Tiefraumphasen. Группа авторов

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Название Tiefraumphasen
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770103



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diesmal, nur irrationale Angst. Vielleicht, weil das, was vor uns liegt, so groß ist, dass es unser Leben für immer verändern wird. Es ist einfach unheimlich.

      »Hast du das hier eigentlich schon der Korpo gemeldet?«

      Jorge lächelt. »Was denkst du denn? Vertragsgemäß dreimal versiegelt und draufgespuckt.«

      »Natürlich.«

      Jorge wirft mir einen Seitenblick zu, er scheint mein Unbehagen zu bemerken.

      »Frau Somma Sanktus Zwo? Du willst doch nicht etwa einen ganzen Planetoiden verheimlichen und dir in die eigene Tasche stecken?«

      Sein Grinsen ist so unsicher, dass ich mir sicher bin, er meint die Frage ernst. Natürlich will ich das nicht. Das wäre absurd. In ein paar Monaten werden die ersten Fabriken hier auftauchen und mit dem Abbau beginnen. Und dann kriegen wir unsere verdiente Provision, mehr als wir jemals wieder ausgeben können. Tatsächlich. Wir haben das große Los gezogen.

      Jorge deutet auf einen flüssigen Goldsee, der sich rechts von uns am hellen Horizont entlangzieht.

      »Siehst du den?«, sagt er ehrfürchtig.

      Der See dürfte die Größe einer Millionenstadt haben.

      »Ja.«

      Die Oberflächentemperatur auf der Tagseite beträgt um die zwölfhundert Grad Celsius, und auf der Nachtseite herrschen Minusgrade. Die großen Temperaturschwankungen haben tiefe Risse und schwarze, aufgeschäumte Formationen hervorgebracht, wie bei einem Marshmallow, den man zu lange über dem Feuer dreht. Man müsste das Gold nur abpumpen. Und aufhalten könnte man sich in der Dämmerzone, in mobilen Domes. Oder am Südpol, wo nur alle Jubeljahre mal ein Sonnenstrahl hinfällt.

      »Die Provision können wir vergessen.« Der Gedanke kommt ebenso klar wie plötzlich, und ich bin mir absolut sicher, dass ich recht habe.

      »Wieso?«

      »Jorge, hier tauchen bald nicht nur die Fabriken auf, sondern auch Kriegsschiffe, andere Korpokratien, die Acrux 79 für sich beanspruchen wollen. Es gibt auf jeden Fall Ärger.«

      »Unsinn! Die Korpocodes wurden noch nie geknackt. Und was wäre denn die Alternative? Willst du hier hocken bleiben wie die Henne auf dem goldenen Ei? Oder einfach abhauen, so tun, als gäbe es hier gar nichts?«

      »Gut, wie machen wir das also am besten?«, sage ich mehr zu mir selbst. »Wir lassen erst mal ein paar Sonden raus, dann geht das schon mal schneller. Ordentliches Kartografieren gehört schließlich auch zum Job.« Ich zwinkere Jorge zu, auch wenn das kaum helfen wird, ihn von meiner Idee zu überzeugen. »Und falls wir Gebiete finden, in denen das Zeug halbwegs lose rumliegt, nehmen wir, was wir tragen können. Und dann nichts wie weg.«

      Jorge ist schockiert. »Als Labelflüchtlinge!? Für den Rest unseres Lebens?«

      Er hat recht. Und er hat nicht recht. Wahrscheinlich liegt hier sowieso kein Gold in handlichen Brocken herum. Es wird ja Tag für Tag wieder eingeschmolzen.

      »Ach, ich weiß auch nicht. Gehen wir halt erst mal runter.« Ich greife nach meinem Helm.

      2.

      Keinen Ton hat die KI von sich gegeben, keine blinkende Anzeige hat uns gewarnt, kein Energieschirm hat den Angriff aufgehalten, kein automatisches Abwehrfeuer wurde initiiert. Ich meine, die Smoot ist nur ein kleiner Erkunder, aber trotzdem, völlig blind und wehrlos sind wir ja nun nicht. Was immer uns getroffen hat, war unsichtbar, unhörbar.

      »Die müssen eine Wahnsinnswavemaschine haben, wenn die sich dem Hintergrund so perfekt anpassen können.«

      Jorge schaut mich fragend an. Er sitzt neben mir im Cockpit des Kriechers, lächelt. Es gefällt mir nicht, wie das gezackte Metall aus seiner Schläfe ragt, wie sein Auge, halb aus der Höhle gedrückt, mich aus einem seltsamen Winkel anstarrt. Ich kriege jedes Mal einen Schrecken, wenn ich ihn so sehe.

      »Na, die uns die Hülle weggefetzt haben«, erkläre ich. »Materialermüdung war das jedenfalls nicht.«

      Jorge grunzt abfällig. Ich bin ganz froh, dass er wenigstens nicht spricht. Es reicht schon, dass er von Zeit zu Zeit einfach so auftaucht.

