Diese bescheuerte Fremdheit in meiner Seele. Mathias Kopetzki

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Название Diese bescheuerte Fremdheit in meiner Seele
Автор произведения Mathias Kopetzki
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783943709919



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überhaupt noch zuhörte. »Es war ein Prinz, ein Prinz aus Italien!«

      »Aus Italien?« Abrupt brach er seine angeberische Jonglage ab und ließ den Ball auf den Rasen kullern. Mit verkniffenem Gesicht blickte er mich von der Seite an. »Etwa ein Spaghetti?«

      »Ja, genau ein Spaghetti!«, schrie ich, voller Übermut, da er nun endlich angedockt zu haben schien. Und ich senkte verschwörerisch die Stimme: »Der kam angeritten nach Deutschland, weil er mal richtig gutes Obst essen wollte. Das haben die da nämlich nicht, die haben da ja nur Spaghetti und Pizza, und besonders unsere Äpfel mögen die da richtig gerne. Und er wollte für seine Landsleute einen riesigen Sack davon einsammeln und die da unten mal ordentlich überraschen! Und eigentlich wollte er auch gleich wieder zurückreiten, aber dann hat er unterwegs ein Mädchen getroffen, die genauso braun war wie er. Die sammelte nämlich ebenfalls gerade einen Sack Äpfel ein, und zwar genau von dem Baum, an den er selber ran wollte, dem schönsten und größten in unserm Land, von dem in Italien schon Sagen berichtet haben. Und er wollte ihr sagen, dass sie die Finger von seinen Äpfeln lassen sollte, weil er die doch für sein Volk benötigte, aber sie hat ihn nur frech angesehen. Und dann hat er sie gefragt, woher sie eigentlich komme, und sie hat ihm geantwortet: Aus einem Land, wo Milch und Honig fließen und wo es nur glückliche Menschen gibt. Und dann hat er ihr ein wenig zu lang in die Augen geschaut, und so ist die Liebe in ihm ausgebrochen und in ihr auch. Und dann haben beide das mit den Äpfeln sein gelassen, weil die Säcke auch viel zu schwer gewesen wären für sie und ihre Pferde, und sind auf und davon. Ganz weit weg, also in das Land, wo Milch und Honig fließen und wo es nur glückliche Menschen gibt.«

      Da war er wieder, Markus’ herabhängender Unterkiefer, der eher an einen VW Käfer mit kaputter Motorhaube erinnerte, als an einen siebenjährigen Jungen.

      »Du spinnst!«, attestierte er mir nach einer endlosen Pause, in der ich noch die kleine Hoffnung verspürt hatte, er könnte mir meinen Schmarrn abgenommen haben.

      Schließlich hatte ich doch beobachten können, wie er meine Erzählung mit geweiteten Pupillen verfolgt hatte, ich hatte förmlich dabei zugesehen, wie jedes meiner Worte ein unruhiges Flackern in seinen Augen auslöste, als hätte er meine kleine, feine Herkunftsgeschichte selber erlebt – umso erstaunlicher, da ich sie ja gerade jetzt, in diesem Augenblick erst erfunden hatte.

      Aber nun schien er zu meiner Enttäuschung wieder aufgewacht zu sein aus seinem Tagtraum, in den ich ihn mit all meinen zur Verfügung stehenden Mitteln hineinfantasiert hatte. Er popelte in der Nase, als würde ihm keiner dabei zusehen, bohrte mit seinem Blick ein Loch in die Grasfläche und reckte anschließend triumphierend seinen Schädel in die Höhe.

      Ich schob augenblicklich Panik. Vermutlich war ihm etwas eingefallen. Vermutlich das schlagende Argument, mit dem er mich kaltstellen konnte – so wie er mich ja auch regelmäßig ausdribbelte, so gut ich ihm mit seinen blöden, schlaksigen Beinen auch Paroli bot.

      »Und wiiiie, bitteschön«, wollte er mit bedrohlichem Singsang in der Stimme wissen, als wäre ich der Täter und er der Kommissar, der mich des Mordes überführte. »Wiiiie sollst du dann bitteschön entstanden sein, wenn die sich gleich in dieses Dingsda …« Er schnippte ein paar Mal mit den Fingern, weil ihm die richtige Formulierung nicht gleich einfiel. »… in dieses … dieses Land da mit Milch und Honig aufgemacht haben?«

      Ich senkte den Kopf. Da hatte er mich erwischt. Darüber hatte ich mir tatsächlich noch keine Gedanken gemacht.

      Nun bohrte ich selber meinen Blick in den Rasen und ließ die Schultern in Richtung Boden sacken. Eine knifflige Frage. Wie entstand man denn überhaupt?

