„. . . in einer steinernen Urkunde lesen“. Ulrike Glatz

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Название „. . . in einer steinernen Urkunde lesen“
Автор произведения Ulrike Glatz
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783943904499



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Einsiedelei und ein kleines Kloster gegründet. Nach seinem Tod wurde das Grab des als Heiligen verehrten Disibod viel besucht und blieb unzerstört, als im Laufe der Zeit das kleine Kloster zur Ruine wurde. Erst der Mainzer Erzbischof Willigis, betrübt über den wüsten Zustand des Disibod-Klosters, besetzte den Berg erneut mit zwölf Kanonikern, deren Unterhalt er durch umfangreichen Landbesitz sicherte. Um 1108 wurde das Kanonikerstift in ein Benediktinerkloster umgewandelt, angeschlossen wurde eine Frauenklause, die der Aufsicht des Männerkonvents unterstand.

      1106 wurde die damals achtjährige Hildegard, Tochter des Adligen Hildebert von Bermersheim, in die Obhut der Jutta von Sponheim gegeben. Mit ihr und einer weiteren Gefährtin zog sie kurz danach in die Frauenklause auf dem Disibodenberg. In dieser Zeit begann der große Umbau der Klosteranlage. Die mächtige Abteikirche, eine dreischiffige Pfeilerbaslika mit Querhaus, Hauptapsis und einem achteckigen Vierungsturm, wurde errichtet. An diesen schloss sich der Kreuzgang an. Die Frauenklause lag abseits des eigentlichen Klosters, war aber mit der Frauenempore der Abteikirche verbunden. Hildegard konnte, wie sie es später beschrieb, den Baufortgang von ihrer Klause aus beobachten. Friedhofskapelle, Kapitelsaal, Marienkapelle, Refektorium und Küchentrakt gehörten zu der weitläufigen Klosteranlage. Mit der Schlussweihe der Klosterkirche 1143 und der Verbringung der Gebeine des hl. Disibod in ein Grab hinter dem Hauptaltar war die Gesamtanlage vollendet.

      Während dieser langen Bauzeit lebte Hildegard in der sich ständig vergrößernden Frauenklause, die inzwischen auf 20 Frauen angewachsen war. Jutta von Sponheim, die „magistra“, die Meisterin, verstarb 1136. Hildegard wurde zu ihrer Nachfolgerin gewählt, ihr zur Seite stand der Mönch Volmar. Seit ihren Jugendjahren hatte Hildegard Visionen, doch erst als sie 42 Jahre alt war, wurde ihr durch eine Erleuchtung aufgetragen: „Schreibe, was du siehst und hörst!“ So beschreibt sie die von Gott gestellte Aufgabe, die sie, wenn auch zögernd, annahm. Zusammen mit dem Mönch Volmar begann sie mit der Niederschrift. Auf dem Disibodenberg entstand das erste Buch mit dem Titel „Scivias“ (Wisse die Wege). Auf der Trierer Sy­node von 1147/48, an der Geistliche aus der ganzen europäischen Welt teilnahmen, wurden Hildegards Visionen erstmals öffentlich gemacht. Von Zweifeln geplagt, fürchtete sie das Urteil der Geistlichkeit. Papst Eugen III. jedoch war fasziniert und sicherte ihr Unterstützung zu. Ihre visionäre Begabung wurde somit von höchster Stelle sanktioniert, sie wurde zur Fortsetzung ihres Werkes ermutigt. Das Buch Scivias, dem noch viele folgen sollten, begründete ihren Ruf als Mystikerin. Viele junge, adlige Frauen ersuchten um Aufnahme in die Frauenklause des Disibodenbergs, denn Hildegards Ruhm verbreitete sich. Dies sicherte dem Kloster Einnahmen, da die Frauen ihre Mitgift einbrachten. Das Männerkloster verwaltete den Besitz der Frauenklause.

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      Disibodenberg, südliche Querhausapsis der ehem. Klosterkirche

      Zur Zeit der Trierer Synode fasste Hildegard den Entschluss, den Disibodenberg zu verlassen. Ihre Gründe hat sie nie dargelegt. Sie plante mit ihren Schwestern ein eigenes, unabhängiges Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen. Der Abt von Disibodenberg wollte die berühmte Nonne, die dem Kloster weite Beachtung und beträchtliche Einnahmen brachte, nicht ziehen lassen. Erst nach Intervention des Mainzer Erzbischofs durfte Hildegard schließlich mit 20 adligen Schwestern nach fast 40 Jahren das Kloster auf dem Disibodenberg verlassen. Volmar, ihr treuer Sekretär, begleitete sie. Der Neuanfang auf dem Rupertsberg war schwer; nach mehr als zehn Jahren erhielt das neue Kloster seine völlige Unabhängigkeit und die Besitzungen aus der Mitgift der Nonnen. Hildegard lebte bis zu ihrem Tod 1179 auf dem Rupertsberg, hoch angesehen und als Ratgeberin weit geschätzt. Dort vollendete sie ihr umfassendes Werk. Ihre Schriften zur Heilkunde, zur Naturkunde, zur Musik, aber auch zu theologischen Problemen finden bis heute Beachtung. Daneben führte sie eine rege Korrespondenz mit bedeutenden Persönlichkeiten der Zeit.

