„. . . in einer steinernen Urkunde lesen“. Ulrike Glatz

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Название „. . . in einer steinernen Urkunde lesen“
Автор произведения Ulrike Glatz
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783943904499



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an der sich das Rheintal verengt. Der Name Mäuseturm ist wohl abgeleitet von Mautturm = Zollturm. Zusammen mit den Burgen Ehrenfels am Steilhang auf der rechten Rheinseite und Burg Klopp auf der linken Seite des Rheinufers bildete er zudem ein Wehrsystem, das das Territorium des Erzbistums Mainz absicherte und zugleich Zeugnis der erzbischöflichen Machtpolitik war. Seit dem 17. Jh. verlor der Turm seine Funktion und war immer mehr dem Verfall preisgegeben. Nach verschiedenen notdürftigen Reparaturen setzte sich in der 2. Hälfte des 19. Jhs. der preußische König Friedrich Wilhelm IV. persönlich für die Wiederherstellung nach Plänen des Kölner Dombaumeisters Zwirner ein.

      Orientiert an historischen Abbildungen wurde der Turm, dessen untere Geschosse in ihrer mittelalterlichen Substanz erhalten blieben, im oberen Teil in neugotischen Formen ergänzt. Sein Äußeres mit dem Ecktürmchen und den Zinnenkränzen wurde so zu einem Sinnbild der Rheinromantik. Hinzugefügt wurde ein großes Relief mit dem preußischen Adler, Zeichen des preußischen Hoheitsgebietes. Durch die Rheinromantik hatte die Sage neuen Auftrieb bekommen. Vor allem in englischen Reiseführern war die Erzählung beliebt, bot doch der gespenstisch in den tobenden Wogen des Binger Lochs stehende Turm die ideale Kulisse für eine Schauergeschichte.

      Der Mäuseturm und Erzbischof Hatto sind durch eine jahrhundertelange Überlieferung verbunden, obwohl es dafür keinen historischen Anlass gibt. Das Bild des grausamen Erzbischofs entstand im Mittelalter durch bewusst unrichtige Überlieferungen. Es hat sich im Laufe der Zeit so verselbständigt, dass der historische Hatto völlig dahinter verschwunden ist.

       www.bingen.de

      Literatur

      Winfried Wilhelmy (Hrsg.), Glanz der späten Karolinger – Hatto I. Erzbischof von Mainz (891–913) – Von der Reichenau in den Mäuseturm, Mainz 2013.

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      Karolingisches Kapitell aus Ingelheim

      DAS HOHE MITTELALTER - KÖNIG, KIRCHE UND ADEL

      Um 1000 festigten sich die Strukturen. Mit Konrad II. gelangte das Geschlecht der Salier zur Königswürde, dessen Wurzeln im Wormser Gebiet lagen. Ein Jahrhundert bestimmten sie die Geschicke des Reiches, gefolgt von den Staufern. Der rheinland-pfälzische Raum wurde Kernland des Reiches. Entscheidungen von großer Tragweite fielen hier. So konnten die Auseinandersetzungen zwischen Herrscher und Kirche um die Einsetzung von Bischöfen und Äbten erst mit dem Wormser Konkordat (1122) beendet werden, das die Rolle der Herrscher deutlich einschränkte. Die drei großen Erzbistümer Mainz, Trier und Köln festigten ihren Einfluss und erweiterten ihre Territorien. Daneben konnte sich auch die Pfalzgrafschaft bei Rhein im südlichen Landesteil etablieren. Und auch das Bild der Städte änderte sich. Etwa zur gleichen Zeit entstanden die drei Kaiserdome am Rhein: Speyer, Mainz und Worms, Großbaustellen bisher nicht gekannter Dimension. Die Gründung von Stiften und Domschulen diente der Ausbildung von Klerikern, die in den Verwaltungen eingesetzt wurden. Immer häufiger machten die Herrscher auf ihren Reisen durch das Reich in den großen Bischofsstädten Station und waren Gast des Bischofs. Die Klöster blieben geistige Zentren.

      An den Verkehrswegen wurden Burgen zum Schutz, wegen der Zolleinnahmen, aber auch um Macht zu demonstrieren, errichtet. Den großen Judengemeinden kam wachsende Bedeutung zu. Sie wurden geschätzt als Garanten wirtschaftlicher Kraft. Zugleich und immer wieder aber waren Verfolgungen und Pogrome zu beobachten, so im Zusammenhang mit den Kreuzzügen.

      Nachdem der große Kaiser Karl gestorben war, hat als erster Erzbischof Willigis aus Metall die Türflügel gemacht. Der Meister dieses Werkes, Beringer, bittet inständig den Leser, dass du für ihn zu Gott betest.

