Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Название Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683203



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in Oberhausen, denn die Ruhrkohle AG forderte eine Konzentration des Abbaus auf die besten Lagerstätten sowie eine optimale Ausnutzung der Übertageanlagen. Um diesem Auftrag zu entsprechen, wurde die Schließung der Zeche Jacobi beschlossen und im Zuge der Nordwanderung des Kohleabbaus der an der Straße Zum Ravenhorst vorhandene Nordschacht der Zeche Osterfeld zu einer modernen Seilfahrt ausgebaut. Am 1. April 1974 erfolgte dann die Stilllegung der Zeche Jacobi. Der größte Teil der Belegschaft, am Jahresende 1973 waren dies fast 3.900, konnte auf der Zeche Osterfeld einen neuen Arbeitsplatz finden. Hier wie auch bei der Schließung der Zeche Alstaden zeigte sich in der Übernahme der Belegschaften ein positiver Aspekt des Zusammenschlusses der deutschen Steinkohleunternehmen in der Ruhrkohle AG (WAZ, 10. Februar 1973).

      Die Zeche Osterfeld wurde neben der Erhöhung der Tagesförderung auch durch die Inbetriebnahme der modernsten Kokerei in Europa am 1. März 1973 zu einer modernen Großschachtanlage. Oberbürgermeisterin Luise Albertz nahm die feierliche Inbetriebnahme vor. Die mit einem Investitionsvolumen von über 120 Millionen DM, davon allein 15 Millionen für den Umweltschutz, von der Osterfelder Baugesellschaft Theodor Küppers gebaute, damals größte Kokerei Europas mit ihren über 90 Meter hohen Kaminen trug, wenn auch mit einigen Anlaufproblemen, zu einer erheblichen Reduzierung der Staub- und Geruchsbelästigung für die Bevölkerung bei (WAZ, 1. März 1973).

      Ende 1973 gab es für kurze Zeit die Hoffnung, dass die Schließung von Jacobi doch vermieden werden könnte. Der ▶ Jom-Kippur-Krieg veranlasste die Organisation der Erdölexportierenden Staaten (OPEC) am 17. Oktober 1973 die Ölförderung um fünf Prozent zu drosseln, was zu einer unmittelbaren Steigerung des Ölpreises um 70 Prozent führte. Von dieser sogenannten „Ersten Ölkrise“ waren alle wichtigen Industrienationen betroffen. In Deutschland markierte sie das Ende der wirtschaftlichen Stabilität der Nachkriegszeit und konfrontierte die Menschen in zunehmender Stärke mit den Themen Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und steigenden Sozialausgaben.

      Um Öl einzusparen wurde in der Bundesrepublik vom 25. November bis zum 16. Dezember 1973 ein allgemeines Sonntagsfahrverbot eingeführt. Der wirtschaftliche Effekt dieser Maßnahme war gering, für die Menschen damals war es allerdings ein prägendes Erlebnis. Die Zeche Jacobi konnte von der Ölkrise nicht profitieren, die Förderung wurde wie beschlossen eingestellt und aus dem bisherigen Verbundbergwerk Haniel/​Jacobi wurde das Verbundbergwerk Prosper/​Haniel14.

       Der lange Weg zum Ende der Roheisenerzeugung

      Auch im Bereich der Eisen- und Stahlerzeugung wurde 1968 mit der Übernahme der Aktienmehrheit an der Hüttenwerke Oberhausen AG (HOAG) durch die August Thyssen-Hütte AG (ATH) eine Entscheidung mit großer Tragweite für den Stahlstandort Oberhausen getroffen.

      Bereits im September 1967 mischte sich in die Jubelmeldungen über die Leistung des Hochofens A der HOAG, der als leistungsfähigster Hochofen der Welt im August 1967 über 86.000 Tonnen Roheisen erzeugte, Besorgnis über die Konsequenzen des geplanten Zusammenschlusses von HOAG und ATH (WAZ, 7. September 1967). Schon wenige Wochen später wurden erste Stilllegungen von Betrieben für das Jahr 1968 angekündigt.

      Die Fusion der HOAG mit der ATH wird einerseits als „gewinnbringende Transaktion“15 für die HOAG-Aktionäre, zu denen insbesondere die Familie Haniel gehörte, beschrieben. Aus Sicht der HOAG-Mitarbeiter war es andererseits der Beginn eines Jahrzehnte lang andauernden und oft vergeblichen Kampfes um ihre Arbeitsplätze. Für die 400 Mitarbeiter in der Eisenhütte Oberhausen I (EO I) signalisierte bereits am 26. Februar 1969 die am Hochofen 9 wehende schwarze Fahne das endgültige Aus für diese Abteilung. Entlassungen waren mit dieser Maßnahme, ebenso wie bei früheren Stilllegungen von Betrieben, nicht verbunden, die Mehrzahl der Mitarbeiter wurde innerhalb der HOAG umgesetzt (WAZ, 27. Februar 1969).

      Die über viele Jahre gegebene Möglichkeit, den von Rationalisierungen und Stilllegungen betroffenen Belegschaftsmitgliedern innerhalb des Unternehmens einen neuen Arbeitsplatz zu bieten, erklärt die erstaunliche Tatsache, dass der Abbau von 4.000 Arbeitsplätzen im Zeitraum von 1961 bis 1971 in der Stadtöffentlichkeit nur geringe Beachtung fand.

