Tiefraumphasen. Группа авторов

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Название Tiefraumphasen
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770103



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      »Das wird aber furchtbar unwürdig.« Jorge klingt resigniert. Was soll er auch tun, er kann mich ja nicht zwingen.

      Der Kriecher wird zum Läufer, ich steuere manuell, renne zwischen schlanken Felsschaumnadeln hindurch, die sechzig, siebzig Meter weit aufragen.

      »Der Grund ist hier kühler und fester«, rufe ich atemlos in den Lärm hinein. »Der Untergrund ist nicht das Problem«, sagt Jorge.

      Und dann sehe ich es. Ganz nah.

      Eine Förderfabrik, wie man sie aus großen Frachtern absetzt. Sie sieht alt aus, krustig, schwärzlich, hässlich. Und doch ist es der schönste Anblick, den ich mir vorstellen kann.

      »Warum hast du denn das nicht vorher gesehen?«, frage ich die KI.

      Ich lausche, ob etwas aus Richtung der Förderfabrik zu hören ist. Nichts deutet auf ein Gebäude, auf Maschinen hin. Ich muss näher ran, muss die Wände anfassen, um es zu glauben.

      Jorge verfolgt mit dem Blick eine Bewegung am dunklen Himmel, einen schiefen Blitz, der auf uns zuzuckt.

      Ich reagiere instinktiv, der Kriecher macht einen Satz. Für einen bangen Moment steckt ein Bein im Boden fest, doch ich kann es losreißen, und wir rennen los. Nicht fort vor dem, was sie nach uns werfen, sondern darauf zu.

      »Begreifst du jetzt?«, sagt Jorge.

      Ja, ich begreife. »Wahnsinnswavemaschine. Gute Tarnung.«

      Jorge nickt. »Offenbar waren die vor uns hier. Und sie wollen nicht teilen.«

      »Aber warum kann ich sie sehen?«

      »Du bist nicht bei Verstand, schon vergessen?«

      Was immer es für ein Waffentyp ist, den sie benutzen, das Geschoss schlägt hinter uns ein. Ich lasse den Kriecher weiterrennen, schneller und schneller.

      Jorge schaut auf seine Hände. Er wirkt bedrückt, so kenne ich ihn gar nicht.

      »Hätte ich die Nachricht an die Korpo nicht abgesetzt, hätten sie sie nicht abfangen können, hätten sie uns nicht entdeckt, hätten sie uns nicht die Hülle weggeschossen, wären wir nicht abgestürzt, hättest du deine Rezeptoren noch, wären ...«

      Plötzlich erfasst mich ein Anflug von Zärtlichkeit für Jorge. Er war wirklich noch sehr jung, schade um ihn. Ich habe noch nie versucht, ihn in diesem Zustand zu berühren. Jetzt tue ich es, nehme seine Hand, drücke sie kurz.

      »Du konntest es ja nicht wissen.«

      Das nächste Geschoss schlägt ein, verfehlt uns um wenige Meter. Meine Güte, haben die denn hier keine Energiewaffen? Keine Zielerfassung, nichts, womit sie mich auch in vollem Galopp treffen könnten?

      Auf der Außenhülle der Fabrik wird ein Logo erkennbar, ein ineinander verschlungenes, schwarzweißes Zeichen mit zwei Punkten. Habe ich noch nie vorher gesehen. Vielleicht gehört es zu einer vergessenen Korporation, vielleicht zu irgendwelchen Piraten. Macht keinen Unterschied.

      Ich könnte versuchen, eine Nachricht abzusetzen, ohne Siegel, könnte sie verraten. Dann hätten sie einen Krieg hier in ein paar Monaten. Oder ich erledige die Sache einfach selbst, so Zahn um Zahn, auch wenn ich keinen Zahn mehr habe. Ich kann ihnen ein Loch in den Wanst rennen und sie mit meiner Wut zu Asche verbrennen.

      7.

      Das Ende kommt dann ziemlich plötzlich. Zwei der vorderen Arme sacken in den Grund, die hinteren Arme fuchteln nutzlos durch die Luft. Eine Halterung ist gebrochen, Inventarkisten sind ins Rutschen gekommen. Ich bin eingeklemmt und zu schwach, um die Kiste, die auf mir liegt, wegzudrücken.

      »Jorge?«, frage ich leise.

      Er antwortet nicht. Ob er diesmal endgültig tot ist? »Können wir irgendwas tun?«

      »Nein. Nur warten«, sagt die KI.