      Um meinen Entstehungsbericht hieb- und stichfest zu machen, musste ich so etwas natürlich wissen! Denn dass der berühmte Storch für die ganze Sache verantwortlich sein sollte, glaubten mit sieben Jahren weder ich noch Markus. Im Gegenteil: Wir amüsierten uns über die Vorschüler oder Winzlinge aus dem Kindergarten, die auf unsere altkluge Frage: »Wisst ihr denn überhaupt, wo die Babys herkommen?« stolz antworteten: »Ja, klar, vom Storch!«

      Dann lachten wir uns über sie kaputt, während die Kleinen ihr Gesicht verzogen: »Hast du gehört, der Winzling glaubt noch an den Storch! Ha ha! Ist der blöd!« Dabei hofften wir natürlich, dass niemand von denen auf die naheliegende Idee kommen würde, uns mal zu fragen, wie es sich denn wirklich verhielte mit diesen Babys. Denn dann wäre uns das Lachen wohl ganz schnell vergangen. Viel weiter als die Vorschüler waren wir da leider nicht.

      Dann fiel es mir plötzlich ein. Da hatte mein Kumpel Lars – der war ja schon acht und wusste ganz sicher darüber Bescheid – vor Kurzem etwas erzählt. Etwas, was ich absolut nicht glauben konnte, doch von dem er geschworen hatte, dass es sich haargenau so abspielen würde.

      »Ein Kuss!«, brüllte ich, überglücklich über meine Rettung in letzter Sekunde, bevor sich Markus wieder seinem angeberischen Gekicke hätte widmen können. Und ich nahm mir vor, meinem Retter Lars bei nächster Gelegenheit ein Hubba Bubba zu spendieren, ohne ihm aber genau zu erzählen, wieso ich das tat. »Sie haben sich vorher natürlich geküsst, gaaaanz lange, und dann bekam Esmeralda …«

      »Esmeralda?« Markus zog die Stirn in Falten.

      »Ja, Esmeralda!«, behaarte ich auf diesem, zugegeben nicht so ganz zeitgemäßen Namen, der mir da plötzlich wie aus dem Nichts in den Kopf geschossen war – ich fand allerdings, er passte irgendwie. »So hieß halt das Mädchen aus dem Land, wo Milch und Honig fließen – da kann sie ja auch nichts für. Aaalso: Sie bekam ganz heftige Bauchschmerzen, wahrscheinlich von den vielen Äpfeln, die sie genascht hatte, und ging zum Fluss. Und dann musste sie ganz dringend. Groß. Sie hat den Rock gehoben, aber natürlich so, dass es der Prinz nicht gesehen hat, sie hat sich vor ihm geniert, und dann kam stattdessen ein Baby raus, und das war ein bisschen braun, weil es aus dem Loch rauskam, wo normalerweise die Kacka rauskommt, und da ist sie selber ganz erschrocken. Da wusste sie jetzt gar nicht, was sie mit dem Baby machen sollte. Weil, sie konnte es ja nicht mitnehmen in das Land, wo Milch und Honig fließen, das wäre viel zu anstrengend gewesen, so auf dem Pferd, zwanzig Tage und Nächte, die man da reitet. Und dann hat sie plötzlich einen Korb gesehen, da unten am Fluss. Der stand da einfach rum. Und da hat sie es reingesetzt und das Baby wegschwimmen lassen. Und dann ist sie wieder zum Prinzen hochgegangen und beide sind sie glücklich miteinander weggeritten. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Jawohl, genau so war das.«

      Markus verzog das Gesicht und ploppte den Ball auf den Rasen. »Ein Korb? Das ist doch nicht dein Ernst. Was war denn das für ein Korb?«

      »Das weiß ich doch nicht!«, echauffierte ich mich, weil ich keine Lust hatte, mir jetzt auch noch auszudenken, was für ein blödsinniger Korb denn das gewesen sein sollte. Schließlich hatte ich dieses Wunderwerk an Story gerade aus dem Stegreif improvisiert, mit allen Details und Wendungen, angereichert mit so ziemlich allen Beilagen, die ein gutes Märchen so braucht (von dem Loch, wo die Kacka rauskommt, vielleicht mal abgesehen). Das war gar nicht so einfach gewesen.

      Sollte er sich doch seinen vermaledeiten Korb selber erfinden, meinetwegen einen mit rosa Schleifchen oder am besten gleich einen Einkaufskorb vom Penny-Markt!

      »Woher soll ich das denn wissen? Das ist doch schon so lange her! Da war ich doch noch ein Baby! Was weiß ich, in was für einem Korb ich da gelegen habe!«

      »Aber deine Eltern müssen das doch wissen – die haben dich doch schließlich gefunden, oder?«

      Hmm, überlegte ich. Hatten mich meine Eltern überhaupt gefunden?

      Ich entschied mich spontan dazu, dass das dann doch wohl ein wenig zu einfach wäre. Ein solch profanes Ende würde zu einer so genialen Geschichte ja auch überhaupt nicht passen.

      »Nein, eine Magd war’s!«

      »Eine was?!«

      »Eine Magd!«

      Markus schnaubte abfällig.

      »Sowas gibt’s doch nur im Märchen! Überhaupt kommt mir die ganze Geschichte so vor, als ob ich sie schon mal gehört hätte.«

      Stimmt, da hatte er recht. Zumindest im Halbschlaf musste