      1971 sollte sich dies dramatisch ändern: Durch Zusammenschluss der HOAG mit der Thyssentochter Niederrheinische Hütte AG entstand die Thyssen Niederrhein GmbH (TN), auch als Thyssen Niederrhein Oberhausen (TNO) bekannt, als hundertprozentige Tochter der ATH.

      Der Aufsichtsratsvorsitzende der TN, Dr. Hans-Günther Sohl, äußerte bei der letzten Hauptversammlung der HOAG am 19. April 1971 die Erwartung, dass dieser Zusammenschluss für die HOAG „eine glücklichere Zukunft bedeute“ sowie „für beide Unternehmen eine Stärkung und damit die Sicherung der Arbeitsplätze“ (WAZ, 20. April 1971). Nur wenige Wochen später wurden Planungen für weitere Stilllegungsmaßnahmen bekannt, von denen rund 700 Mitarbeiter betroffen gewesen wären. Am 21. Mai 1971 legten daraufhin über 5.000 HOAG-Mitarbeiter die Arbeit nieder und protestierten in einem mehrstündigen Demonstrationszug, mit dem Bundestagsabgeordneten Erich Meinike und dem IG-Metall-Bevollmächtigten Heinz Schleußer an der Spitze, gegen diesen erneuten Arbeitsplatzabbau. Der Protest hatte zumindest teilweise Erfolg, denn am 26. Juni 1971 beschloss der HOAG-Aufsichtsrat, das Siemens-Martin-Werk IIb nicht stillzulegen, die weiteren geplanten Stilllegungen erst zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen, eine Mindestproduktion von 55.000 Tonnen Rohstahl zu garantieren und die „metallurgische Basis (d. h. die Eisen- und Stahlerzeugung, M. D.) in Oberhausen zu erhalten“ (WAZ, 28. Juni 1971).

      Am Jahresende 1971 stand erneut die mögliche Aufgabe des Hochofens A, und damit der Verlust von bis zu 1.200 Arbeitsplätzen, im Raum. Da Umsetzungen innerhalb der ATH nicht mehr möglich waren, hätte dies Massenentlassungen zur Folge gehabt. Der Bau des neuen Großhochofens der ATH in Schwelgern sorgte für weitere Beunruhigung. Gleichzeitig bestätigte der Thyssen-Vorstand aber auch Gespräche über den möglichen Bau eines Elektrostahlwerkes in Oberhausen am Standort Neu-Oberhausen an der Osterfelder Straße (WAZ, 13. Dezember 1971). Auf die unsichere Beschäftigungslage reagierten viele Belegschaftsmitglieder mit freiwilliger Abwanderung, insbesondere nach Süddeutschland (WAZ, 10. Dezember 1971).

      Das Auf und Ab der Stahlindustrie in den frühen 1970er Jahren bestimmte die Belegschaftsentwicklung bei TN. Nachdem die Mitarbeiterzahl bis 1972 auf unter 9.000 abgesunken war, stieg sie im Boomjahr der Stahlindustrie 1974 auf über 9.600 Beschäftigte an. Doch schon im nächsten Jahr änderten sich die Marktverhältnisse drastisch. „Das Geschäftsjahr 1975/​76 brachte das schlechteste Ergebnis seit Bestehen von Thyssen Niederrhein“ so der Vorstandsvorsitzende Dr. Karl-Heinz Kürten (WAZ, 2. Dezember 1976). Als Folge dieser Geschäftsentwicklung wurden nicht nur Arbeitsplätze abgebaut, sondern auch die Kurzarbeit deutlich ausgeweitet.

      Im Frühjahr 1977 verdichteten sich erneut die Befürchtungen über die Schließung des Siemens-Martin-Stahlwerkes und den damit verbundenen Verlust von 2.000 Arbeitsplätzen. Die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite beurteilten verständlicherweise die Notwendigkeit einer möglichen Stilllegung völlig unterschiedlich:„Das SM-Stahlwerk unserer Tochtergesellschaft Thyssen Niederrhein in Oberhausen ist durch Veränderung des Marktes und der Technik zu einer Quelle untragbarer Verluste geworden“, so der Vorstandsvorsitzende der ATH Dieter Spethmann 197716. Der TN-Betriebsratsvorsitzende Herbert Mösle und der Oberhausener Landtagsabgeordnete Heinz Schleußer erinnerten andererseits in einer Belegschaftsversammlung am 27. März 1977 an die 1971 gegebene Zusage des ATH-Vorstandes zur Erhaltung der Stahlbasis in Oberhausen. Und weiter schreibt die WAZ am 28. März 1977 über diese Versammlung: „Zum Schluss warf Schleußer dem ATH-Vorstand vor, dass TNO seit der Zeit der Übernahme in den Thyssen-Konzern nach und nach ausgeplündert werde“.

      Am 20. Juni 1977 titelte die WAZ dann „Arbeitsplätze vorerst gesichert“, eine Meldung, die leider nicht alle Beschäftigten erfreuen konnte. In intensiven Verhandlungen war es der Arbeitnehmerseite gelungen, einen Grundlagenvertrag auszuhandeln, der die Stahlbasis in Oberhausen sicherte. Dies forderte allerdings auch einen hohen Preis: 1.200 Arbeitsplätze sollten zukünftig durch Fluktuation abgebaut werden, das Siemens-Martin-Werk mit der Brammenstraße schrittweise stillgelegt und durch ein Elektrostahlwerk ersetzt werden. Thyssen Niederrhein wurde in eine Betriebs- und Geschäftsführungsgesellschaft umgewandelt und die TN-Betriebe an die Thyssen AG verpachtet. Ferner wurden nicht produktionsbezogene kaufmännische