Reiseziel Utopia. Victor Boden

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Название Reiseziel Utopia
Автор произведения Victor Boden
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783964260208



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als der Durchschnitt, wohingegen der helle Phänotyp durch die gestiegene UV-Belastung des späten einundzwanzigsten Jahrhunderts fast komplett verschwunden war. Nicht, dass es in der menschlichen Gesellschaft noch Platz gab für Vorbehalte aufgrund solcher Äußerlichkeiten. Seit die Menschheit sich den 38 anderen intelligenten Spezies in der Allianz angeschlossen hatte, war Rassismus, sowohl intra-, als auch interspeziesistisch kein Thema mehr.

      »Bitte nehmen Sie Platz, Herr Brogoff.« Während der Psioniker sich in den Sessel vor ihren Schreibtisch setzte, war Gail bewusst, dass es sich dabei um eine rein formelle Höflichkeit handelte. Mit dem Ganzkörper-Exoskelett, das Brogoff trug, machte Stehen, Sitzen oder Liegen für ihn keinen Unterschied, da die Arbeit komplett von der Apparatur übernommen wurde. Sie kannte das von ihrer Urgroßmutter, die aufgrund ihres hohen Alters ebenfalls darauf angewiesen war. Ihre Ur-Nana schlug sie seitdem regelmäßig bei jedem der Marathonläufe, an denen Gail während ihrer Besuche auf der Erde teilnahm.

      »Tatsächlich werden wir in ...«, sie warf einen kurzen Blick auf die in einem Monitor eingeblendete Uhrzeit, »... 25 Minuten in den Orbit von Planet Zenori 487 einschwenken. Haben Sie noch einmal psionischen Kontakt zu den Bewohnern von Zenori aufnehmen können?«

      Ein Blick in sein Gesicht genügte ihr, um dort die Antwort zu lesen.

      »Ich befürchte nein.« Brogoff tat ihr schon beinahe leid, auch wenn er am Ende wahrscheinlich dafür verantwortlich war, dass sie alle diese Reise umsonst gemacht hatten. »Glauben Sie mir, ich versuche es täglich, aber seit die Verbindung vor zwei Wochen schlechter wurde und schließlich abbrach, ist es mir nicht gelungen, sie wieder herzustellen.«

      »Natürlich glaube ich Ihnen, Herr Brogoff«, sagte Gail und meinte es ernst. Zumindest ging sie fest davon aus, dass der alte Psioniker nicht versuchte, Gail oder die Erkundungsflotte absichtlich hinters Licht zu führen. Leider hatte sie jedoch Bedenken, was seine Zuverlässigkeit anging.

      »Wie sicher sind Sie hinsichtlich der Lokalisation Ihres Kommunikationspartners? Ich habe noch nie mit einem Psioniker zusammengearbeitet, aber es heißt, dass eine Zielbestimmung oft problematisch ist.«

      »Ja, das ist auch wirklich so. Aber die Kommunikation mit Bobby bestand fast einen Monat lang.« Als Gail ihm einen fragenden Blick zuwarf, erklärte er: »Bobby ist ein häufig verwendeter

      Name für unbekannte psionische Kontakte. Telepathisch lassen sich Laute meist sehr schlecht übermitteln, sodass wir nicht mit Worten kommunizieren und uns auch nicht mit Eigennamen vorstellen können. Ich verbinde ein Gefühl und bestimmte geistige Eindrücke mit Bobby, aber diese lassen sich sprachlich nicht mitteilen. Von daher Bobby.« Als Gail nickte, fuhr er fort: »Bitte glauben Sie mir, ich war schon in meiner aktiven Zeit sehr viel besser in Lokalisation als meine Kollegen. Und ich hatte lange genug Kontakt zu Bobby, um mir bei seiner Position sicher zu sein.«

      Gail nickte erneut. »Sie müssen mich nicht mehr überzeugen, Herr Brogoff, das ist Ihnen bereits beim Kommando der Erkundungsflotte gelungen. Man hat die Sigourney abgestellt, um der Sache nachzugehen.«

      Dru Brogoff zog eine Grimasse. »Leider hat es so lange gedauert. Vor Wochen schon habe ich angefangen, um ein Schiff zu betteln. Doch niemand war bereit, mir zu helfen.«

      »Nun, niemand bezweifelt, dass Sie wirklich einen Hilferuf von diesem Bobby empfangen haben ...«

      »Es geht ja nicht nur um Bobby. Er hat um Hilfe für seine ganze Rasse gebeten! Sie ist in furchtbarer Gefahr. Ich befürchte, dass seiner Welt eine planetare Katastrophe droht ...«

      »Ich denke, das hat am Ende auch den Ausschlag gegeben. Sie müssen bedenken, dass eigentlich alle verantwortlichen Stellen der Meinung sind, eine psionische Standortbestimmung wäre zu unzuverlässig.« Gail hob die Hand, als Brogoff etwas erwidern wollte. »Dennoch haben Sie eindrücklich klargemacht, dass die Zukunft einer ganzen Zivilisation in Gefahr sein könnte, obwohl Bobby Ihnen keine konkreten Einzelheiten übermitteln konnte. Daher wurde schließlich trotz allem ein Schiff bewilligt. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel, auch wenn die Erfolgschancen noch so gering scheinen.«

      Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als ein Summton von ihrem Schreibtisch ihre Aufmerksamkeit auf den Monitor lenkte.

