Sturmgepeitscht. Markus Kleinknecht

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Название Sturmgepeitscht
Автор произведения Markus Kleinknecht
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269466



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      Jan dachte zunächst nur an seine neue Jacke. Klar hatte er sie im Sonderverkauf für den halben Preis bekommen, trotzdem musste man sie doch nicht gleich kaputt machen. Es war auch die letzte in dieser Größe gewesen. Die Ärmellänge war meistens das Problem. Jans Arme waren einfach zu lang. Gerade mal einen Tag hatte sie gehalten, und nun war sie schon an zwei Stellen kaputt. Vorn und hinten. Solange der Pfeil noch drin steckte, traten zwar keine Daunen aus, doch Jan konnte ja nicht ewig so stehenbleiben. Wie zur Bestätigung bemerkte er plötzlich einen säuerlichen Geschmack im Mund, während gleichzeitig seine Knie zu zittern begannen.

      »Spinnst du?«, schrie Lena auf.

      Dennis kam schnell heran, legte den Kopf schief und versuchte zu erkennen, wie tief der Pfeil in die Tür eingeschlagen war.

      »Das war doch keine Absicht«, sagte er etwas kleinlaut.

      »Du hast aber auf ihn gezielt …«

      »Quatsch. Ich habe einfach nur nach vorne gehalten. Und zack, flog das Ding schon los. Hey, Kumpel, wie fühlst du dich?« Dennis hob den Kopf und sah Jan ins Gesicht. »Keine Sorge. Sieht gar nicht so schlimm aus. Wenn der Pfeil wieder draußen ist, braucht die Tür nur ein bisschen Holzspachtel und Farbe. Hinterher sieht das kein Mensch mehr.«

      »Idiot«, schimpfte Lena. »Ich ruf die Eins-Eins-Zwei an.«

      »Was? Warum denn das? Ich krieg das schon hin.« Dennis griff zum Ende des Pfeils. Sofort begann Jan, laut zu stöhnen.

      »Lass das! Du tust ihm weh.«

      »Aber ich muss ihn doch von der Tür losmachen.«

      »Wir brauchen die Feuerwehr.«

      »Nee. Quatsch!« Dennis schüttelte den Kopf. »Die würden nur den Pfeil kaputt machen. Da kennen die nichts. Die sägen den glatt durch.«

      »Dennis!«

      »Ja?« Der junge Mann blickte Lena an.

      »Kannst du mal wieder vernünftig reden?«

      »Klar kann ich das.« Er ließ den Pfeil los und drehte sich zu ihr. »Wenn du die Feuerwehr rufst oder einen Arzt, weißt du, was dann passiert? Die alarmieren automatisch die Polizei. Und dann bin ich dran. Denn das Baby da«, Dennis deutete zu der auf dem Fußboden liegenden Armbrust, »das darf man zwar einfach kaufen, aber man darf damit nicht auf Menschen schießen. Dafür kriege ich eine Anzeige. Und vielleicht sogar ein Verfahren. Willst du das etwa?«

      Lena biss sich auf die Unterlippe.

      »Eine Vorstrafe kann ich mir nicht leisten. Dann war es das nämlich mit dem Juraabschluss. Verstehst du das?«

      »Aber was sollen wir sonst tun?«

      »Wir machen ihn ab und verarzten ihn selbst. Das kriegen wir schon hin.«

      »Und dann?«

      »Dann lassen wir ihn wieder laufen. Jedenfalls, sobald wir hier fertig sind.«

      Lena schüttelte den Kopf.

      »Nur noch den Dreh mit dir, Lena. Das schaffen wir an einem Tag.«

      »Du willst ihn solange hier behalten?«

      »Sonst läuft er doch gleich selber zur Polizei. Dann könnten wir uns die ganze Mühe auch sparen. Los, komm, hilf mir. Wir machen ihn jetzt ab.«

      Wieder griff Dennis zum Pfeil, diesmal mit beiden Händen, und begann zu ziehen. Lena sprang neben ihn, lehnte sich stützend gegen Jan. Der stöhnte lauter, fühlte, wie die Frau sich an ihn drückte. Sie war warm. Sie war weich. Dann dachte er wieder an seine kaputte Jacke.

      »Steckt tiefer, als ich dachte«, meinte Dennis und nickte anerkennend. »Da ist richtig Zug hinter. Hätte ich nicht gedacht.«

      Er hob das linke Bein und stemmte den Fuß neben der geschlossenen Tür gegen die Wand. »Weg da, Lena!« Dann zog er wieder. Seine Hände wurden feucht und begannen, am Schaft entlang zu rutschen. Doch bevor er ganz den Halt verlor, gab es einen Ruck. Sofort sackte Jans Oberkörper nach vorn. Beinahe hätte er Lena unter sich begraben, doch die junge Frau war stärker, als sie auf den ersten Blick wirkte. Sie stemmte sich gegen den erheblich größeren Mann, bis Dennis ihr half.

