Blutiges Erbe in Dresden. Victoria Krebs

Читать онлайн.
Название Blutiges Erbe in Dresden
Автор произведения Victoria Krebs
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783948916022



Скачать книгу

ich möchte mir nur vorher selbst ein Bild machen.«

      Es war kalt hier unten. Im Kühlraum stand ein Hubwagen vor dem offenen Lagerungssystem aus drei Etagen, auf ihm lag ein geöffneter Leichenplastikbehälter. Erst Sekunden später erfassten Marias Augen den nackten Mann, der bäuchlings dahinter auf dem Boden lag. Sie schlängelte sich an Dess vorbei und ging um den Toten herum, um ihn besser inspizieren zu können. In seinem Nacken leuchtete eine frische, rote Wunde. Sie hockte sich neben die Leiche, um die Verletzung zu inspizieren.

      »An der gleichen Stelle herausgeschnitten wie bei Bernhard Molberg«, hörte sie Dess sagen. Verblüfft sah sie hoch zu ihm und dann wieder zum Toten, der mit seltsam abgewinkelten Armen und Beinen vor ihr lag. Der Rechtsmediziner bückte sich runter zu den Füßen und drehte das Etikett am großen Zeh des Mannes um. Anschließend wälzte er ihn auf die Seite und blickte ihm prüfend in das wächserne Gesicht. Er stutzte.

      »Das ist Guido Brunner«, sagte er zu Maria und sah sie alarmiert an. »Der Mann, der gestern Abend im Canadian erschossen wurde.«

      Kapitel 5

       Jerusalem, 1985

      Das Taxi hielt direkt vor dem Hotel Gloria am Jaffator, dessen Name von der Straße herrührte, die zur gleichnamigen Stadt führte, und das zu Zeiten der Kreuzritter den Namen Davidstor getragen hatte.

      Drei Männer zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren stiegen aus. Unterschiedlicher konnten sie nicht aussehen. Andreas, der Größte unter ihnen, war die auffälligste Erscheinung. Hochgewachsen und schlank, mit schwarzem, welligem Haar, überragte er seine Begleiter fast um eine ganze Kopflänge. Der Kleinste und Kräftigste, Friedrich, hatte weiche, fast weibliche Gesichtszüge, war blond und trug ein Oberlippenbärtchen. Benedikt, der dritte Mann, hatte militärisch knapp gestutztes Haar und wirkte sportlich und durchtrainiert. Sie betraten die angenehm temperierte Hotellobby, die in einem Gewölbe untergebracht war.

      Hier, in dieser geschichtsträchtigen Stadt, in der sich die Kulturen der Antike und der Moderne treffen, sollte ihre dreitägige Pilgerreise beginnen, die sie lange geplant und nun endlich in Angriff genommen hatten. Den Tag ihrer Ankunft wollten sie für einen Bummel durch das christliche und das muslimische Viertel der historischen Altstadt nutzen.

      Nachdem sie sich frischgemacht, bequemes Schuhwerk und leichte Sachen angezogen hatten, machten sie sich auf den Weg. Ihr Ziel war der Tempelberg, der nicht mehr als zwanzig Minuten Gehzeit entfernt lag. Andreas schob sich eine Sonnenbrille in seine Haare und hängte sich eine Schultertasche um, in der er drei kleine Flaschen Mineralwasser und eine Kamera verstaut hatte.

      Sie bogen in die Omar-Ben-el-Hatab-Straße ein, die, wie üblich um diese Uhrzeit, von Hunderten Touristen bevölkert wurde. Das hellgraue Pflaster und die fast weißen Fassaden der Häuser, aus dem Jerusalemer Kalkstein Meleke errichtet, reflektierten das Licht, sodass Andreas und seine Begleiter gezwungen waren, ihre Sonnenbrillen aufzusetzen. Die Straße mündete in die berühmte Davidstraße, eine schmale Gasse, in der sich Massen von Menschen aneinander vorbeischoben. Hier begann der arabische Basar, der Suq, ein Labyrinth aus verzweigten Gassen, Stiegen und Passagen, von denen viele mit Steingewölben überdacht waren. Von Zeit zu Zeit wurde der Strom der Touristen unterbrochen, sobald eine Gruppe vor einem der unzähligen Geschäfte stehenblieb, mit ausgestreckten Fingern auf die bunten Auslagen wies und sofort von einem geschäftstüchtigen Ladenbesitzer mit einem Schwall der Überredungskunst zum Kauf angehalten wurde. Auch die drei Männer ließen ihre Blicke neugierig umherschweifen und lugten durch die geöffneten Türen der vielen Läden, Kaffeebars und Restaurants.

      Mittlerweile hatte Andreas seine Kamera aus der Tasche genommen, um die vielfältigen Eindrücke auf Polaroid zu bannen. Gemächlich schlenderten sie im Pulk der Massen weiter, bis die ebene Gasse in Stufen überging, deren rechteckige Steine im Laufe der Jahrhunderte durch Millionen Füße blank gescheuert worden waren. Eine faszinierende Mischung aus Gerüchen, Geräuschen und bunten Eindrücken überwältigte Andreas und seine beiden Begleiter. Sie bogen links in die Muristan-Straße ein und befanden sich wenige Schritte weiter in dem von Kreuzfahrern angelegten ältesten Teil des historischen Zentrums, im Suq el Lahhamin, der »Straße der Metzger«. Die mittelalterlichen Stände und winzig kleinen Restaurants übten eine Faszination aus, der sich die drei Männer nur schwer entziehen konnten.