      Nach dem Auszug Hildegards wurde es ruhig um den Disibodenberg. Das im 13. Jh. nur noch von wenigen Mönchen besetzte Kloster wurde dem Zisterzienserkloster Otterberg übergeben. Eine neue wirtschaftliche und geistige Blüte begann, was sich in mehreren Neu- und Umbauten, unter anderem auch dem der Abteikirche, niederschlug. Zahlreiche Grabsteine spiegeln die Anziehungskraft des Klosters in dieser Zeit wider. Es war begehrte Begräbnisstätte für zahlreiche Stifter.

      Doch auch hier kam der Niedergang. Im 16. Jh. wurde das Kloster nach langen Querelen aufgelöst, die Bauten befanden sich in schlechtem Zustand. Der letzte Abt heiratete 1560 und wurde evangelischer Pfarrer.

      Seit dieser Zeit wurden die Ländereien des Klosters verpachtet, ein Teil der Klostergebäude eine Zeit lang von den Pächtern bewohnt. Bis in das 18. Jh. standen noch eindrucksvolle Überreste der Klosteranlage, wie historische Darstellungen zeigen. Im späten 18. Jh. begann der Abbruch, die Bewohner der Gegend benutzten die Bauten als Steinbruch, die Zerstörung des Klosters konnte trotz aller Verbote nicht verhindert werden.

      Im 19. Jh. wandelte man das Terrain um in eine gärtnerisch gestaltete Ruinenlandschaft ganz im Sinne der Romantik, beliebtes Ausflugsziel für die Kurgäste der nahe gelegenen Bäder Kreuznach und Bad Münster am Stein. Heute liegen die Fundamentmauern wie ein riesiger Grundriss inmitten eines Waldgebietes. Noch immer beeindruckend sind die Ruinen der Klosterkirche und des Kreuzgangs, der Marienkapelle sowie des Abteigebäudes und des Hospizes.

      Auch wenn der Standort der Frauenklause nicht sicher nachgewiesen werden kann, so ist der gesamte Disibodenberg der Ort, an dem eine der außergewöhnlichsten Frauengestalten des 12. Jhs. ihre prägende Zeit erlebte.

       www.disibodenberg.de

      Literatur

      Hildegard von Bingen 1098–1179, Ausst. Kat., Mainz 1998.

      Falko Daim/Antje Kluge-Pinske (Hrsg.), Als Hildegard noch nicht in Bingen war, Regensburg/Mainz 2009.

      O Tochter, möge Gott dich zu einem Spiegel des Lebens machen … Diejenigen, die Gottes Werke zu vollbringen wünschen, sollen immer darauf achten, dass sie irdene zerbrechliche Gefäße sind, weil es nur Menschen sind.

      Einsam in idyllischer Landschaft im Taunus liegt das ehemalige Kloster Schönau. Durch ihre Abgeschiedenheit bietet die aus nur wenigen Bauten bestehende Klosteranlage mit der Klosterkirche, dem Kreuzgang und den Klostergebäuden einen Eindruck der Ruhe und der Besinnung, wie es schon die bedeutendste Nonne Elisabeth in der Gründungszeit im 12. Jh. erlebt haben dürfte, auch wenn die Klosterbauten heute aus gotischer bzw. barocker Zeit stammen.

      Wie viele Klostergründungen dieser Zeit stiftete ein Adliger, Graf Rupprecht von Laurenburg, 1132 die Abtei, um sein Seelenheil durch das ständige Gebet der Mönche zu sichern. Die Klosterkirche wurde als dreischiffige Basilika mit einer Doppelturmfassade errichtet, wie eine frühe Darstellung zeigt. Teile des Mauerwerks sind im gotischen Chor der heutigen Kirche noch erhalten, Reste der Bauplastik wie Kapitelle und Basen von Säulen lassen etwas vom einstigen architektonischen Reichtum erahnen. Mönche aus dem Benediktinerkloster St. Jakob in Mainz besiedelten Schönau, das innerhalb weniger Jahre beträchtlich anwuchs. In unmittelbarer Nähe wurde bald darauf ein Nonnenkloster gegründet, das dem Männerkonvent unterstellt war und von einer „magistra“, einer Meisterin, geleitet wurde.

      Ihre Eltern gaben die zwölfjährige Adlige Elisabeth im Jahr 1142 in das Nonnenkloster. Sie lebte nach ihrer Einkleidung in Demut, Frömmigkeit und Askese in dem kleinen Frauenkonvent. Eine körperliche und seelische Krise löste 1152 die erste visionäre Verzückung bei Elisabeth aus, der in den nächsten Jahren weitere folgen sollten. Auf Elisabeths dringenden Wunsch hin trat 1155 ihr Bruder Egbert in den Männerkonvent ein. Von da an überließ sich Elisabeth ganz seiner Führung. Egbert schrieb ihre Visionen nieder, denn