Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Название Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683203



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– allein die Erwähnung dieses Instruments mag die Grundstücksspekulation gebremst haben. Mit Erstaunen registrierten die Zeitgenossen in diesen stürmischen Aufbaujahren, mit wie wenig Eigenkapital man zum stolzen Besitzer eines Eigenheims werden konnte: Tausende bauten mit weniger als zehn Prozent eigenem Geld. Ein ganz besonders raffinierter Bauherr hatte es sogar mit nur 31,40 DM geschafft, sich ein Haus im Wert von 100.000 DM hinzusetzen. Das war der Stadtverwaltung aufgefallen, als dieser Herr die Ämter mit Beschwerden bombardierte.14

      Ausdruck des neuen Wohlstandes war auch schon der Massentourismus, der Mitte des Jahrzehnts mit voller Wucht einsetzte. Tausende Oberhausener entflohen „der sommerlichstickigen Dunstglocke des Kohlenpotts“, die meisten noch ins Sauerland, an die Nord- oder Ostsee, in den Schwarzwald oder ins Allgäu. Zunehmend verkauften die Reisebüros aber schon Pauschalreisen nach Mallorca und zu anderen Zielen am Mittelmeer, insbesondere in Italien. Selbst Flugreisen kamen schon in Mode.15

       Abb. 4: „Die Flucht ins Nasse!“ Bericht über das Freibad am Stadion Niederrhein, GA vom 27./​28. Juni 1959

      Die meisten Dunstglocken-Flüchtlinge fanden während der allsommerlichen Hitzewellen jedoch immer noch ganz in der Nähe Zuflucht in den Freibädern. „Die Flucht ins Nasse!“ titelte der Generalanzeiger seinen Bericht über das Freibad am Stadion Niederrhein. „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die wasserlechzend hier zusammenkamen.“ Ein Luftbild diente als Beleg für die Notwendigkeit großer Freibäder: „Wir müssten sie heute bauen, wenn sie nicht bereits da wären.“16

       Frauen in neuen Berufen

      Noch rumpelten die alten Straßenbahnwagen, in denen der Fahrer stand und der Schaffner mit seinem Bauchladen Fahrscheine verkaufte und mit einem Seilzug die Glocke zur Abfahrt läutete, durch Oberhausens Straßen. Nicht nur Personen wurden mit diesen immer offenen Wagen transportiert, auch tonnenschwere Güterwaggons mit Kohle für die Stadtwerke zogen die guten alten Straßenbahntriebwagen durch die Mülheimer Straße.17 Im Personenverkehr brach im Herbst 1957 jedoch eine neue Zeit an: „Hundert Schaffnerinnen knipsen vom 1. Oktober an Ihren Fahrschein.“ Offenbar eine Sensation: Die Einstellung der Frauen als Schaffnerinnen. Die Photographen waren dabei, als sich ihre männlichen Kollegen an ihre Seite drängten, um ihnen zu zeigen, wie die Fahrscheine „geknipst“ wurden. Für die Oberhausener Schaffnerinnen deutete sich 1958 das Ende der alten, offenen Straßenbahnwagen an, mit ihren starren Achsen, die deshalb in den Kurven furchtbar quietschten. Die neuen Großraumwagen wurden vorgestellt mit bequemen Sitzen für den Fahrer und seinen Schaffner, der die Haltestellen jetzt über Lautsprecher ansagte, mit automatischen Türen, so dass niemand mehr auf- oder abspringen konnte, und mit einem gelenkigen Fahrwerk, damit es in den Kurven nicht mehr quietschte. 1959 nahmen die Stadtwerke die drei ersten hochmodernen Großraumwagen vom „Oberhausener Typ“ in Empfang.18 Doch dazu später!

      Die Einstellung der Frauen war durch die Arbeitszeitverkürzung auf 45 Stunden pro Woche notwendig geworden.19 Die 45-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst verstärkte aber nur einen Trend, der – ausgelöst durch den Wirtschaftsboom – seit längerem erkennbar war. Die Männer in den Redaktionsstuben der Zeitungen registrierten es mit Erstaunen: „Frauen erobern neue Berufe.“ In der Berufswelt angekommen, wiesen ihnen aber schon noch die Männer ihre Rolle zu, so z. B. der Krankengymnastin:

      „Von manchen Ärzten mit einem gewissen Misstrauen betrachtet, hat sich die Krankengymnastin inzwischen zu einer Helferin des Arztes entwickelt. Nicht nur in der Chirurgie und der Orthopädie, sondern auch in der inneren Medizin, der Nerven- und vor allem der Kinderheilkunde wird sie heute bereits als Helferin des Arztes herangezogen.“