      Irgendwann, ein paar Minuten oder Stunden später, geht die Schleuse auf. Zwei schlaksige Figuren treten ein, ragen hoch über mir auf. Sie sehen aus wie die Proteinfleckaliens auf der Brücke der Smoot, vielleicht sind sie hier auf Acrux 79 aufgewachsen, die Schwerkraft ist nicht so bedeutend, da kann man schon mal etwas in die Höhe schießen. Ihre Helme sind altmodische Kugeln, und es ist dunkel darin, sodass ich keine Gesichter erkennen kann. Sie schauen sich um, entdecken mich, gestikulieren ein bisschen, während sie sich, für mich unhörbar, über Helmfunk unterhalten, nicken schließlich, wenden sich ab und gehen wieder.

      Die Schleuse lassen sie offen. Einfach so: Außentür, Innentür, beides sperrangelweit auf. Nicht, dass deshalb gleich die ganze restliche Luft entweicht. Es ist ja eine Atmosphäre dort draußen, wenn auch keine, die ich atmen könnte. Aber es wird weniger hier drinnen.

      Ich würde jetzt wirklich auch gerne rausgehen. Ich wette, Jorge wartet dort auf mich. Oder schlafen. Schlafen würde ich noch lieber. Aber es geht einfach nicht. Macht nichts. Nicht mehr lange, dann bin ich dünn und tot genug. Dann komme ich hier raus. Dann komme ich zu euch. Dann lasse ich euch auch nicht mehr schlafen.

      

      Torsten Exter

       Soulsave

      Buster schlug die Augen auf. Eine langsame, klebrige Bewegung seiner müden Lider. Augenblicklich wusste er, dass etwas nicht in Ordnung war. Irritiert huschte sein Blick hin und her. Er blinzelte. Verwirrung. Sonderbare Farben und Bilder bauten sich vor ihm auf, drangen mühselig in sein Hirn. Stotternd begann der Prozess des Verstehens und endete abrupt in einer beängstigen Erkenntnis. Er wusste nicht, wo er sich befand.

      Grünes Gras erstreckte sich bis zu einem entfernten Wäldchen. Einige Blumen wuchsen. Violette, blaue und rosafarbene Pflanzen, deren Namen er nicht kannte. Geräusche drangen an sein Ohr. Hohes Vogelträllern. Fiepen. Gurren. Er entdeckte eine Tränke, in der sich kleine rote Vögel gegenseitig mit Wasser bespritzten. Frösche quakten. Er drehte sich um und sah auf eine wundervoll angelegte Teichlandschaft. Schilf und Farne, sprudelnde Fontänen. Aus einem begrünten Hügel rann ein Bachlauf und plätscherte sein Lied in die harmonische Atmosphäre einer heilen, wundervollen Welt.

      »Was soll der Scheiß?«, murmelte Buster. Doch seine Erinnerung antwortete mit Leere. Hatte er Drogen genommen? Wenn ja, welche und mit wem? Er hatte seit fünf Jahren nichts mehr angerührt. Nicht mal Heavens Hope, das heutzutage bei den Kids als lächerlicher Softiestoff galt. Er legte den Kopf in den Nacken und hoffte, irgendwelche Sterne zu sehen, die ihm sagten, wo er sich befinden könnte. Der Himmel war hellblau. Friedliches Schimmern. Wie ein Blick in ein sauberes Meer, das von einer reinen Sonne beschien wurde. Es glitzerte verspielt, schuf sanfte Wellen. Blautöne kräuselten sich gemütlich. Buster hätte ewig so stehen und gucken können. Etwas flackerte störend in dem harmonischen Farbenspiel. An einer winzigen Stelle, wenige Zentimeter groß. Das Blau starb dort abrupt, zerriss und verging. Dahinter offenbarte sich tiefes Schwarz. Darüber ein grelles, grünes Gitternetz.

      »Alles klar.«

      Das Geräusch, das er erwartet hatte, blieb nicht aus. Ein hohes Sirren, wie von aufgescheuchten Insekten. Schon waren sie an der defekten Stelle und begannen ihr Werk. Bots. Simple, kleine Repair-Einheiten. Energetische Blitze zuckten aus ihren kubischen Körpern. Sie begannen, die Kuppel zu flicken.

      Vielleicht Green Isle auf Dremahn, überlegte er. Der Planet war bekannt für seine Vielzahl an Urlaubs- und Erholungsangeboten. Oder die Young-Africa-Kolonie auf Hazard. Dort sollte ein wahrhaft unglaublicher Nachbau subtropischer Regenwälder gelungen sein. Keine Holo-Projektion, kein Plastikschrott aus billigen indischen 3D-Druckern. Echte Bäume. Echte Pflanzen. Eigene Zucht, mit selbst entwickelten DNA-Mustern. Das vollste, herrlichste Grün, das je ein Mensch gesehen hatte.

      Es ergab trotzdem alles keinen Sinn. Nicht den Geringsten. Die Planeten Dremahn und Hazard lagen im Leuchtenden Gürtel, in jener fruchtbaren Zone, die sich wie ein kräuselndes

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