Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Название Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683203



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eine entsprechende Garage gebaut und sich an seinem Besitztum erfreut.“ Unbekannte Täter hatten das gute Stück in der Nacht mit einem Beil völlig demoliert. Ein großes Bild zeigte das Goggo-Wrack mit den Einschlägen ins Blech.100 Im Frühjahr 1962 waren in Oberhausen bereits 19.108 PKW angemeldet. 7.580 Arbeiter waren stolze Besitzer eines eigenen Autos, erst an zweiter Stelle folgten die Beamten und Angestellten mit 5.598 Privatwagen.101 Man darf annehmen, dass die rasant wachsende Gruppe der Autobesitzer mehr Sympathien hatte für den Bau der Hollandautobahn als für die Einsprüche dagegen.

      Es war noch offen, wie die Auto-Lawine vom Südpunkt der Hollandautobahn in Sterkrade bis zum Anschluss an den Ruhrschnellweg im Süden gelenkt werden sollte. Die HOAG, der Industriegigant in der geographischen Mitte der Stadt, legte ihr Veto ein gegen die im Rathaus favorisierte Trasse durch das Brücktor- und Knappenviertel. Für die Realisierung dieser Route hätte die HOAG einige Grundstücke abgeben müssen. Das lehnte sie kategorisch ab und drohte mit der Abwanderung in eine Küstenstadt, falls man ihren Wünschen nicht folgen sollte. Die HOAG verlangte eine Streckenführung entlang der Emscher nach Osterfeld und von dort in südlicher Richtung entlang der östlichen Stadtgrenze zum Ruhrschnellweg.102

       Die gute alte Straßenbahn

      Noch stellte niemand die Straßenbahn in Frage, als die leitenden Herren der Städtischen Verkehrsbetriebe kurz vor der Auslieferung die neuen Großraumwagen 1959 in der Waggonfabrik in Köln besichtigten: Künftig konnten ein Fahrer und ein Schaffner 220 Personen in einem Wagen befördern.

      „Die neuen Wagen haben modernste windschnittige Form. […] Die drei an jeder Seite symmetrisch angeordneten Falttüren werden elektrisch betätigt. […] Die farbliche Kombination ist eindrucksvoll: Sitzplätze in warmem Holzton, Seitenwandverschalung in Sperrholz mit grüngemusterter Kunstledertapete. […] Zum Komfort gehören die Beleuchtung mit Leuchtstoffröhren und die moderne Ausrufanlage mit Verstärkern. Jeder Fahrgast kann aber auch durch einen Druck auf einen Knopf dem Schaffner anzeigen, dass er den Wagen an der nächsten Haltestelle verlassen möchte. […] Das Fahrsignal wird beim Fahrer erst sichtbar, wenn die vom Schaffner zu betätigenden Türen geschlossen sind. […] Es wird wirtschaftlich stark zu Buch schlagen, dass man in Zukunft für den gleichen Nutzraum nur noch einen Schaffner benötigt, statt bisher (für Triebwagen und Anhänger) zwei!“103

      Die Zeit war nicht mehr fern, wo man den Schaffner ganz einsparen und dem Fahrer das Wechselgeld in die Hand drücken würde! Doch in Zeiten der Vollbeschäftigung schien die Personaleinsparung niemanden zu beunruhigen.

      An der ewig geschlossenen „Glückauf-Schranke“ (da hast Du „Glück“, wenn sie „auf“ ist) wurde der Schaffner (oder die Schaffnerin!) aber noch eine Zeit lang gebraucht. Das Verkehrsärgernis Nummer eins in Oberhausen an der Emschertalbahn wurde erst im Herbst 1965 durch eine Brücke ersetzt. Kurz vor der Eröffnung, im Bundestagswahlkampf 1965 fuhr Luise Albertz in einer offenen schwarzen Mercedes-Limousine an der Seite von Willy Brandt über die neue Trasse. Ab Februar 1966 war die Brücke auch für die Straßenbahn offen. Zum letzten Mal hielt ein alter Straßenbahntriebwagen an der geschlossenen Schranke und rumpelte dann über die Bahngleise, nachdem die Schaffnerin sich vorschriftsmäßig vergewissert hatte, dass kein Zug mehr im Anmarsch war, um dann auf die langsam fahrende Straßenbahn wieder aufzuspringen.104

       Abb. 11: Luise Albertz in einer offenen schwarzen Mercedes-Limousine an der Seite von Willy Brandt bei der Einweihung der neuen Straßenbrücke über die Emschertalbahn, GA vom 3. September 1965

      Zweieinhalb Jahre später ging das Straßenbahnzeitalter in Oberhausen zu Ende. Am Sonntag, dem 13. Oktober 1968, fuhr die Linie 1 zum letzten Mal von der Broermann-Realschule (heute Anne-Frank-Realschule) zum Bahnhof Holten. Wer wollte, konnte auf dieser wehmütigen letzten Fahrt umsonst mitfahren. Am 3. April 1897, vor 71 Jahren, war die erste „Elektrische“ vom Oberhausener Bahnhof bis zur Essener Straße gerumpelt, wo die Leitung der GHH für die Ehrengäste eine Runde kühles Pils ausgab. Oberhausen konnte stolz für sich in Anspruch nehmen, als erste deutsche Stadt seit 1897 einen elektrischen Straßenbahnbetrieb voll in kommunaler Regie zu betreiben. Jetzt waren die Stadtoberen der Meinung, dass Busse schneller und wirtschaftlicher seien. Argumente des Umweltschutzes spielten damals noch keine Rolle.105 Dass das Intermezzo ohne Straßenbahn gerade mal drei Jahrzehnte dauern würde, ahnte in den 1960er Jahren noch keiner. Dem Auto gehörte die Zukunft. Personen- und Güterverkehr wurde überall von der Schiene auf die Straße verlagert. Öl verdrängte die Kohle als wichtigster Energieträger.

