Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Название Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683203



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Tage die Räder auf den Fördertürmen still. Folge der Krise im Bergbau war, dass ein Teil der eben angeworbenen Ausländer schon wieder die Koffer packte, vor allem Ungarn, die nach dem Volksaufstand von 1956 geflohen waren und sich bei der schweren Arbeit unter Tage nie wohlgefühlt hatten. Keinen Weg zurück in den Tito-Staat gab es für die Jugoslawen, die in österreichischen Flüchtlingslagern angeworben worden waren. Aufatmend registrierte der „Generalanzeiger“ im April 1959: „Babylonisches Sprachengewirr in Oberhausen wird schwächer. […] Die Ausländergruppen im Oberhausener Bergbau […] schmelzen langsam dahin.“26 Wie lange man wohl noch an der Illusion festhielt, dass die „Gastarbeiter“ wieder abwandern würden?

      Zwar stellte sich 1958 die Auftragslage bei Eisen und Stahl und in der verarbeitenden Industrie noch durchaus günstig dar, u. a. deshalb, weil man bei der GHH Sterkrade und bei Babcock große Hoffnungen auf den Reaktorbau setzte, aber Anfang 1959 zeigten sich auch dort erstmals seit dem Korea-Boom von 1952 wieder konjunkturelle Warnzeichen. Im Februar meldete die HOAG 100, die Ruhrchemie gar 400 Entlassungen.27 Im Rahmen „eiserner“ Sparmaßnahmen strich die HOAG für Arbeiter und Angestellte alle Produktionsprämien.28 Aber schon im August stellte die HOAG wieder 520 Leute ein, und im Dezember 1959 wurde an der Essener Straße mit großem Tamtam ein neuer Hochofen eingeweiht.29 Auch die Bergbau-AG „Neue Hoffnung“ tat so, als handele es sich für die Steinkohle nur um eine kleine Konjunkturdelle. Sie stellte im Herbst 1959 wiederum 400 Berglehrlinge und 350 Bergjungarbeiter neu ein. „Neue Hoffnung ruft den Nachwuchs.“ „Steinkohle – nach wie vor Grundlage unserer Wirtschaft“, so hieß es in den Werbeanzeigen.30

      Während die Zuwanderung von Gastarbeitern von Anfang an auch mit Sorgen registriert wurde und die beginnende Abwanderung bei Manchem auch Stoßseufzer der Erleichterung auslöste, äußerten sich die Festredner zum 200. Geburtstag der GHH im Oktober 1958 durchweg positiv. Als in der Schlossgaststätte in feierlichem Rahmen an die Eröffnung der Antony-Hütte, der ersten Eisenhütte des Reviers, im Jahre 1758 erinnert wurde, sprachen die Oberbürgermeisterin Luise Albertz und der Oberstadtdirektor Anton Schmitz ausführlich über das rasante Bevölkerungswachstum der jungen Industriestadt, das zur Hälfte Ergebnis der ständigen Zuwanderung aus dem Osten Deutschlands und aus Polen war. „Aus dieser vielschichtigen Mischung zumeist lebenstüchtiger und wagemutiger Menschen, die ihre angestammte Heimat verließen, um hier einen neuen, besseren Lebensraum zu finden, ist eine neue Einheit geworden, das ‚Ruhrvolk‘. Es ist die menschliche Kraftquelle unseres Reviers.“31

      Niemals sind in so kurzer Zeit, in einem Jahrzehnt, so viele Menschen nach Oberhausen zugewandert wie in den 1950er Jahren, nämlich rund 38.000 Heimatvertriebene und Flüchtlinge und zusätzlich mehr als 11.000 DDR-Flüchtlinge, insgesamt also fast 50.000 Menschen.

Jahr Heimatvertreibene und Flüchtlinge
1950 12.764
1951 16.580
1952 19.282
1953 23.687
1954 26.706
1955 29.285
1956 31.735
1957 34.942
1958 36.693
1959 37.296
1960 37.949

       Tabelle 1: Gesamtzahl der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge 1950 bis 1960

       Quelle: Stadt Oberhausen, Bereich Statistik und Wahlen, Zuwanderung in Oberhausen 1850 bis 2000, S. 37.

      In den 1960er Jahren überlagerte die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte die beginnende Abwanderung Deutscher. Mit 260.570 Einwohnern erreichte Oberhausen 1963 seine höchste Einwohnerzahl, seitdem schrumpft die Bevölkerung.

