden hat, mindestens 17 Erdenjahre zurückliegt. So traurig das Schicksal des Planeten auch sein mag – möglicherweise ist es doch nicht die Welt, von der aus Bobby mit Ihnen Kontakt aufgenommen hat.«

      Das Exoskelett von Brogoff summte leise, als er auf die Füße sprang. »Nein! Nein, meine Ortsbestimmung war korrekt, das versichere ich Ihnen! Wenn die Zerstörung bereits so lange

      zurückliegt, dann kann das nur bedeuten, dass es Überlebende gibt! Überlebende, die vom Kittarrow-Virus verschont geblieben sind. Einer von ihnen muss Bobby sein. Ich muss zu Kapitänin Lisani. Sie muss auf jeden Fall nach Überlebenden suchen!«

      Logbuch des Allianz-Erkundungsschiffes Sigourney – Eintrag Kapitänin Gail Lisani:

      Die Bodenerkundungsteams haben Kontakte mit den Überlebenden dieser Welt hergestellt. Wie zu erwarten, nachdem der Kittarrow-Virus festgestellt wurde, zeigen sie keinerlei Anzeichen von höherer Intelligenz. Stattdessen sind sie extrem aggressiv. Ich habe das Pro und Contra abgewogen und eine Gefangennahme einiger dieser Wesen für eine weitere Untersuchung autorisiert. Ich übernehme die volle Verantwortung und bin bereit, mich dafür vor der Ethik-Kommission zu rechtfertigen (Querverweis Datei AESIIb-Sigourney-Lisani-Rechtfertigung für Gefangennahme).

      So gut die Zusammenarbeit der verschiedenen Spezies innerhalb der Allianz auch funktionierte, so war es doch sehr aufwändig, Raumschiffe zu konstruieren, die den Lebensbedingungen unterschiedlicher Völker gerecht werden konnten. Bei den Schiffen der Erkundungsflotte wurde aus diesem Grund darauf verzichtet. Die Sigourney war auf die Bedürfnisse von Menschen zugeschnitten und außer solchen befanden sich nur ein paar Rothelianer an Bord, deren Physiologie der menschlichen sehr ähnlich war.

      Paulmann – ein Name, den es sich nach einem berühmten irdischen Biologen ausgesucht hatte, da Rothelianer für sich keine Namen verwendeten – beendete gerade den medizinischen Bericht über die Überlebenden von Zenori. Die angenehm modulierte Stimme eines prominenten Holo-Sim-Stars erklang aus

      seinem Kommunikationsmodul, das die rothelianischen Pfeif- und Zischlaute übersetzte.

      »Es liegt eine gewisse traurige Ironie darin, dass diese Wesen aufgrund ihrer körperlichen Besonderheiten als eine der wenigen uns bekannten Spezies in der Lage gewesen wären, einen Atomkrieg zu überstehen. Natürlich wurden auch sie von der Hitze und den Druckwellen in großer Anzahl getötet, doch die Strahlung stellt für die weitere Existenz der Art keine Bedrohung dar. Auch die chemischen Kampfstoffe sind nicht weltweit gleich stark konzentriert, so dass es in den ehemaligen ländlichen Gebieten genügend Refugien gibt, in denen die Zenorier überleben konnten und es auch weiterhin können. Ich spreche deswegen von Ironie, weil der Kittarrow-Virus leider ganze Arbeit geleistet hat. An keinem der Überlebenden wurden Anzeichen höherer Intelligenz festgestellt. Sie sind noch nicht einmal so klug wie rothelianische Baum-Bären oder irdische Primaten.«

      Die Kapitänin warf einen Blick auf den großen Monitor, auf dem Bilder von den Zenoriern zu sehen waren. Äußerlich erinnerten sie in gewisser Hinsicht an einige terranische Insektenarten, vor allem an Heuschrecken und Gottesanbeterinnen. Das war nichts, was man heutzutage als abschreckend empfand – manche der wertvollsten Partner in der Allianz sahen noch viel fremdartiger aus.

      »Würde sich die Intelligenz wieder neu entwickeln, wenn sie dem Virus nicht länger ausgesetzt wären?« Die Frage kam von Cuta Sibillen und Gail Lisani sah, wie Dru Brogoff den Kopf hob. Hoffnung blitzte in seinen Augen auf.