      »Er darf sich nicht hinlegen«, sagte er. »Wenn er erst mal liegt, kriegen wir ihn so leicht nicht wieder hoch. Außerdem will ich ihn raus aus dem Flur haben. Hörst du, Kumpel, du kommst jetzt schön mit.«

      Der Jurastudent legte Jans linken Arm um seine Schulter und führte ihn zurück Richtung Wohnzimmer. Vor der Tür bog er nach rechts in den Schlafzimmertrakt ab. Jans Füße schleiften über den Boden. Obwohl seine Verletzung offenbar nicht lebensgefährlich war, steckte der Schock in seinem Körper. Jan wollte sich nur setzen, besser noch hinlegen.

      Lena war vorweg gelaufen, öffnete eine Schlafzimmertür und wollte den beiden Männern Platz machen, doch Dennis schüttelte den Kopf. Er hatte etwas anderes im Sinn, wollte den Flur noch zwei Türen weiter hinunter.

      »Da rein?«, fragte Lena.

      Dennis nickte, und Lena öffnete die Badezimmertür. Es handelte sich um ein Luxusbad, wie es in der Villa nicht anders zu erwarten gewesen war.

      Eine weiße Badewanne stand auf eisernen Löwenfüßen. Die ebenerdige Dusche war groß genug für zwei und ihr Spritzschutz völlig durchsichtig. Neben der üblichen Sitztoilette gab es ein an der Wand montiertes Pissoir mit Deckel. Die gesamte Wand links neben der Eingangstür schien aus einem einzigen riesigen Spiegel zu bestehen. Darunter war ein Waschschrank mit zwei eingelassenen Waschbecken installiert. Auf der anderen Seite vom Eingang gab es noch eine Tür. Das helle Kiefernholz verriet, was sich dahinter befand. Es war eine geräumige Sauna mit zwei über Eck verlaufenden Sitzebenen.

      Da die Saunatür keine Standardbreite hatte, war es für Dennis schwer, Jan hindurch zu bugsieren. Auch der noch immer in Jans Schulter steckende Pfeil erwies sich als hinderlich. Dann waren die beiden Männer endlich gemeinsam in der Sauna, und Jan durfte sich hinlegen. Die untere Sitzstufe war zwar schmaler als ein Bett, trotzdem passte Jan ganz gut darauf. Es sah allerdings einigermaßen merkwürdig aus: ein Mann mit Winterjacke und Stiefeln in einer Sauna.

      »Hol mal eine Schüssel mit heißem Wasser und ein paar Handtücher«, sagte Dennis. Als Lena nicht sofort reagierte, fügte er hinzu: »Lauf, Mädchen, lauf!«

      17

      Zunächst musste Lena überlegen, wo sie eine Schüssel hernehmen sollte, dann fiel ihr die Plastikwanne unter der Küchenspüle ein, in der Kleinkram wie eine Spülbürste, ein Paket mit frischen Wischtüchern und einzeln verpackte Spülmaschinentabs lagen. Sie riss die Tür des Küchenschränkchens auf und griff nach der Schüssel. Erst jetzt bemerkte sie, wie ihre Hände zitterten. Mit viel langsameren Bewegungen als zuvor holte sie die Plastikwanne heraus, richtete sich wieder auf und schüttete den Inhalt wie in Trance auf eine marmorne Arbeitsfläche. Mit unbewegter Miene sah sie in die reflektierende Glastür des Geschirrschranks über der Spüle, sah in ihr eigenes Gesicht. Oder war es Annas Gesicht?

      Vor nicht einmal ganz einer Stunde war noch alles in Ordnung gewesen. Sie wusste, dass Anna mit den Männern am Strand war, um das Spiel zu spielen. Diesmal sollte es eine Art Schatzsuche sein. So viel hatte Dennis beim Frühstück verraten. Anna sollte anfangen, und Lena dann morgen dran sein. Falls das Wetter mitspielte. Bei zu viel Wind konnte der Quadrocopter nicht fliegen.

      Tatsächlich wehte es am Morgen noch recht stark, Lena konnte bei gekipptem Fenster von ihrem Zimmer aus die Brandung hören. Doch dann wurde es besser, und die Männer machten sich zusammen mit Anna startklar.

      Als sie weg waren, schaltete Lena den riesigen Fernseher im Wohnzimmer ein und machte laut Musik an. Sie mochte es nicht, alleine in dem großen Haus zu sein. Viel lieber wäre sie mitgefahren und hätte zugesehen. Aber das wollte Dennis nicht.

      Immer wieder war ihr Blick danach zur Uhr gegangen. Hätten sie nicht nach spätestens zwei Stunden wieder zurück sein müssen? Wie lange konnte das Spiel dauern? Es war Winter. In