Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Название Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683203



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für den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, Umschulungen aller Art, die Suche nach geeigneten Flächen für neue Gewerbeansiedlungen und die Jagd nach ansiedlungswilligen Firmen – Dauerthemen, die die Stadtväter und –mütter bis in die Gegenwart begleiten sollten. Als Ministerpräsident Kühn im Oktober seine in Düsseldorf tagenden Kollegen überreden konnte, die Ministerpräsidentenkonferenz zu unterbrechen und nach Oberhausen zu fahren, war dies wenig mehr als ein Kondolenzbesuch. Selbst in Kühns eigenem Kabinett, beim Koalitionspartner FDP war die Neigung gering, der Stadt Oberhausen in der schwierigen Situation unter die Arme zu greifen. Hoffnungen nämlich, dass das Land NRW die Concordia-Grundstücke kaufen und für Neuansiedlungen aufbereiten könnte, machte Innenminister Weyer sofort zunichte. Die Stadt setzte ihre Hoffnungen auf die von Concordia bisher nicht genutzten Flächen nördlich des Rhein-Herne-Kanals in Buschhausen.131

      Noch hatte die Arbeitslosigkeit nicht die Ausmaße angenommen wie in den späteren Jahrzehnten, noch gab es die berüchtigten „Sockel“ an Dauerarbeitslosen nicht. Nachdem die Concordia Bergbau AG für einen Sozialplan 9,5 Millionen DM bereitgestellt hatte, hob die Landesregierung die Sperre der Stilllegungsprämie auf132, so dass es im Winter 1967/​68 gelang, 3.000 der insgesamt 4.000 Concordianer „umzusetzen“. Auch für die verbleibenden 1.000 war das Arbeitsamt optimistisch: Nur wenige der älteren und gesundheitlich angeschlagenen Bergleute würden schwer zu vermitteln sein. 34 Prozent der Untertage-Arbeiter waren Ausländer. Damit „stand die Concordia in Sachen ‚Hilfswillige aus Süd und Ost’ an der Spitze aller Ruhrzechen.“ Ob auch die ausländischen Gastarbeiter „umgesetzt“ wurden oder ob man sie mit sanftem Druck in ihre Herkunftsländer abschob, sagte die Zeitung nicht. Sibyllinisch hieß es nur: „Aber auch diese Schwierigkeit ist nach vielfältigen Gesprächen mit Botschaftern und Konsuln ausgestanden.“ Am 22. März 1968 wurden die letzten 550 Kumpel in die Arbeitslosigkeit entlassen. „In zehn Tagen werden die Anschläger der Concordia-Schachtanlagen zur letzten Seilfahrt klopfen. Nach 118 Jahren wird am 22. März der letzte Brocken Kohle gefördert. Dann stehen die Seilscheiben still. Exitus eines weiteren Pütts an der Ruhr. Nach dem Willen des Vorstandes der Concordia Bergwerks AG werden offizielle ‚Grabreden’ und ‚Kränze’ ausbleiben. Es soll ein stilles Begräbnis werden.“133

      Ganz so traurig wurde der 22. März dann anscheinend doch nicht. Als die Kumpel zum letzten Mal ausfuhren, strahlten sie mit ihren schwarzen Gesichtern und blendend weißen Zähnen in die Kameras. Einer hatte sich für die letzte Schicht unter Tage sogar ein weißes Hemd angezogen und eine Krawatte umgebunden.134 Tapfer schlug man in der Stadtverwaltung optimistische Töne an: „Die Zukunft der Stadt liegt geplant in der Schublade.“ Angeblich konnte man es kaum noch abwarten, bis die Gebäude der Concordia vom Erdboden verschwanden, um die Gewerbeflächen dann für Anderes zu nutzen. „Zeit, Geld und Grundstücke“ brauchte es für die Ansiedlung neuer Betriebe. „Zeit ist allerdings heute das einzige, wovon man mehr hat, als man braucht.“ S. hieß es dann aber doch etwas kleinlaut. Nur für das Kraftwerk der Concordia am Kanal gab es schon konkretere Pläne. Es sollte in eine große Müllverbrennungsanlage umgewandelt werden.135

      Nicht für alle war die Stilllegung der Concordia eine bittere Erfahrung. Die Aktienkurse des Unternehmens stiegen im Frühjahr 1968 steil an.136

      Mittlerweile sah die Situation auch auf den HOAG-Zechen des Stadtgebiets nicht rosig aus. Oberhausen, so die IG Bergbau, war 1967 die Stadt mit den meisten Feierschichten – bundesweit.137 Ab 1966 setzte die Frühverrentung ein. Bergleute, die über 55 Jahre alt waren, erhielten das Angebot, mit vier Fünfteln der Rente vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Ab 60 sollte die Rente dann auf ihren vollen Betrag aufgestockt werden. Der Osterfelder Bergmann und Schriftsteller Wilhelm Erbing nahm dieses Angebot durchaus positiv auf. Wenn die „Rationalisierungsrentner“ freiwillig gingen, so war das in Ordnung. Im Übrigen sah er für die Kohle durchaus noch eine Zukunft: „Wir Oberhausener Bergleute kennen keine Existenzangst, denn wir sind voller Zuversicht, dass sich auch in Zukunft in unseren Schachttürmen die Seilscheiben drehen werden! Und wir sind voller Hoffnung, weil wir glauben, dass es für unsere Kohle keinen Abgesang geben wird.“138

