Sturmgepeitscht. Markus Kleinknecht

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Название Sturmgepeitscht
Автор произведения Markus Kleinknecht
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269466



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zog Charlotte die Tür zu Jans Wohnung zu und schloss ab. Bis auf den Teebeutel im Mülleimer hatte sie keine Spuren hinterlassen. Selbst ihren Becher hatte sie wieder ausgespült und zurück in den Hängeschrank gestellt. Sie wusste, dass Jan alle Arten von Tee mehr oder weniger verabscheute. Deshalb musste sie vorhin grinsen, als sie eine Packung mit verschiedenen Kräutertees neben der Kaffeedose entdeckte. Die hatte Jan offensichtlich nur für sie besorgt.

      Die Treppe knarrte ein wenig, als Charlotte hinunter in den Vorraum ging und von dort zum ehemaligen Gemeindesaal. Die wenigsten Schreibtische waren besetzt. Das hatte sie bereits von oben durchs Küchenfenster gesehen. Beim Lauffeuer gab es keine festen Arbeitszeiten. Wer wollte, konnte hier arbeiten oder von zu Hause. Über einen Server hatten alle Mitarbeiter von überall Zugriff auf das Netzwerk. Lediglich die Online-Seite vom Lauffeuer wurde noch einmal gesondert gesichert. Um auf diese zugreifen und sie bearbeiten zu können, musste man in der Redaktion physisch anwesend sein. Noch war das Magazin nicht Ziel von Hackerangriffen geworden, doch Christian Freitag legte als Inhaber und Chefredakteur Wert drauf, für den Ernstfall gewappnet zu sein.

      Ihren IT-Spezialisten, Mario Keller, hatte Christian direkt von der Uni rekrutiert. Sie waren in einem kleinen Café auf dem Campus der Technischen Universität Harburg ins Gespräch gekommen. Und das war kein Zufall. Christian Freitag hielt sich gerne in dem Café auf. Er mochte die Atmosphäre dort, das Kommen und Gehen der Studierenden, wenn sie in der freien Zeit zwischen ihren Seminaren und Vorlesungen Kaffee aus großen Bechern tranken und dazu kleine Kuchenteilchen in sich hineinstopften. Christian hatte selbst erst sein Volontariat abgeschlossen und war jung genug, um unter diesen Leuten nicht aufzufallen.

      Mit eben dieser jugendlichen Frische strahlte er Charlotte entgegen, als sie durch den ehemaligen Gemeindesaal der kleinen Evangelistenkirche auf ihn zukam. Laut rief er ihren Namen, sodass sich auch die Köpfe der anderen zu ihr umdrehten. »Seit wann bist du wieder hier?«

      Die wenigsten Gesichter hatten sich seit Gründung des Lauffeuers vor etwas mehr als einem Jahr geändert. Und noch immer arbeiteten die meisten mehr zum Spaß als wegen des Geldes hier, auch wenn gestiegene Einnahmen aus der Werbung dafür gesorgt hatten, dass Christian seinen Leuten mittlerweile immerhin eine Aufwandsentschädigung zahlen konnte. Ebenso ließ er es sich nicht nehmen, Jan eine regelmäßige Miete zu überweisen.

      Inez lächelte Charlotte an. Die kleine, zierlich gebaute Expertin für Wirtschaftsartikel vermittelte mit ihrem blassen Gesicht und dem schwarz gefärbten Bubikopf normalerweise nicht den glücklichsten Eindruck. Doch während sie Charlotte anblickte, machte sie eine Ausnahme und winkte ihr fast schon fröhlich zu. Immerhin hatten sie im vergangenen Winter zusammen mit anderen Mitarbeitern der Redaktion einem Beamten aus dem Einbürgerungsamt korrupte Machenschaften nachweisen und ihn anschließend von einem langen Exklusivinterview überzeugen können. Und ganz nebenbei war Inez bei dieser Geschichte sogar noch mit Aaron zusammengekommen.

      Aaron war ein muskulöser Hantelschwinger und der Polizeireporter vom Lauffeuer, in dessen Themenbereich die aufgedeckte Korruptionsgeschichte mit dem Beamten durchaus auch gefallen wäre. Der Platz, an dem er meistens saß, war heute leer. Dafür wurde Charlotte von Claudette zugewunken, die zusammen mit Sybill für Boulevardgeschichten und das Wetter zuständig war. Stefan machte Politik, Martinez den Sport. Beide waren an diesem Tag nicht da.

      Körperliche Übergriffe bei Begrüßungen waren nicht so Charlottes Fall. Daher wusste sie es zu schätzen, dass die Frauen trotz der Wiedersehensfreude sitzen blieben. Christian jedoch, der ihr mit geöffneten Armen entgegen stürmte, war durchaus ein feuchter Wangenkuss zuzutrauen. Demonstrativ streckte sie ihm daher die Hand entgegen. Das stoppte seine Vorwärtsbewegung ab, als habe sich ein auf seinem Rücken befestigtes Seil gerade noch rechtzeitig gestrafft. Dafür schüttelte er Charlottes Hand überschwänglich.