      »Was ist es?«, fragte Brogoff aufgeregt. »Hat man Kontakt mit Bobbys Welt aufgenommen?«

      »Oh mein Gott«, flüsterte Gail.

      »Was? Was ist los?«

      »Unsere Drohnen senden die ersten Daten. Es sieht so aus, als hätten Sie recht gehabt, Herr Brogoff. Auf Zenori gibt es deutliche Anzeichen einer weltumspannenden Zivilisation. Im Atomzeitalter, wie es aussieht.«

      Die Augen des Psionikers leuchteten auf. »Aber das ist doch phantastisch!« Er stockte, als er den erschütterten Ausdruck im Gesicht der Kapitänin sah. »Was?«, flüsterte er.

      »Das Strahlenniveau in der Atmosphäre ist extrem hoch. Zu hoch für natürliche Ursachen. Entweder gab es eine gewaltige Katastrophe oder – wahrscheinlicher noch – einen weltweiten nuklearen Krieg.«

      Gail blickte Brogoff in die Augen. Sie spürte, dass ihr die Tränen kamen und schämte sich nicht dafür.

      »Wie es aussieht, kommen wir zu spät.«

      Logbuch des Allianz-Erkundungsschiffes Sigourney – Eintrag Kapitänin Gail Lisani:

      Die Stimmung der Mannschaft ist niedergeschlagen und ich kann es ihr nicht verdenken. Die anfängliche Befürchtung hat sich leider voll und ganz bestätigt. Die weltweite Zivilisation von Zenori 487 wurde in einem Krieg zerstört. Einer ersten Schätzung nach wurden über 70% der Oberfläche nuklear verwüstet. Die wissenschaftliche Abteilung unter Cuta Sibillen hat außerdem chemische und biologische Kampfstoffe in der Atmosphäre nachgewiesen. Die Hoffnung auf Überlebende ist gering. Selbst wenn diese auf irgendeine Weise der Strahlung widerstehen könnten, so hat Sibillen doch auch einen Erreger in den Luftproben isoliert, der zu 95% dem Kittarrow-Virus entspricht, der sämtliche höheren Hirnfunktionen zerstört. Unterirdische Bunkeranlagen, in denen es Überlebende geben könnte, wurden von unseren

      Sensoren nicht entdeckt. Trotzdem habe ich beschlossen, Bodenerkundungsteams auf die Oberfläche zu schicken, um Klarheit über das Schicksal der Welt zu erlangen. Die Männer und Frauen werden mit Schutzanzügen der Klasse III ausgestattet.

      Nachtrag für das persönliche Logbuch: Ich kann nicht aufhören, mich zu fragen, ob wir am Schicksal dieser Welt etwas hätten ändern können, wenn wir früher gekommen wären. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sich Dru Brogoff fühlen muss, weil er das Kommando der Erkundungsflotte nicht eher überzeugen konnte, ihm ein Schiff zur Verfügung zu stellen.

      Dru Brogoff starrte durch das große Panoramafenster des Observationsdecks auf den Planeten hinunter. Zenori 487. Wie es aussah, würden sie niemals herausfinden, wie diese Welt von ihren Bewohnern genannt worden war. Seit Stunden schon stand er hier. Sein Exoskelett ließ ihn keine Ermüdung deswegen verspüren.

      »Herr Brogoff?« Der Psioniker drehte sich um und erkannte Cuta Sibillen, die Chefin der wissenschaftlichen Abteilung der Sigourney. Die Frau schaute ihn mitfühlend an. »Möchten Sie sich zu mir setzen und etwas trinken? Ich vermute, Sie fühlen sich nicht besonders und vielleicht tut es Ihnen gut, mit jemandem über die Sache zu reden.«

      Brogoff zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid. Sie meinen es sicherlich gut ...« Weiter kam er nicht, denn die Frau hob abwehrend die Hand.

      »Ich fürchte, ich kann kein Nein akzeptieren. Anordnung der Kapitänin. Ich soll herausfinden, wie Ihr Befinden ist und Sie, wenn möglich, aufmuntern. Gail kann sehr bestimmend bei so etwas sein.«

      »Gail?«, fragte Brogoff überrascht.

      Sibillen lachte und hob ihre Hand, an der ein Ring steckte. »Gail Lisani ist meine Lebenspartnerin. Was bedeutet, dass sie mich sowohl beruflich als auch privat herumkommandieren kann.«