       Zeche Concordia als Filmkulisse

      Bevor die Zechengebäude der Concordia abgerissen wurden, mussten sie noch als Filmkulisse herhalten. Der italienische Regisseur Visconti drehte auf dem Zechengelände in Lirich die „Götterdämmerung“, ein düsteres Werk über eine Industriellen-Dynastie in der Nazi-Zeit, in der viele die Familie Krupp zu erkennen glaubten. In einer großen Trauerprozession schritten die damaligen Stars Dirk Bogard und Ingrid Thulin über die von Oberhausener Statisten noch ein letztes Mal bevölkerte Zeche Concordia. Es gab einen Unfall bei den Dreharbeiten: Ein Güterzug rammte beim Rangieren die sechs Meter hohen hölzernen Kulissen. Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Umso mehr Ärger gab es mit den Statisten, weil die italienische Produktionsfirma die versprochenen 50 DM nicht pünktlich zahlte. Es gab Proteste und tätliche Auseinandersetzungen vor der Stadthalle; selbst ein Photoreporter der NRZ wurde attackiert, seine Kamera beschädigt. Kulturdezernent Hilmar Hoffmann musste vermitteln. Am Ende entschuldigte sich die italienische Produktionsfirma: Die italienischen Devisenbestimmungen hätten verhindert, dass das Geld für die Bezahlung der Statisten rechtzeitig eintraf. Am Tag nach den Tumulten vor der Stadthalle konnte dann doch auf Concordia gedreht werden.139 Vierzig Jahre später würde das Oberhausener Theater den Visconti-Film als Stoff für ein phantasievolles Stück im alten Gästehaus der GHH in Sterkrade nutzen!

      Der Wirbel um die „Götterdämmerung“ rief bei alten Oberhausenern die Erinnerung an die 1930er Jahre wach, als die hiesige Industrie schon einmal zur Kulisse eines Spielfilms wurde. Auch damals war es ein Trauerzug, den Regisseur Veit Harlan mit dem Star Emil Jannings an der Spitze über das Werksgelände der GHH an der Essener Straße marschieren ließ. Die Stahlwerke bildeten auch den Hintergrund einer Versammlung, bei der „Der Herrscher“ – so der Filmtitel – zu seinen Arbeitern sprach. Der allergrößte Teil des „Herrschers“ – einer fürchterlichen Schnulze um den alternden Generaldirektor, der sich in seine junge Sekretärin verliebte – wurde aber im Studio gedreht. Goebbels persönlich soll sich um diesen Film gekümmert und ihn für gut befunden haben.140

       Bilanz

      In der Rückschau stellen sich uns die 1950er und 1960er Jahre als eine Epoche dar, in der die Menschen mit großem Optimismus an die Bewältigung der Kriegsfolgen und an den Wiederaufbau ihrer Stadt herangingen. Ihre Zuversicht gründete sich bis 1960 auf beeindruckenden wirtschaftlichen Erfolgen und ebenso auf einer Bevölkerungskurve, die von 1946 bis 1963 einen Anstieg der Einwohner von 160.000 auf 260.000 verzeichnete. S. wird verständlich, warum auf die Anzeichen von Krise im Bergbau meist mit der Erwartung reagiert wurde, andere Branchen würden für einen Ausgleich sorgen. Eine Schrumpfung der Stadt passte schlicht nicht in die Vorstellungswelt der Wirtschaftswunder-Optimisten.

      Kommunalpolitisch bemerkenswert ist die markante Umgestaltung der Parteilandschaft im Vergleich zur Weimarer Republik. Zwei Volksparteien, SPD und CDU, traten an die Stelle eines vielfältigen Spektrums bürgerlicher wie sozialistischer, aber auch rechts-konservativer Parteien. In Oberhausen wie im gesamten Ruhrgebiet verlor das ehemals starke katholische Zentrum in den 1950er Jahren zunächst an Bedeutung gegenüber der „christlichen Volkspartei“ CDU, sicher unter dem prägenden Einfluss der Bundespolitik und einer so markanten Persönlichkeit wie Konrad Adenauer. In den 1960er Jahren jedoch verschwand das Zentrum auch deshalb unter der Fünf-Prozent-Hürde, weil zahlreiche seiner Anhänger nun auch eine politische Heimat in der SPD fanden. Hugo Baum, späterer Sozialdezernent, ist dafür das prägnanteste Beispiel. Ohne die Öffnung der SPD für katholische wie evangelische Christen, und auch ohne die Integrationskraft sozialdemokratischer Persönlichkeiten von Luise Albertz bis zu vielen Multifunktionären in Stadtrat, Betriebsrat und zum Beispiel Gesang-, Sport- oder Schützenvereinsvorstand wäre der Aufstieg der SPD von rund 15 Prozent um 1930 zur absoluten Mehrheit von über 50 Prozent seit 1964 nicht vorstellbar gewesen.

       Magnus Dellwig / ​Ernst-Joachim Richter

Wirtschaft im Wandel