Tiefraumphasen. Группа авторов

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Название Tiefraumphasen
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770103



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      Riss.

      Sie war ein übel zugerichtetes Bündel. Blaue Flecken, die von der notdürftigen Kleidung kaum verdeckt wurden. Buster blickte auf ihren zitternden Körper hinab. Auf die Maschinen, die ihn traktiert hatten. Er roch Blut und Angst. Schweiß und noch etwas, dass es eigentlich nur im innigen Spiel zweier Liebender geben sollte. Er wendete sich ab, kassierte sein Geld und verließ den seltsamen Keller, mit all der Mechanik und Elektronik. Sein Auftrag war erfüllt. Er hatte ein neues Mädchen geliefert. Sie lag erschöpft von der langen Reise im Nebenraum. Gott, was dachten diese jungen Dinger eigentlich? Dass sie zu großen Onlinestars mutieren würden? Zu einer neuen Elvina Glory? Dass irgendein Millionär vorbeischneien und sich unsterblich in sie verlieben würde? Ein Leben in Saus, Braus und Crack führen? Buster musste lachen. Ein hämisches, trostloses Lachen, wie es alteingesessene Trinker für junge Burschen übrig hatten, die ihnen weltmännisch erklärten, sie könnten jederzeit mit dem Saufen aufhören.

      »Wie heiß die?«, hatte Buster gefragt.

      Ihr Besitzer grinste ihn vergnügt an.

      »Pussystomper.«

      »Nein, nicht die Maschine. Das Mädchen.«

      »Sie heißt, wie du willst. Kannst ihr jeden Namen geben.«

      Das Mädchen rührte sich und sah ihn aus glasigen Augen an.

      »Ich heiße Fay.«

      Auf einem Bildschirm neben ihr blinkte ein roter Button auf. »Ah, Arbeit. Los geht‘s, Püppchen. Neuer Kunde, neue Runde.« Ihr Besitzer lächelte freudig und rieb sich die Hände.

      »Du glaubst gar nicht, was die für ein paar Minuten zahlen«, flüsterte er Buster zu und gluckste wie ein kleiner Junge, der es geschafft hatte, einen Regenwurm zu essen.

      Buster schaute zu dem Mädchen. Zu Fay. Auf dem Bildschirm sah er Kameraaufnahmen des Zimmers, die ihren mageren Körper aus jedem Winkel zeigten. Die Maschinen waren bereits zu unseligem Leben erwacht. Fay schloss ein Kabel an ihren Nacken an und begab sich in Position.

      Riss.

      Die Anzeigentafel flackerte. Neue Aufträge, neue Auslieferungen. Buster kauerte auf dem harten Boden seines Schiffs, den Blick an die Wände geheftet. Seine Hände zitterten. Das Haar war zerrauft und wirr. Gedanken um körperlose Teufel strichen in seinem aufgewühlten Geist umher. Gott, er musste hier weg. Zurück ins Leben, zurück in die bewohnten Sonnensysteme. Die Wüste aus Schwärze, die sein Schiff umgab, war zermürbend. Eine Form des Seins, die der Geist weder begreifen noch verdauen konnte.

      »Scheiße«, keuchte er und stemmte sich hoch. Sein Blick fiel auf die Monitore und die blinkenden Nachrichtenfenster. Sie widerten ihn an. Was wollte all der kranke Abschaum von ihm? Deine Dienste, wisperte eine innere Stimme. Du bist der Lieferant, du Arschloch. Du versorgst die Bordelle, Showrooms und Cam-Kasernen mit neuem, frischem Fleisch.

      Er drohte wieder zusammenzusacken. Eine Welle des Ekels brach über ihn herein, begrub ihn, raubte ihm die Luft zum Atmen. All die Jahre, dachte er. Huren von A nach B chauffieren. Junge Mädchen mit Träumen und Hoffnung in ihren unschuldigen Augen. Verschifft in die Bordellhöllen von Kay-Suma und Leetan. Sicher, er hatte nie jemandem etwas getan. Keine der Frauen war gezwungen worden. Aber war es wirklich freiwillig geschehen? Hatten sie aus tiefstem Herzen entschieden, sich in versifften Kellerräumen von Männerscharen benutzen zu lassen? Buster wurde übel, und er erbrach sich. Es lief heiß und säuerlich aus ihm heraus. Ein Schwall, der weit mehr aus ihm zwängte als reinen Mageninhalt.

      Ich hör auf mit dem Scheiß, schwor er sich zwischen zwei hektischen Atemzügen.

      Noch heute.

      Riss.

      »Was soll das heißen, du arbeitest nicht mehr für uns?«

      Der Organisator stemmte die mechanischen Arme in seine schwabbeligen Hüften.

