Wagners Welttheater. Bernd Buchner

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Название Wagners Welttheater
Автор произведения Bernd Buchner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534729951



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rel="nofollow" href="#u6e4fe4d9-af98-569a-92de-d9d09fbde5fa">Kapitel 4 Hitlers Hoftheater (1924–1945)

       Hitler in Wahnfried

       Bayreuthifizierung der Nazis, Nazifizierung Bayreuths

       Bündisches Bayreuth

       Die Festspiele im „Dritten Reich“

       Die schwierige Schwiegertochter: Winifred Wagner

       Ein „Roter“ in der braunen Trutzburg: Heinz Tietjen

       Kraft durch Wagner. Bayreuth im Zweiten Weltkrieg

       Kapitel 5 Neues Bayreuth mit alten Kameraden (1945–1966)

       Neubeginn unter amerikanischer Ägide

       Zwischen Idealismus und Propaganda. Winifred vor der Spruchkammer

       Die nächste Generation: Wieland und Wolfgang Wagner

       Der Weg zur Wiedergründung

       Politisches Schweigen um das „tödliche Thema“

       Kunst des Übergangs: Entrümpelung am Grünen Hügel

       Ausblick Das Wagnertheater und die Welt

       Die letzten fünfzig Jahre

       Bayreuth zwischen Anpassung und Alternative

       Anmerkungen

       Abkürzungen

       Siglen

       Quellen und Literatur

       Personenverzeichnis

      Einleitung

      Die Politisierung der Kunst

      Am Anfang war Wagner. Ohne den Komponisten und seine Opern hätte es die Festspiele in Bayreuth naturgemäß nicht gegeben. Ohne die Festspiele wäre die Stadt in Oberfranken niemals zu einer Stätte deutscher Hochkultur von Weltrang und zum alljährlichen Mekka von Kunstfreunden aus allen Erdteilen geworden. Richard Wagner (1813–1883) ist der bisher einzige Musiker der Geschichte, der ein so riesiges Werk wie den Opernvierteiler Der Ring des Nibelungen schuf, in dem er in totalitärer Manier versuchte, „den Weltprozess als ganzen einzufangen“ (Theodor W. Adorno)1 und seinen politischen Umsturzphantasien damit eine „nachgeschobene theatrale Legitimation“ (Udo Bermbach)2 zu geben. Um diese Tetralogie präsentieren zu können, rief er eine seither fast ununterbrochen durchgeführte Veranstaltungsreihe ins Leben, die ausschließlich der „festlichen Aufführung“3 seiner eigenen Werke gewidmet ist. Er baute sich dafür in Bayreuth ein Theater, das allein zu diesem Zweck benutzt wird und ansonsten zehn Monate im Jahr leersteht. Wagner wurde zum Stammvater einer Familie, die bis heute die Fäden des Unternehmens in den Händen hält und neben dem seriösen Feuilleton regelmäßig auch die Boulevardmedien beschäftigt. Doch nicht nur deshalb sind die 1876 gegründeten Bayreuther Festspiele ein einzigartiges Phänomen. Trotz einer künstlerischen Stagnation, über die sich die Fachkritik seit längerem einig ist und die als Verlust der Hoheit in der internationalen Wagnerdeutung beschrieben wird, gilt das Festival als wirtschaftlich solide und ist beim Publikum weiterhin sehr erfolgreich. Das hat auch mit einer Verknappung des Kontingents zu tun. 2007 gingen in Bayreuth 460.500 Kartenwünsche aus 80 Ländern ein, von denen lediglich 53.900 erfüllt werden konnten.4 Die Nachfrage ist seither zwar etwas zurückgegangen, doch jeder Platz im Festspielhaus ließe sich immer noch mehr als sieben Mal verkaufen. Ist er nur dreifach überbucht wie bei Christoph Schlingensiefs umstrittenem Parsifal, der von 2004 bis 2007 gezeigt wurde, oder bleiben bei Katharina Wagners jüngster Meistersinger-Inszenierung einige wenige Plätze in den hinteren Reihen frei, ruft eine respektlos erschütterte Kulturwelt sogleich das Ende des Mythos Bayreuth aus.5

      Dieser Mythos ist eng verbunden mit den spezifischen Kunstauffassungen Richard Wagners sowie mit seiner kulturpolitischen Festspielidee. In der Oper nutzte der Komponist das modernste Massenmedium, das es zu seiner Zeit gab. Die heute verbreitete Musikhäppchenkultur, bei der man sich über ein anrührend gesungenes „Nessun dorma“ freut, meist ohne zu wissen, aus welchem Werk die Arie stammt, ganz zu schweigen von ihrem Inhalt, hätte Wagner schärfstens abgelehnt. Ihm kam es neben der Emotionalisierung vor allem auf die Erziehung des Publikums an. Er hatte durchaus das berühmte Diktum des österreichischen Kaisers Joseph II. verinnerlicht, das Theater solle „zur Veredelung der Sitten und des Geschmackes der Nation beitragen“.6 Um dieses Ziel zu erreichen, strebte Wagner nach mustergültigen Aufführungen seiner Werke im Rahmen von Festspielen in der Provinz, weitab von den hektischen Kulturmetropolen mit ihrem als routiniert und verschlampt kritisierten Theaterbetrieb. Erholung und Ermüdung bilden in Bayreuth einen eigentümlichen Gegensatz: auf der einen Seite die idyllische Abgeschiedenheit des Ortes, der ideale Voraussetzungen für Kunstgenuss und Naturerlebnis zu gewährleisten scheint, auf der anderen Seite die zum Teil ausufernde Dauer der Werke. Opern wie Meistersinger, Götterdämmerung oder Parsifal können sich über fünf Stunden erstrecken, die das Publikum auf vergleichsweise unkomfortablen Sitzen zu verbringen hat – um was zu erleben? In beißender Ironie weist George Bernard Shaw auf die Längen und Wiederholungen etwa in der Ring-Tetralogie hin: „Siegfried hat von Wotan eine starke Vorliebe für Autobiographisches geerbt, die ihn dazu verführt, jedem, dem er begegnet, die Geschichte von Mime und dem Drachen aufzudrängen, obwohl das Publikum einen ganzen Abend damit zugebracht hat, die von ihm erzählten Ereignisse mitzuerleben. Hagen erzählt Gunther die Geschichte, und in der gleichen Nacht erzählt Alberich als Geist sie auch noch Hagen, der sie genauso kennt wie das Publikum. Siegfried erzählt sie den Rheintöchtern so lange, wie sie zuhören wollen, und hört nicht auf, sie dann auch seinen Jagdgenossen zu erzählen, bis sie ihn umbringen.“7

      Doch das tut der anhaltenden Begeisterung für die Festspiele keinen Abbruch. Die Verbindung einer Stadt mit einem Künstler, zumal wenn dieser eine so „herausfordernde Mischung aus Parvenu, Großbürger und Bohémien“ (Hans Küng)8 darstellt, ist bei Bayreuth und Richard Wagner kulturgeschichtlich sehr viel enger als in vergleichbaren Fällen, wie Hans Mayer zu Recht festgestellt hat. Denn während etwa Kafkas Prag, Thomas Manns Lübeck oder das Dublin von James Joyce eine Realität jenseits der Künstler hätten, sei das im Fall Wagner anders: „Die Geschichte Bayreuths ist seitdem zur Wagnergeschichte geworden,