Sturmgepeitscht. Markus Kleinknecht

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Название Sturmgepeitscht
Автор произведения Markus Kleinknecht
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269466



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war? Ich meine, bei den Temperaturen?«

      »Hat sie eine Adresse?«

      »Wer?«

      »Ihre Kollegin.«

      »Die Steffi?«

      »Wenn sie so heißt …«

      »Ja.«

      »Und?«

      »Und was?«

      »Wo hat Steffi die Frau hingefahren?«

      9

      Jan bog auf die Hauptstraße Richtung Norden. Die Adresse, die Behrens ihm genannt hatte, lag in Kampen. Zu Fuß kaum eine halbe Stunde vom Campingplatz entfernt, mit dem Auto keine zehn Minuten. Es war unglaublich, wie nahe Jan dem Mädchen schon gekommen war, nach dem er gesucht hatte. So dicht. Und doch hatte er es nicht gefunden. Und nun war es zu spät.

      Ein Hinweisschild wies auf halbem Weg zur Uwe-Düne, der höchsten Erhebung Sylts. Bei gutem Wetter konnte man von der Holzplattform auf ihrer Spitze bis zur Nachbarinsel Rømø sehen, die schon zu Dänemark gehörte. Jan war am Vortag oben gewesen. Nur aus Neugier. Wie viel Zeit hatte ihn die Aktion gekostet? Eine Stunde vielleicht? Eine Stunde, in der er nach Anna-Lena hätte suchen können.

      Jan schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Straße.

      Die Bebauung Kampens richtete sich hauptsächlich Richtung Festland aus. Eine mit Heide bewachsene Dünenlandschaft machte den Charakter des Ortes aus. Nur wenige Gebäude, darunter ein Restaurant und ein Hotel, befanden sich westlich der Hauptstraße. Kleine Stichwege führten zu ihnen. In ebenso einen Stichweg wurde Jan vom Navigationssystem des Wagens dirigiert. Das Haus, das er suchte, lag am Ende einer kurzen Sackgasse. Villa passte eigentlich besser.

      Obwohl das Gebäude im Stil den alten Fischer- und Walfängerhäusern von Sylt nachempfunden und traditionell mit Reet eingedeckt war, konnte Jan bereits von der Straße aus leicht erkennen, dass es sich um ein Luxusdomizil handelte. Die Wohnfläche auf zwei Geschossen musste über 300 Quadratmeter betragen. Im Spitzgiebel der Eingangsfront gab es auf Höhe des Dachbodens ein Bullauge, alle anderen Fenster hatten weiße Sprossen. Die große grüne Haustür war zweiflügelig. Ein Weg aus Granitpflaster führte direkt darauf zu. Umschlossen wurde das Grundstück von einer niedrigen weiß verputzten Mauer und einer nur gelegentlich von Büschen unterbrochenen Rasenfläche.

      Ein paniertes Filetstückchen.

      Die Villa stand hier ganz allein. Weit und breit kein anderes Haus.

      Jan hielt die Videoproduzenten für junge Männer. Vielleicht waren sie wie Anna-Lena auch Studenten. Der Schachspieler hatte eine entsprechende Andeutung gemacht, ohne es weiter auszuführen. Auf Nachfrage hatte er ausweichend geantwortet und dann das Thema gewechselt.

      Jan hielt auch den Schachspieler für nicht besonders alt.

      Aber wie konnten sich Studenten eine solche Unterkunft leisten? Selbst wenn es im Winter Sonderpreise gab? Die Miete konnte auch jetzt kein Pappenstiel sein.

      Jan legte kurz die Stirn in Falten, während er den kurzen Weg zur beeindruckenden Eingangstür ging. Kein Name an der Klingel. Vielleicht hatte die Taxifahrerin etwas verwechselt. Anna-Lenas Gesicht zum Beispiel. Oder sie hatte einfach nur Quatsch erzählt.

      Trotzdem musste Jan vorsichtig sein. Wenn die Leute, mit denen Anna-Lena angereist war, von ihrem Tod wussten, konnten sie gefährlich sein. Genau betrachtet, konnten sie sogar etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun haben. Alles sah nach einem Unfall aus. Anna-Lena war vom Kliff gestürzt. Aber ihr Aufzug verriet, dass sie den halsbrecherischen Stunt für eine weitere Videoproduktion hingelegt hatte.

      Besonders gerne würden sich die Macher des Films von einem neugierigen Journalisten keine Fragen stellen lassen. Diese zum Beispiel: Warum haben Sie das Mädchen einfach am Strand liegen gelassen?

      Jan klingelte.

      Niemand reagierte.