       Tabelle 2: Herkunftsländer der ausländischen Wohnbevölkerung 1960 bis 1970

       Quelle: Stadt Oberhausen, Bereich Statistik und Wahlen, Zuwanderung in Oberhausen 1850 bis 2000, S. 52.

      Die Bevölkerungsentwicklung in Oberhausen kann als durchaus typisch angesehen werden für die Bundesrepublik insgesamt. Die BRD wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Einwanderungsland. „Aufs Ganze gesehen ist die zweite Republik mit den schier zahllosen Problemen, die durch diese Bevölkerungsbewegungen aufgeworfen wurden, auf eindrucksvolle Weise umgegangen, doch noch ist völlig offen, wann sie sich endlich der Herausforderung durch Schrumpfung, Alterung und Migration stellen wird.“32 In Oberhausen, wie in der Bundesrepublik insgesamt, haben viele Gruppen bei der Eingliederung der Migranten ins „Ruhrvolk“ mitgeholfen: In erster Linie die Einwanderer selbst, die Kollegen am Arbeitsplatz, die Gewerkschaften, die Schulen und Kindergärten, Kirchengemeinden und in vielen Wohnbezirken die Nachbarn. Nach dem Ende der Vollbeschäftigungsphase, d. h. seit der ersten Ölkrise von 1973, stellten sich die Probleme der Integration der Einwanderer allerdings neu, häufig schwieriger dar.

       Die Werke der GHH nach dem Krieg – nach wie vor Grundlage der Wirtschaft in Oberhausen

      Zwar war das Wirtschaftsleben der Stadt wie vor dem Krieg unverändert von „der Großindustrie“ geprägt. Durch die „Entflechtung“ unter der britischen Besatzung hatten sich aber die Strukturen grundlegend geändert. Schon im Dezember 1945 wurden alle Zechen des Ruhrgebiets der North German Coal Control (NGCC) unterstellt, das bedeutete für die GHH die Herauslösung aller Zechen aus dem Konzern. Im August 1946 wurde der GHH-Aktienverein für Bergbau und Hüttenbetrieb und die GHH Oberhausen AG der Treuhandverwaltung der North German Iron and Steel Control (NGISC) unterstellt. Hermann Reusch, der Sohn des Firmenpatriarchen Paul Reusch, übernahm also schon einen gestutzten Konzern, als er am 23. Januar 1947 Vorstandsvorsitzender wurde. In seinem kompromisslosen Kampf gegen Entflechtung, Entnazifizierung, Sozialisierung und Montan-Mitbestimmung gebärdete er sich noch einige Zeit als Sprecher der ganzen Ruhrindustrie, steigerte sich aber im Verlauf der 1950er Jahre in eine „Wagenburgmentalität“ hinein – in Frontstellung auch gegen die Regierung Adenauer – und wurde später, als er z. B. die Hauptversammlung des GHH Aktienvereins immer auf „Kaisers Geburtstag“, den 27. Januar legte, zu einer eher „skurrilen“ Figur.33 Hermann Reusch konnte nicht verhindern, dass am 8. Februar 1947 durch die Treuhandverwaltung der NGIS. die „Hüttenwerke Oberhausen AG (HOAG)“ gegründet, die alte GHH dadurch in drei Teile aufgespalten wurde: Südlich des Rhein-Herne-Kanals lagen die Eisen- und Stahlwerke der HOAG, überwiegend nördlich davon die Zechen und in Sterkrade das einzige Werk der Weiterverarbeitung, das zugleich noch den Namen GHH trug. Als 1949 die Bundesrepublik gegründet wurde, war die HOAG der größte Stahlerzeuger der neuen Republik. Maßgeblich geleitet wurde die HOAG in den Anfangsjahren vom Arbeitsdirektor Karl Strohmenger, der auf Vorschlag der IG Metall in den Vorstand berufen worden war. Unter seiner Leitung wurde die paritätische Mitbestimmung eingeführt: Im Aufsichtsrat der HOAG saßen ab 1951 fünf Vertretern der Arbeitgeber fünf Arbeitnehmervertreter gegenüber. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine intime persönliche Feindschaft zwischen Karl Strohmenger und Hermann Reusch.

      Alle Versuche, die Entflechtung des GHH-Konzerns rückgängig zu machen, scheiterten. Am 28. Mai 1952 wurden die ehemaligen GHH-Zechen in eine neue Einheitsgesellschaft überführt, die den Namen „Bergbau-AG Neue Hoffnung“ erhielt, nachdem die GHH gegen den Namen „Bergbau-AG Gute Hoffnung“ ihr Veto eingelegt hatte. Konsequenterweise