      Die vieltürmige Silhouette des Domes überragt und prägt heute wie schon seit 1.000 Jahren das Bild der Innenstadt von Mainz. Der mächtige Kirchenbau ist der Mittelpunkt der Stadt, um ihn entwickelte sich über Jahrhunderte städtisches Leben. Zugleich ist der Dom sichtbares Zeichen der großen Zeit der Mainzer Erzbischöfe im Mittelalter.

      Als Willigis 975 von Kaiser Otto II. zum Erzbischof von Mainz erhoben wurde, übernahm er eines der wichtigsten Bistümer nördlich der Alpen. Schon im 4. Jh. Bischofssitz, hatte das Bistum Mainz durch außergewöhnliche Bischofspersönlichkeiten wie Bonifatius eine Vormachtstellung erreicht. Willigis stand als Erzbischof der größten Kirchenprovinz mit 15 Suffraganbistümern, also nachgeordneten Bistümern, vor. Das Territorium reichte von Chur (Schweiz) im Süden bis Verden an der Aller im Norden und Prag im Osten. Auch innerhalb des Reiches erfüllte Willigis entscheidende Aufgaben. Als Reichserzkanzler war er der mächtigste geistliche Reichsfürst, was sich darin zeigte, dass er für den dreijährigen Otto III. nach dem frühen Tod Ottos II. die Regentschaft führte. Zugleich war er Berater der Witwe Ottos II., der aus Byzanz stammenden Kaiserin Theophanu. Der Nachfolger des kinderlosen Otto III., Heinrich II., gelangte mit der Hilfe von Willigis auf den Thron, der ihn kurzerhand in Mainz krönte, ohne dass eine Wahl durch die Reichsfürsten stattgefunden hätte. Die Legitimation wurde trotzdem nicht in Frage gestellt, die Salbung durch den Mainzer Erzbischof erhob ihn zur Königswürde.

      Es verwundert nicht, dass Willigis hier in seiner Residenz mit dem Bau eines neuen Domes ein Zeichen setzten wollte, das dem Anspruch des Erzbischofs gerecht wurde. Der Bau sollte nicht an der Stelle des alten Domes, wohl der spätkarolingischen/ottonischen Johanniskirche entstehen, sondern auf einer Fläche östlich zum Rhein hin. Der alte Dom behielt seine Funktion bis zur Weihe des Neubaus, nicht nur aus Gründen der Tradition. Willigis hatte so auch während der Bauzeit eine repräsentative Bischofskirche zur Verfügung. Die Johanniskirche wurde später durch ein Paradies, einen langen Gang, mit dem neuen Dom verbunden. So begann am Ende des 10. Jhs. das große Werk. Es entstand eine dreischiffige, flachgedeckte Basilika mit einem Querhaus im Westen sowie einem Ostquerhaus mit flankierenden Türmen. Die Dimension des Neubaus war gewaltig. Seine Länge entsprach fast dem heutigen Dom, das westliche Querhaus überragte sogar das heutige, aus staufischer Zeit stammende. Die unteren Geschosse der beiden Rundtürme sowie die Mauerflächen über den beiden östlichen Portalen haben sich noch vom Willigis-Bau erhalten. Die architektonische Gliederung der Türme bestand aus Lisenen, Rundbogenfriesen und horizontalen Gesimsen. Auch vom Westquerhaus stecken noch Reste in der Südwand der Gotthardkapelle.

      Im Osten schloss sich ein Atrium an, ein geschlossener Säulen– oder Arkadenhof, mit einer vorgelagerten Eingangskirche, wahrscheinlich einer Marienkirche.

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      Mainz, Dom, Marktportal mit Bronzetür des Erzbischofs Willigis

      Mit seinem Neubau bezog sich Willigis unmittelbar auf den Bau von Alt-Sankt Peter in Rom. Wie in Rom stand und steht heute noch der Hauptaltar im Westchor des Domes, während dem Ostchor untergeordnete liturgische Aufgaben zukommen. Das ausladende Westquerhaus und das Atrium mit der Marienkirche, später Liebfrauenkirche, haben ihr Vorbild ebenfalls in Rom. So manifestierte sich die Vorstellung, Mainz als zweites Rom zu sehen. Zusammen mit der Johanniskirche, dem alten Dom, entstand unter Willigis eine „Kirchenfamilie“ von einmaliger Ausprägung.

      Aber noch ein weiteres Ziel verfolgte Willigis mit seinem Neubau. Für den Dom hatte er eine zweiflüglige Bronzetür, das Marktportal, anfertigen lassen. Die Inschrift nennt Willigis, der nach Karl dem Großen als erster ein solches Werk herstellen ließ. Damit wird der Bezug deutlich, denn Kaiser Karl hatte an der Aachener Pfalzkapelle, der Krönungskirche, ein Bronzeportal anbringen lassen. Willigis war bei seinem Amtsantritt vom Papst das