      Bevor er nach Kampen gefahren war, hatte Jan einen Augenblick überlegt, Eggestein anzurufen und ihm von der Adresse zu erzählen. Wenn Anna-Lena in diesem Haus gewohnt hatte, würde das den Mann von der Kriminalpolizei natürlich interessieren. Doch dann hatte Jan sich entschieden, erst einmal selbst hinzufahren.

      Jan trat einen Schritt zurück und sah zu den Fenstern. Nichts rührte sich, keine Gardine wurde bewegt.

      Das Haus war verlassen.

      Irgendwie war auch nichts anderes zu erwarten gewesen. Wenn die Videoproduzenten hier mit Anna-Lena gewohnt hatten, dann hatten sie sich vermutlich nach dem tödlichen Absturz des Mädchens so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht. Wenn sie denn hier gewohnt hatten.

      Um ganz sicher zu gehen, ging Jan ums Haus. Der schmale Weg war eine Fortführung des Granitpflasters, das von der Straße zum Haus führte. An einem Fenster legte er ungeniert die Stirn gegen das Glas und schirmte mit den Händen das seitlich einfallende Licht ab.

      Was er sah, war eine sehr teuer eingerichtete Küche. Er sah aber auch, dass auf einem Tisch und der Arbeitsfläche neben der Spüle benutztes Geschirr stand. Ein angebrochenes Paket Toast und leere Pizzaschachteln lagen herum.

      Vielleicht war die Adresse doch nicht so verkehrt. Jedenfalls musste hier bis vor Kurzem jemand gewohnt haben. Und dieser jemand hatte vor seiner Abreise nicht aufgeräumt. Wenn er denn abgereist war. Schon wieder ein Wenn.

      Dieser Gedanke beschäftigte Jan noch, dann sprang er reflexartig vom Fenster zurück. Direkt hinter der Scheibe war ein Gesicht aufgetaucht. Wut stand darin geschrieben. Die Augen waren weit aufgerissen, die Stirn gekraust und die Lippen fest aufeinander gepresst.

      Wild gestikulierte eine Frau hinter dem Fenster und beschimpfte ihn, ohne dass Jan die Worte verstehen konnte. Das Isolierglas dämpfte die Geräusche zu sehr. Doch es war klar, dass die Frau ernsthaft böse auf ihn war. Jan war für sie nicht mehr als ein Spanner, der sich die Nase am Fenster platt drückte.

      Es war aber nicht der sich über ihn ergießende Zorn, der Jan so erschreckt hatte und sein Herz rasen ließ. Es war das Gesicht selbst. Das kantige Kinn und die hohen Wangenknochen, an denen ein Luftballon bei der leichtesten Berührung zerplatzt wäre. Auch wenn es unmöglich schien: Hinter dem Fenster drohte ihm Anna-Lena Thumsen mit geballter Faust.

      Auch als die Haustür aufgerissen wurde und die junge Frau zu ihm in den Vorgarten stürmte, hatte Jan die Überraschung noch nicht überwunden.

      Freundinnen, dachte er. Oder sogar Schwestern. Ich darf ihr nichts sagen. Nicht einfach so. Erst mal sehen, was sie weiß.

      »Was soll das? Glotzen Sie immer bei fremden Leuten durchs Fenster?«

      »Ich habe vorher geklingelt.«

      »Na und?«

      »Ich weiß, das war trotzdem nicht in Ordnung. Aber ich habe jemanden gesucht. Und da wollte ich sehen, ob das hier das richtige Haus ist.«

      »Und wer soll das sein?«

      Vorsicht, Jan. Sag nicht zu viel …

      »Zwei Videoproduzenten aus Hamburg. Und eine Frau.«

      Das Gesagte traf ins Schwarze. Die junge Frau sah ihn abschätzend an. »Warum suchen Sie diese Leute?«

      »Ich bin Journalist. Die Videos dieser Männer und der Frau sind ein echtes Phänomen. Wahnsinnige Klickzahlen. Ich will einen Artikel darüber schreiben.«

      »Sie sind von der Presse?«

      »Ganz genau«, bestätigte Jan. »Ich will über die Produktion schreiben. Über die Menschen, die sich so was ausdenken. Ob es weitere Projekte gibt. Und so …«

      Der Blick der Frau lag auf Jans Gesicht, dann wanderte er zur Seite. Hinter seinem Rücken schwoll das Dröhnen eines starken Motors an. Als Jan sich umdrehte, sah er einen VW Amarok über den Asphalt rollen. Obwohl der Pick-up weiß lackiert war, ging allein von seinem wuchtigen Äußeren eine Art Bedrohung aus. Dazu grollte ein Sechszylinder-Turbomotor dunkel und böse.