      Doch Andreas, der wie selbstverständlich die Führung übernommen hatte, lotste sie mit einer Karte in der Hand auf die Davidstraße zurück. Auch hier zwängten sich die Läden und Gewölbe oftmals nur in Nischen oder schmale Alkoven in den Mauern der eng zusammengedrängten Häuser. Neben Lebensmitteln, vor allem das Obst wurde in verschwenderischer Pracht und beeindruckenden Aufbauten zur Schau gestellt, wurden vor allem Lederwaren, Kleidung, Teppiche und Keramik angeboten.

      Sie hätten noch Stunden hier verbringen können, aber sie hatten ein klares Ziel vor Augen. Am Ende der schmalen Gasse stiegen sie eine Eisenleiter hinauf, die auf eine Plattform über den Dächern führte. Sobald sie oben angelangt waren, bot sich ihnen ein überwältigender Anblick. Vor ihnen erstreckte sich der Tempelberg, ein künstlich angelegtes Plateau, in dessen Mitte sich die riesige, goldene Kuppel des Felsendoms erhob. Daneben lag die al-Aqsa-Moschee.

      Für einen Moment schwiegen sie andächtig, dann holte Andreas einen kleinen Reiseführer aus seiner Tasche und verteilte die Flaschen mit dem Mineralwasser an seine Freunde.

      »Ich habe das Wichtigste markiert, keine Sorge, es wird keine Vorlesung«, meinte er lächelnd und trank einen Schluck. »Ich werde mich auf das Wesentliche beschränken«, versprach er und begann laut vorzulesen.

      »Vom ursprünglichen Tempel ist heute nur noch die westliche Stützmauer, die sogenannte Klagemauer, erhalten. Nach der Eroberung Jerusalems wurde am Ort der heutigen al-Aqsa-Moschee das erste Moscheegebäude aus Holz errichtet. Von der christlichen Belagerung Jerusalems im Jahr 1099 bis zu ihrer Niederlage 1187 war der Tempelberg im Besitz der Kreuzfahrer, die den Felsendom ›Templum Domini‹ nannten und in ihm eine Kapelle einrichteten. In der al-Aqsa-Moschee befand sich der Hauptsitz des Templerordens. Der König von Jerusalem, Balduin II., überließ den Templern im Jahre 1119 die Gebäude seines ehemaligen Palastes auf dem Tempelberg. Der Orden nannte sich daraufhin ›Pauperes commilitones Christi templique Salomonici Hierosalemitanis‹, was, wie ihr wisst, nichts anderes als ›Arme Ritter Christi und des Tempels von Salomon zu Jerusalem‹ bedeutet, woraus sich dann die heute üblichen Bezeichnungen Tempelritter, Templer und Templerorden ableiten.«

      Zufrieden klappte Andreas das schmale Büchlein wieder zu. »Obwohl ich euch nichts Neues vorgelesen habe, fand ich es jetzt gerade passend. Erhebend, oder nicht?« Bestätigend nickten Friedrich und Benedikt. »So, liebe Freunde. Auf geht’s!« Er wies mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Tempelberg. »Da liegt unser Ziel.«

      Keiner der drei bemerkte die Gestalt, die ihnen unauffällig folgte.

      Auch viel später, als sich die Männer bereits auf dem Rückweg befanden, folgte ihnen der Schatten. Geschickt hielt er sich im Verborgenen und nutzte die vielen Nischen und Winkel, um ihnen unerkannt zu folgen. Er behielt sie im Auge und wartete geduldig, bis sie nach einer Stunde aus dem dunklen Innern der Grabeskirche erschöpft wieder ins gleißend helle Sonnenlicht traten. Sie beschlossen, in einem Restaurant, das man ihnen empfohlen hatte, eine Kleinigkeit zu essen. Nicht mehr als eine leichte Mahlzeit, denn es war trotz der späten Nachmittagsstunde noch immer drückend heiß. Das Lokal lag in einer schmalen Seitengasse unmittelbar neben der Davidstraße und empfing sie mit einem köstlichen Duft von Gebratenem, Knoblauch und Gewürzen. Hungrig und voller Vorfreude betraten sie den kleinen Raum, nahmen an einem der wenigen Tische Platz und vertieften sich in die Speisekarte. Noch immer hatten sie keine Ahnung von dem huschenden Schatten, der gerade in einem gegenüberliegenden Café verschwunden war und von dort aus den Eingang des Restaurants mit Argusaugen überwachte.

      Während Andreas und seine beiden Begleiter aßen, sprachen sie über die schier überwältigenden Sinneseindrücke. Sie waren sich darüber einig, dass sie sich als unauslöschliche Erinnerung in ihr Gedächtnis prägen würden und eine wertvolle Bereicherung für ihr Leben darstellten, obwohl sie den eigentlichen Zweck ihrer Reise, das Pilgern, noch gar nicht erfüllt hatten. Eine