      »Wir freuen uns ja so. Du musst uns unbedingt alles erzählen. Sind die Bilder gut geworden? Wie war dein Flug?«

      Charlotte lächelte und entwand dem Chefredakteur geschickt ihre Hand. »Gut. Danke. Ich wollte eigentlich gleich zu Jan. Aber er ist nicht da.«

      »Ach, dann warst du das da oben?« Christian machte eine Kopfbewegung zur Einliegerwohnung hinauf. »Ich habe Bewegungen hinter dem Küchenfenster gesehen und dachte, Jan wäre zu Hause. Aber wenn du das warst, nein, dann weiß ich auch nicht, wo er steckt. Willst du Kaffee?«

      Es gab eine kleine Redaktionsküche, die, wie die Treppe nach oben, vom Vorflur abführte. Dort wurde von Christian jeden Morgen eine Zehnliter-Thermoskanne mit Kaffee befüllt und auf einen kleinen Tisch in der Mitte der Redaktion gestellt. Keiner seiner Mitarbeiter sollte weiter als ein paar Schritte laufen müssen, um an Koffein zu kommen. War die Kanne leer, wurde sie sofort wieder randvoll betankt.

      Christian nahm einen Becher vom Tisch. Es gab ein gurgelndes Geräusch, als er die Pumpvorrichtung der Thermoskanne bediente und den Becher mit dampfender Flüssigkeit füllte. Dann reichte er ihn an Charlotte weiter. Diese bediente sich an einer Dose Kondensmilch, ließ den Topf mit Zuckerwürfeln jedoch unberührt. Sie trank einen Schluck, wusste aber, dass sie nicht lange bleiben würde. Sie war nicht in Plauderlaune und wollte nun doch nach Hause. »Sag ihm bitte, dass ich da war«, bat sie Christian kaum fünf Minuten später und verabschiedete sich dann.

      15

      Der Blick, mit dem Dennis den fremden Besucher musterte, ließ sich nur schwer deuten. Jedenfalls war er so intensiv, dass Jan sich schnell unwohl fühlte. Er zog den Reißverschluss der Jacke auf. Erst jetzt merkte er, wie warm es in der Villa war. Nicht ohne Grund trug Lena nur eine dünne weiße Bluse über ihrem kurzen Rock. Unter dem seidenen Stoff schimmerte ein schwarzer BH.

      »Was ist das denn?«, meinte Dennis plötzlich und deutet auf einen Karton, der neben der Wohnzimmertür stand. Er war etwa 70 Zentimeter hoch mit der Grundfläche eines DIN-A4-Blattes.

      »Ein Paket für Hauke«, entgegnete Lena. »Wurde vorhin mit der Post gebracht.«

      Begeistert klatschte Dennis in die Hände. »Das ist ja wunderbar.«

      Schnell war er beim Paket, ging damit zum Esstisch, stellte den Karton darauf und begann, ihn oben aufzureißen. »Das ging ja wirklich schnell.«

      Jan sah zu Lena, doch die wollte keinen Blickkontakt mit ihm. Stattdessen kaute sie auf ihrer Unterlippe. Jan ging die paar Schritte zur Essecke hinüber und stieg den kleinen Absatz hinauf, der Wohn- und Essbereich optisch trennte.

      Dennis zog mehrere längliche Gegenstände aus dem Paket. Sie waren sorgsam mit Pappe umwickelt. Zuerst glaubte Jan, es wären Teile eines Gewehrs. Dann fiel sein Blick auf ein paar verschnürte Carbonpfeile, und er begriff, dass Dennis den Bausatz einer Armbrust auspackte.

      »Endgeil, was?«, meinte der junge Mann und strahlte wie ein Grundschüler, der eine Modelleisenbahn unterm Weihnachtsbaum gefunden hatte. »Und sieht gar nicht so kompliziert aus. Ob Hauke was dagegen hat, wenn ich das Ding allein zusammenbaue? Ach, bestimmt nicht, oder?«

      Dennis stellte den Schaft der Sportwaffe auf den Tisch und probierte aus, wie die Wurfarme am vorderen Teil befestigt werden konnten.

      »Sie sind also ein Fan von unseren Videos?«

      »Kann man so nicht direkt sagen«, erwiderte Jan, an den die Frage gerichtet war.

      Lächelnd schraubte Dennis weiter an der Armbrust. »Das Ding gibt es auch mit Zielfernrohr. Aber das finde ich irgendwie unsportlich. Oder was meinen Sie?«

      Jan stand neben dem Tisch und blickte auf Dennis hinunter, der sich zwischenzeitlich auf einen der Stühle gesetzt hatte. »Kommt drauf an, was man damit vorhat.«

      »Was schon? Auf Zielscheiben schießen.«

      »Na, dann. Ich dachte nur wegen der Paintballgeschichten …«

      »Was? Nein, Quatsch. Ich würde niemals auf Menschen schießen. Auch nicht auf Tiere. Das kann ich gar nicht. Durch und durch Pazifist.«

      Er testet mich, dachte Jan. Er versucht herauszufinden, was ich weiß.

      Wie viel Zeit war wohl vergangen, seit das andere Mädchen vom Kliff gestürzt