      Paulmann fuchtelte mit den Gesichtsflechten, was von dem Kommunikationsmodul genauso übersetzt wurde, wie das anschließende Pfeifen und Zischen. »Vielleicht könnten ihre Nachkommen wieder höhere Intelligenz entwickeln. Die Tests in dieser Hinsicht sind noch nicht vollständig abgeschlossen, aber die bisherigen Ergebnisse lassen hoffen. Die vorliegende Variante des Kittarrow-Virus zeigt bis jetzt keine Ähnlichkeit zur Esalet-Abart, welche auch das Erbgut langfristig schädigt.«

      Kama Eposito, der Chefingenieur der Sigourney, meldete sich zu Wort: »Allerdings sieht es nicht gut aus, was die Entfernung das Virus aus der Atmosphäre angeht. Die Strahlung und auch die chemischen Kampfstoffe wären kein großes Problem, schätzungsweise würde die Reinigung zehn, maximal zwanzig Jahre dauern. Aber der Virus ist stark konzentriert und hat sich in der Vergangenheit sehr hartnäckig gegenüber Beseitigungsversuchen gezeigt. Man würde die Überlebenden auf eine andere Welt evakuieren müssen.«

      Gail hasste es, dass sie der hoffnungsvollen Stimmung der Runde einen Dämpfer verpassen musste. »Meine Damen, meine Herren, Paulmann.« Als sie ihre Aufmerksamkeit hatte, fuhr sie fort: »Ich fürchte, die Sache ist nicht ganz so simpel, wie Sie es sich vorstellen. Es handelt sich um eine völlig unbekannte Spezies mit einer völlig unbekannten Kultur und Lebensweise. Wir können sie nicht einfach so von ihrem Planeten wegbringen oder dessen Atmosphäre reinigen, ohne dass man uns darum gebeten hat.«

      Gail konnte sehen, wie der Sinn ihrer Worte bei den meisten am Tisch durchsickerte. Der Optimismus, eine ganze Zivilisation retten zu können, war mit ihnen durchgegangen, aber sie kannten die Bestimmungen, auf die sie anspielte. Bei Dru Brogoff schien das allerdings nicht der Fall zu sein.

      »Was? Wovon reden Sie denn da, Kapitänin? Das ist doch absurd!«

      Gail sah ihm die Wortwahl und den Tonfall nach. Sie konnte den Psioniker gut verstehen. Der Untergang der Zivilisation auf Zenori hatte ihm stark zugesetzt und natürlich wollte er diese Leute retten. Doch dummerweise wusste man nicht, ob sie überhaupt gerettet werden wollten.

      »Herr Brogoff, haben Sie schon einmal von der Karhl’tnor-Sekte gehört? Oder von der Gruppe 45q5?« Der Psioniker schüttelte den Kopf, er war einfach zu lange nicht mehr im Dienst. »Diese beiden Gruppierungen sind die prominentesten, wenn auch nicht die einzigen Beispiele für Leute, die ihre höheren Hirnfunktionen freiwillig aufgegeben haben. Die Karhl’tnor-Sekte hat die Veränderungen

      bei ihren Mitgliedern chirurgisch und durch die Einnahme von Medikamenten vorgenommen. Gruppe 45q5 setzte dafür den Kittarrow-Virus auf ihrer Welt frei und infizierte damit leider auch den Rest der Bevölkerung. Trotzdem handelt es sich bei dem Vorfall nicht um einen erweiterten Suizid oder um eine Art von Selbstmord-Attentat. 45q5 wollte sich freiwillig auf das Intelligenzniveau von Tieren hinab begeben und hat die Auswirkungen auf den Rest ihrer Welt nicht bedacht oder einfach in Kauf genommen – das ist nicht mehr nachzuvollziehen. Sicher ist aber, dass es innerhalb und außerhalb der Allianz bisweilen zu vergleichbarem Verhalten kommt. Wir wissen nicht, ob die Zenorier nach ihrem weltweiten Krieg sich nicht ebenfalls zu diesem Schritt entschlossen haben. Leider können wir sie nicht mehr fragen.«

      Das Gesicht von Brogoff war immer grauer geworden, während die Kapitänin sprach. Doch bei ihren