Stills Faszienkonzepte. Jane Stark

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Название Stills Faszienkonzepte
Автор произведения Jane Stark
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783941523548



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der Autorin, ein rotes Notizbuch gesehen zu haben, dessen Seitenränder in denkbar schlechter Handschrift beschrieben waren. Von einen Koffer voller Schriftstücke wusste er jedoch nichts.398

      Für die Autorin ist es schwer nachvollziehbar, wie Charlie allein aufgrund der Eintragungen an den Seitenrändern eines vorgedruckten Notizbuch einige poetische Texte von A. T. Still wiedergeben konnte, die er ebenso wie zwei von Stills immer wiederkehrenden „philosophischen Betrachtungen“, nämlich Sammlung und Kontinuität im Denken, in seinem Buch veröffentlicht hat.399 Charlie zeigte A. T. Stills Notizen auch einer im Raum Denver ansässigen Bibliothekarin namens Per Brown, die zusammen mit drei „osteopathischen Verwandten und einem Psychologen“400 versuchte, die Eintragungen in dem roten Notizbuch genauestens zu interpretieren. Eine Zusammenfassung ihrer Interpretation findet sich auszugsweise in Charlies Buch. Grundsätzlich stellten sie fest, dass die Handschrift sehr schwer lesbar war und eine Menge Fehler und Wortumkehrungen enthielt, die zum Teil im Nachhinein korrigiert worden waren. „Vermutlich ist es vor allem falscher Satzbau, der den Sinn des Geschriebenen unklar bleiben lässt. Bei einer richtigen Syntax könnte sich aus den Äußerungen eine völlig andere Bedeutung ergeben.“401 Im Verlauf der Forschung wurde deutlich, dass Harold Magoun junior D.O. einer der besagten „drei osteopathischen Verwandten“ ist, die in Charles E. Stills Buch beschrieben werden. Dr. Magoun bestätigte das auf Anfrage.402 In den späten 1970er-Jahren erhielt Dr. Magoun junior die Erlaubnis, private Texte von Still zu sichten. Wie er bestätigte, ging es darin tatsächlich um spiritistische Themen.403 Was die anderen „Verwandten“ anbelangt: Per Brown ist heute schwer krank und wird zweifellos kein weiteres Licht auf den Inhalt werfen können, und der dritte „Verwandte“, ein Patient von Dr. Magoun, der sich damals mit Spiritismus beschäftigte, ist inzwischen verstorben.

      Details des Tagebuchinhalts werden im Abschnitt über den Spiritismus behandelt. Dr. Magoun bestätigte, dass das Tagebuch, das er zu sehen bekommen habe, nicht das in Charlies Buch erwähnte gewesen sei, sondern ein etwa 12,50 cm x 15 cm großes und ungefähr 1,5 cm dickes „von dunkler Farbe und ohne jeden Vordruck“. Es enthielt also um die 50 bis 60 Seiten.404 Kurz nach Charlies Tod 1995, schenkte seine Witwe Doris das Textmaterial aus Charlies Besitz dem Still National Osteopathic Museum. Die neun Seiten umfassende Inventarliste der katalogisierten Schriftstücke enthält aber weder einen Hinweis auf die von Dr. Dickey erwähnten losen Seiten noch auf die von Dr. Jones und Dr. Magoun beschriebenen „Tagebücher“. Nur ein einziger Ordner könnte einige dieser Dinge enthalten haben.405

       Zusammenfassung

      Man kann davon ausgehen, dass es für einen heutigen Osteopathen oder Historiker, der aus A. T. Stills Philosophie sowohl die Person als auch die Osteopathie betreffende Schlussfolgerungen ziehen möchte, von Vorteil wäre, wenn er Zugang zu Stills sämtlichen Aufzeichnungen hätte. Wie hier gezeigt, war bis vor zehn oder 15 Jahren an die meisten von Stills frühen Zeitschriftenartikeln und an eines seiner Bücher aus verschiedenen Gründen so gut wie nicht heranzukommen. Still veröffentlichte vier Bücher, wovon das dritte, Philosophy and Mechanical Principles of Osteopathy, vor der 1986 erfolgten Neuauflage nur in wenigen Exemplaren verbreitet war. Es enthält ein merkwürdiges Kapitel mit der Überschrift Biogen und sehr entwickelte Gedanken über Faszien sowie – noch wichtiger – über Membranen.

      Es gibt mindestens drei, seit 10 Jahren verschollene Notizbücher/Tagebücher, die vermutlich Beweise für Stills Verbindung zum Spiritismus enthalten, deren Öffentlichmachen nach der mehrheitlichen Meinung von Stills Hinterbliebenen reputationsschädigend gewesen wäre. Diese mögliche Verbindung könnte aber wichtiger Schlüssel zum Verständnis seiner Faszienkonzepte sein, zumal er die Faszien als Wohnstätte von Seele und Geist bezeichnete.