       Wetterleuchten in der Arbeitswelt

      In der Mitte des Jahrzehnts brummte die Wirtschaft wieder wie in den besten Jahren des deutschen Wirtschaftswunders. Das Flaggschiff der Oberhausener Industrie, die HOAG, konnte im zweiten Quartal 1964 einen neuen Produktionsrekord vermelden: Erstmals waren in einem Monat mehr als 200.000 Tonnen Rohstahl erzeugt worden.106 Die Ruhrchemie kündigte eine Großinvestition an, den Bau einer neuen Salpetersäurefabrik. Wie in der gesamten chemischen Industrie wurde Öl zum wichtigsten Grundstoff. Die Verwendung von Kokereigas, das in riesigen Röhren in das Werk in Holten transportiert wurde, lief aus.107 Die Babcockwerke konnten bei der Jahreshauptversammlung Anfang 1965 stolz darauf verweisen, dass sie als eines der ersten Unternehmen in Deutschland die Nutzung der Atomenergie in ihr Programm aufgenommen hatten. Für das Forschungsschiff „Otto Hahn“ lieferte Babcock den Reaktor. Nur einen Schönheitsfehler hatte die Jahreshauptversammlung: Sie fand nicht in Oberhausen, sondern in Duisburg statt.108

      Hauptproblem bei der HOAG, wie bei der Oberhausener Industrie insgesamt, schien der Mangel an Arbeitskräften zu sein. In der Metallindustrie von Oberhausen fehlten im Herbst 1964 mehr als 3.000 Arbeitskräfte. Auch die Bauindustrie suchte dringend Facharbeiter. Selbst im Bergbau gab es viele offene Stellen. Die Bilanz des Oberhausener Arbeitsamtes für das Jahr 1964 sah so aus: In 14.400 offene Stellen wurden 10.100 Arbeitskräfte vermittelt, darunter 3.280 Frauen und 3.250 Ausländer. Die Hälfte der Männer, die einen neuen Arbeitsplatz bekamen, waren also Ausländer.

      Die meisten „Gastarbeiter“ bei der HOAG stammten aus Spanien (437 neben 213 Griechen und 140 Türken von insgesamt noch 11.754 Arbeitern). Für sie stellte die Wohnbaugesellschaft Dümpten, eine Tochter der HOAG, Anfang 1965 im Knappenviertel ein achtgeschossiges Wohnheim fertig. Dadurch schienen für die Spanier alle Probleme erst einmal gelöst. Erstmals wurden ab Herbst 1964 auch Gastarbeiter aus Portugal angeworben. Und noch eine Premiere gab es im Frühjahr 1965: Auf der Zeche Concordia wurde ein italienischer Bergarbeiter in den Betriebsrat gewählt.109

      Im Quartalsbericht des Arbeitsamtes war aber kurz danach schon davon die Rede, dass man die Anwerbung von Gastarbeitern abbremsen müsse. Im Bergbau ging die Nachfrage nach Hauern und Schleppern zurück. Als erstes sollte sich die neue Situation für die „Ferien-Bummelanten“ schmerzhaft auswirken. Einige Zechen würden die Arbeiter, die zum Ferienende nicht pünktlich wieder antraten, nicht wieder einstellen.110 Das ist ein erstaunlicher Hinweis: Hieß das, dass ihre Arbeitsverträge ausliefen, wenn sie zum Urlaub in ihre Heimatländer fuhren?

      Anders als bei der Metallindustrie oder der Großchemie waren beim Bergbau die Absatzprobleme auch im Boom-Jahr 1965 nicht zu übersehen. Ab 1966 verschlechterte sich auch die Auftragslage bei Metall und Chemie. Die erste echte Konjunkturkrise der Nachkriegszeit schlug in diesem Jahr voll zu: Feierschichten im Bergbau, Flaute in der Eisen- und Stahlindustrie, Rückgang der Einwohnerzahl und als Folge Rückgang der Kaufkraft und sinkender Wohnungs- und Straßenbau – vor diesem Hintergrund mussten die Stadtväter jetzt einen Haushalt zurechtzimmern. Bei einem Schuldenstand von 200 Millionen DM versuchten sie, wenigstens noch die Seniorenwohnanlage der Elly-Heuss-Knapp-Stiftung zu retten. Zum ersten Mal erschien am Horizont das Gespenst des Staatskommissars, der der kommunalen Selbstverwaltung den Garaus machen würde.111

       Concordia wird stillgelegt

      Im September 1950 hatte die Zeche Concordia noch mit großem Pomp ihr Hundertjähriges gefeiert. Die älteste Oberhausener