      Großen Seltenheitswert hatte noch der Beruf der Bildmixerin für das Fernsehen: „Sie sitzen am Schaltbrett neben dem Regisseur und haben die Aufnahmen jeder Kamera vor sich.“ Häufiger war da schon der Beruf der Milchmixerin für die 370 deutschen Milchbars. Bei den Schneidern hatten die Frauen die Männer schon fast vollständig verdrängt. Neu war der aus den US. importierte Beruf der Zugsekretärin, die in Schnellzügen „von eiligen Geschäftsleuten“ Diktate aufnahm. „Übrigens haben diese Damen sehr große Heiratschancen, sehr viel größere als zum Beispiel die Damen, die berufsmäßig bei Schönheitskonkurrenzen aufkreuzen.“ Diese Anmerkung schien dem – natürlich männlichen – Journalisten nun doch wichtig zu sein.20 Der Weg zur Gleichberechtigung der Frauen in der Arbeitswelt – einem Ziel, das auch heute noch nicht überall erreicht ist – war damals noch sehr weit.

       Abb. 5: „Hundert Schaffnerinnen knipsen vom 1. Oktober an Ihren Fahrschein“, GA vom 10. Juni 1958

       Bude und Stammtisch

      Ob der Beruf der Milchmixerin auch in Oberhausen vertreten war, ist nicht bekannt. Milchbars dürfte es, wenn überhaupt, nur wenige gegeben haben. Dafür gab es umso mehr „Büdchen“, oder „Trinkhallen“, wie sie offiziell hießen. Am Ende der 1950er Jahre wurden noch 320 im Stadtgebiet von Oberhausen gezählt. An Curry-Wurst dachte damals noch keiner, dafür gab es Rollmops und Kautabak. Flaschenbier durfte eigentlich nur zu Hause, nicht im Stehen an der Bude, getrunken werden. Aber die alten Verschlüsse der Bierflaschen waren so praktisch, dass wohl mancher Rollmops auch mit ein paar Schluck Bier hinunter gespült wurde.21 Der Trend zum Flaschenbier machte den Wirten in Oberhausen große Sorgen. „Die Stammtische sterben aus.“ Diese gute deutsche Tradition würde bald durch „das Fernsehbier“ verdrängt, so die Befürchtung mancher Wirte. Es gab aber auch hoffnungsfrohe Anzeichen: Die Heimatvertriebenen pflegten ihre Sehnsucht in neuen Stammtischrunden, die Kegelstammtische florierten wie eh und je und in manchen Kneipen eröffneten gar Frauen ihre eigenen Stammtischrunden.22 Ob die Oberhausener Gastwirte das „Aussterben der Stammtische“ wohl zum Vorwand nahmen, um die Getränkesteuer nicht mehr zu bezahlen? Der Kämmerer reagierte gelassen auf den Steuerstreik der Wirte, obwohl er mit einem Fehlbetrag von 400.000 DM rechnen musste. Zwei Gründe gab es für diese beeindruckende Gelassenheit: Erstens würde die Getränkesteuer im folgenden Etatjahr sowieso wegfallen, und zweitens konnte die Stadt Oberhausen derartige Fehlbeträge anscheinend noch gut verkraften.23

      Wie die Bierflasche so hatte auch die Milchflasche ihren Siegeszug angetreten. Nur sehr sparsame Hausfrauen kauften noch mit der Milchkanne bei einem der 90 ambulanten Milchmänner, die den Liter Milch vor der Haustür zwölf Pfennig billiger anboten. Warum die fleißigen Milchmänner ihre Existenzberechtigung vor Gericht verteidigen mussten, bleibt schleierhaft. 1960 konnten sie aber erst einmal aufatmen, als das Oberlandesgericht Düsseldorf – darüber kam nur noch der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht! – ihre Existenzberechtigung anerkannte.24

       Flüchtlinge und andere Einwanderer

      Der Jubel über das Ende der Wohnungsnot war 1956 wohl etwas verfrüht angestimmt worden. Die fieberhafte Bautätigkeit in allen Stadtteilen reichte auch in den späten 1950er Jahren noch nicht aus, um alle Menschen, die zuzogen, unterzubringen. Im Herbst 1958 „brandete“ die nächste „Berliner Flüchtlingswelle“ – so die Befürchtungen – nach Oberhausen. Den Städten wurde jeweils eine Quote zugeteilt – Menschen, für die in kurzer Zeit Wohnung und Arbeit gefunden werden musste. Während Oberhausen sich auf die „zehnte Quote“ einrichtete, hatte die Stadt die neunte Quote von insgesamt 3.000 Personen, die Anfang des Jahres 1958 angekommen waren „noch nicht verdaut“. Wegen der Masse der Flüchtlinge aus der DDR und weil damals Nordrhein-Westfalen noch als das reichste Bundesland galt, rechnete niemand damit, dass ein Einspruch gegen die „zehnte Quote“ irgendetwas bewirken würde.25

      Gegen Ende der 1950er Jahre waren es vor allem die knapper werdenden Arbeitsplätze, die den Stadtoberen Kopfzerbrechen bereiteten. Das Wirtschaftswunder machte 1958 eine Verschnaufpause. Auf den Zechen des Reviers,