      Stills Rede- und Schreibstil

       „Der Stil mag rau und ungehobelt erscheinen. Wenn es sich so verhält, möchte ich als Entschuldigung nur das anführen: Es ist nach meiner Art und Gewohnheit zu reden gesprochen … [und] ohne Rücksicht auf die Regeln des guten Schreibens.“ 406

       Redestil

      Obgleich es keine bekannten Aufnahmen von Stills Stimme und keine lebenden Osteopathen oder Familienglieder mehr gibt, die sich an sie erinnern könnten, ist es wichtig, Stills Redestil Beachtung zu schenken, denn der Still-Biograf Booth (1905) sowie Freunde und Studenten von Still sind lebendige Aufzeichnungen von vielem, was er gesagt hat. So meinte etwa W. J. Conner D.O.: „Er redete jeden Tag zu uns. Doch viel davon rauschte gewöhnlich so hoch über meinen Kopf hinweg, dass ich nur den Klang hörte.“407 Conner, der Still seit 1874 kannte, veröffentlichte The Mechanics of Labor Taught by Andrew Taylor Still408, eine Publikation, die noch vor einigen Jahren (2002) als Unterrichtsmaterial in einem Kurs am Canadian College of Osteopathy diente (Canadian College of Osteopathy, 2002). Sowohl in der Autobiography als auch in JO-Artikeln finden sich Drucke und Neudrucke Still’scher Reden oder Ansprachen. Ein Zeitgenosse bemerkte über Stills rednerisches Auftreten: „Seine Darlegungen strotzen von scharfsinnigen, prägnanten und schlagenden Argumenten. Er hielt seine Zuhörer in Bann.“409

      Andrew Taylor Still war schwer zu verstehen. In der ersten Still-Biografie schrieb E. R. Booth, über Stills Redestill:

       „Die Überfülle solcher Gedanken in seinem Verstand … verleiht seinen Vorträgen, aber auch seiner Konversation oft ein mystisches Flair, etwas Übernatürliches. Seine Ideen entwickeln sich schneller, als er sie ausdrücken konnte. Seine tiefsten Gedanken bilden sich in seinem Verstand häufig mit derartiger Geschwindigkeit und werden in so schneller Folge artikuliert, dass der Hörer beim Versuch ihnen zu folgen ganz benommen wird und sich vielleicht fragt, ob diesen Äußerungen wirklich ein zusammenhängendes Prinzip zugrunde liegt.“ 410

      Im ersten Moment erinnert Stills Sprach-Stil an Harry Ward Beecher (1813–1887), einen amerikanischer Theologen, der im ganzen Land für seine Predigten, seine gefühlsbetonte Redeweise und seine unorthodoxe Theologie berühmt war. Still kannte Beecher und andere Theologen, missbilligte aber deren hohe Einkünfte.411 Das Predigen des Evangeliums erlebte Still wohl erstmals in den 1830er-Jahren in den methodistischen Zeltlagern seines Vaters. Wanderprediger im Grenzland benutzten die damals dort übliche Umgangssprache, um Resonanz beim Publikum zu finden.412 Sie bewegten sich auf der geistigen Ebene ihrer Zuhörer und sprachen in Metaphern und Gleichnissen, „um ihr wirres Haar zu durchdringen und in ihren Intellekten haften zu bleiben“.413

      Da viele von Stills Reden als Kapitel in seinen Büchern und als Aufsätze in Zeitschriften, insbesondere im JO, gedruckt worden sind, sollte man sich stets daran erinnern, dass sie selbst für diejenigen, die Still gut kannten, schwer zu verstehen waren.

       Schreibstil

      „Er [Still] bemühte sich nicht unbedingt darum, uns die Details der Wissenschaft zu erläutern – die mit der Zeit ohnhin von selbst dazukamen –, sondern er wollte uns zum Ursprung, zu den Quellen führen, sodass wir diesen Gesichtspunkt schätzen, diese Art der Osteopathie verstehen lernten.“414

      Eine wichtige, bei der Lektüre von Stills Schriften gewonnene Beobachtung ist, dass vor allem beim Deuten seiner Gedanken Vorsicht geboten ist aufgrund der vielen, im gesamten Werk auftauchenden, oft geheimnisvollen allegorischen Darstellungen, die sogar seinen erster Biografen verblüfften.415 Jetzt, ein Jahrhundert später, ist das Ganze eher noch schwieriger geworden, denn Äußerungen wie „Unbewegt und leer wie ein Fischteich im Mondlicht gehe ich davon“416 scheinen dem heutigen Leser zunächst wenig Sinn zu machen.

      Tucker erinnerte seine Leser daran, dass sich:

       „eine Lektüre dieser Bücher vor dem Hintergrund heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse mühsam gestaltet. Sehen wir der Tatsache ins Auge … Seine Sprache ist ganz einzigartig,