      »Jorge, etwas hat uns angegriffen. Etwas Intelligentes.«

      Genau. Was also, wenn wir viel mehr entdeckt haben als einen Brocken Gold? Was, wenn wir hier draußen endlich anderes Leben gefunden hätten? Oder besser: es uns. Ich weiß, Wunschdenken. Aber in dem Fall wäre es nebensächlich, dass Jorge dabei draufgegangen ist und ich es wahrscheinlich auch nicht mehr lange mache. Das wäre es doch wert, oder?

      »Und anders lässt sich das sowieso gar nicht erklären«, sage ich müde. Ich würde gerne nach hinten gehen, die Liege ausklappen, ein bisschen schlafen. Die KI und der Kriecher finden auch ohne mich eine Möglichkeit, in der Dämmerzone zu bleiben, relativ nah an der Nachtseite, wo die Temperaturen uns nicht großartig schaden. Der Kriecher hat die Arme eingefahren und zieht eine Staubfahne hinter sich her, während er dicht über einem weiten Plateau dahinrauscht. Was für ein verdammtes Glück, dass es hier eine Atmosphäre gibt, auf der er gleiten kann. Langsamer unterwegs zu sein, wäre unangenehm, mit solch einer potenten Sonne im Nacken. Die nächsten paar hundert Kilometer muss ich mir darüber jedoch keine Gedanken machen. Und ich würde wirklich gerne schlafen.

      Nur kann ich eben nicht. Wenn ich die Augen schließe, erlebe ich alles noch einmal, bekomme es nicht aus dem Kopf, vergesse nicht, wie ich nach meinem Helm greife, immer noch zögerlich, ich vergesse nicht das Rütteln, Rattern, Quietschen beim Eintritt in die Atmosphäre. Und wie über mir plötzlich alles rot und dunkel ist, und das Gefühl, mein Gesicht steht in Flammen. Das ist keine Hitze, sondern Kälte, die so brennt. Ich vergesse nicht, wie ich nicht atmen kann, wie Jorges Kopf neben mir hin und her pendelt, der Helm zerbrochen, das Metall in seinem Kopf, der vorwurfsvolle Blick. Ich vergesse nicht das graue Gewebe, das auf Jorges Wange klebt. Und in den Haaren. Und wie ich gegen den zunehmenden Druck des Sturzes meine Arme nach oben zwinge, mit dem Helm, den ich wunderbarerweise noch immer in den Händen halte, den ich aufsetzen muss, unbedingt, unbedingt. Und es schaffe. Wie ich vom Sessel rutsche, als die Nase der Smoot sich nach unten richtet, wie ich aufwärts über das Deck krieche. Und über mir keine Proteinspritzeraliens mehr, sondern nur noch dunkler und roter Himmel und keine blasse Ahnung, wie weit die Oberfläche noch entfernt ist. Ich verliere das Bewusstsein, komme wieder zu mir, liege flach auf dem Deck, wir fallen noch immer. Ich ziehe mich auf meinen Sessel, aktiviere die Schalung. Nicht, weil ich denke, dass ich dann überleben werde. Ich hoffe einfach nur, dass es angenehmer sein wird, hier zu sterben als da unten auf dem nackten Metall. Dann warte ich. Es ist ein merkwürdiger Gedanke, dass dieser schon ziemlich lang andauernde Zustand des Fallens innerhalb eines einzigen Moments beendet sein wird. Ich weiß nur nicht, wann. Ob jetzt ... oder jetzt ... oder jetzt.

      Woran ich mich nicht erinnern kann, ist der Aufprall.

      Ich bin nur irgendwann langsam aus dem Sessel geglitten, wie ein Tropfen, der sich sammeln muss, schwerer und schwerer wird, bis er sich löst, und dann bin ich runtergefallen, nicht weit, vielleicht einen Meter oder nur einen halben. Meine Knie und Handschuhe sind durch die schwarze Oberfläche von Acrux 79 gebrochen, haben sich in den Gesteinsschaum darunter gesenkt. Ich kann nicht viel sehen, alles ist in rötlichen Dämmer getaucht. Ich stehe auf, wandere herum, ohne zu wissen, wozu. Ziemlich viel später merke ich: Dass ich so schlecht sehen kann, liegt an dem Blut in meinem Helm. An den Zähnen. Sie sind beim Aufprall alle zertrümmert worden. Noch Tage später spucke ich Blut, Gewebe, Bruchstücke aus.

      Die Smoot hat sich tief in den Grund gebohrt, aber nicht zu tief, um den Kriecher zu befreien. Ich bin dankbar, dass ich Jorge nicht finden kann, dass ich ihn nicht noch mal so tot und mit Metall im Kopf sehen muss.

      »Ein Schlafmittel«, bitte ich die Kriecher-KI.

      Sie antwortet: »In deinem Blut zirkulieren bereits ausreichend Schlafmittel.«

      Dumme Maschine. Sie reichen eben nicht.

      3.

      »Du könntest, wenn du wolltest«,