      »Ich habe hier dreizehn beschissene Lieferaufträge für dich rumliegen, Buster. Schwing deinen stinkenden Arsch in deine Rostgondel und sieh zu, dass du zur Erde kommst. Fünf kleine Schlitzaugen stehen aufm Plan – zwei Jungs, drei Mädchen. Müssen nach Forsun ins Haus der tausend Träume. Kapiert?«

      Buster drehte sich wortlos um und ging. Aus dem Büro, mit all den flirrenden Monitoren, edlen Teppichen und Wandtresoren, die mehr Geld fassten, als er je besitzen würde.

      »Buster!«, kreischte der Organisator. »Wenn du jetzt gehst ...«

      Buster warf einen letzten Blick über seine Schulter. Doch er galt nicht dem wild fuchtelnden Mann, sondern den Bildschirmen und ihren hoch aufgelösten Streams aus allen verruchten Ecken des Universums.

      Gruppenorgien, widerliche Spiele zwischen alten Säcken und jungen Dingern, die kaum die Upper School absolviert haben dürften. Camshows, Trans-, Quer- und Interpartys. Vollgepumpte Junkiemädchen, die in Schlingen, Ketten und Fesseln hingen. Absurde Auswüchse plastischer Chirurgie, kaum noch menschlich zu nennen. Eine junge Frau. Er kannte ihr Gesicht, hatte in ihre Augen geblickt. Die Penetrationsmaschinen waren angeschaltet und aktiv, ratterten unbarmherzig.

      Ein kleines Infofenster am unteren Bildschirmrand.

      User: Apollo2067

      Dazu seine Global-IP Nummer, Creditchipangaben, Useraccountdaten. Seit vierzig Minuten steuerte er die Sexmaschinen per View & Click.

      Sie liefen auf Hochtouren.

      Riss.

      Ein ausgelassener Kindergeburtstag. Kichernde Mädchen, eine große Torte mit grünen Gummifröschen dekoriert. Die Frau wirkte glücklich. Lächelte. Der Mann ebenfalls, doch galt seine Aufmerksamkeit dem jungen Mädchen im quietschgelben Kleid. Buster hatte den Eindruck, es sei ein wenig zu viel des Starrens. Zu viel von einer Freude, die falsch und unangemessen erschien.

      Riss.

      Etwas traf die Prism. Ein harter Aufschlag, der das Schiff brutal durchschüttelte. Metall riss, Kunststoff knirschte, Glas splitterte.

      »Was zur Hölle?« Buster keuchte und blickte hektisch auf die Anzeigen. Voller Treffer backbord. Druckabfall. Riss der Außenhülle. Sauerstoff entwich. Das äußere Nichts drang ein, pfeifend, zerrend, voller Gewalt. Keine Reaktion des Steuermoduls. Sturzflug. Eine Spirale, die sich in endlose Tiefen bohrte. Schreie, verzweifelte, panische Schreie. Sinnlos, ungehört. Das Lied Ertrinkender in sauerstoffloser Unendlichkeit.

      Riss.

      »Du wirst mich vergewaltigen, oder?«

      Diese Frage hatte sie ihm kurz nach dem Aufbruch von Kirinaar und dem Verlies des Hurentempels gestellt, und sie hatte in sein Herz gebissen. Nicht weil sie so etwas von ihm vermutet hatte, sondern weil kein Mensch eine solche Frage stellen sollte. Weil niemand eine Angst wie diese erleben sollte.

      Buster sah sich selbst, wie er unschlüssig an Deck der Prism stand. Hin und her gerissen zwischen Hoffen und Ungewissheit, dem Gefühl, dass Richtige getan zu haben, und der Furcht, sie bereits an die dunklen Klippen jenseits der Hoffnung verloren zu haben.

      Fay huschte durch einen der engen Gänge, beobachtete ihn. Sein Starren, seine Hilflosigkeit. Er wusste nicht, wo sie hinfliegen sollten, aber er hatte sie geholt.

      »Danke«, flüsterte sie kaum hörbar.

      Buster, der sich und Fay sah, lächelte.

      Riss.

      Rauch. Überall Rauch. Buster blickte an sich hinab und bemerkte, dass er sonderbarerweise auf der Schiffsdecke lag. Zwischen brennenden Kabeln und Plastikschrott. Knochen ragten aus seinem Körper. Die normalen und die künstlichen, die er vor Ewigkeiten hatte implantieren lassen. Garantie zwanzig Jahre.

      Ein Schatten schob sich in sein Blickfeld. Unscharf, nebelhaft. Gekrümmt gehend, wie einer der armen Schlucker, die sich minderwertige Innereien hatten einpflanzen lassen, um die eigenen für ein paar Credits zu verscheuern. Die Gestalt trat näher, kniete sich zu ihm.

      »Fay.«