Sturmgepeitscht. Markus Kleinknecht

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Название Sturmgepeitscht
Автор произведения Markus Kleinknecht
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269466



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Sie waren nach dem Unfall weggefahren, hatten Anna am Strand liegen gelassen, hatten sie den Möwen überlassen.

      War genug Zeit vergangen, damit ein Reporter von Annas Tod erfahren konnte, überlegte Dennis vielleicht. Genug Zeit, um anschließend die Villa ausfindig zu machen und noch vor ihm und Hauke hier aufzutauchen?

      Waren zwei Stunden seit Annas Tod vergangen? Oder waren es drei?

      Wieso war der Pressefuzzi ausgerechnet jetzt hier aufgetaucht?

      Jan wusste, dass Dennis sich diese Fragen stellte. Er sah zu Lena. Das Mädchen hatte keine Ahnung, was hier gespielt wurde. Für sie war ihre Schwester noch am Leben.

      »Aber für die Videos schießen Sie auf Menschen …« Jan konnte nicht anders. Auch wenn es nicht klug war, dies zu sagen.

      »Hallo! Mit Farbpatronen!«, erwiderte Dennis mit gespielter Empörung. »Hauke und ich machen schon länger Videos. Je ausgefallener, umso mehr Klicks. Sie kennen das, nicht wahr? Na, und da kam mir der Gedanke mit den Mädchen. Seien Sie ehrlich, Sie fanden den Film auch geil, nicht wahr? Na klar, sonst wären Sie ja nicht hier.«

      Dennis lachte leise auf. »Sie wissen ja, wie diese Paintballgefechte normalerweise laufen. Zwei Gruppen. Die einen schießen mit Rot, die anderen mit Blau. Alle Teilnehmer sind schön geschützt mit Westen und Schutzbrillen. Mit einem Wort: öde. Total öde sogar. Das guckt sich kein Mensch an. Und deshalb haben wir die Spielregeln für unsere Videos etwas modifiziert.«

      Dennis warf einen Blick zu Lena hinüber. »Die Frauen ziehen sich aus und dann jagen wir sie. Ehrlich, Mann, das macht mehr Spaß. Viel mehr Spaß.«

      Wieder kicherte Dennis. »Die Klickzahlen haben Sie umgehauen, was? Uns auch. Ganz ehrlich. Wir hatten schon einige Hits, aber das hier ist schon was Besonderes. Natürlich zieht es etwas und gibt ordentlich blaue Flecken, wenn die Mädchen was abbekommen. Aber das macht die Sache doch so spannend, nicht wahr? Lass doch mal sehen, Lena.«

      Ohne es zu wollen, drehte Jan den Blick zusammen mit Dennis in Lenas Richtung. Leicht schüttelte die den Kopf.

      »Komm schon, zier dich nicht. Du bist doch ein Internetstar.«

      Lena zögerte noch immer. Dann zog sie die weiße Bluse aus dem Rock und raffte sie nach oben. Ein großflächiges Hämatom zeichnete sich auf ihrem rechten Rippenbogen ab.

      Dennis hob eine Hand und machte mit dem Zeigefinger eine kreisförmige Bewegung. Langsam begann Lena sich zu drehen. Auch auf dem Rücken war sie einmal getroffen worden. Als die junge Frau eine ganze Drehung vollendet hatte, ließ sie die Bluse wieder sinken.

      »Geil, oder«, meinte Dennis. Als Jan wieder zu ihm statt zu Lena sah, zeigte Dennis zu der Sporttasche, die er aus dem Pick-up mitgebracht hatte. »Das Gewehr ist da drin. Wollen Sie es sehen? Vielleicht haben Sie ja auch mal Lust, auf Lena zu schießen. Unten am Strand.«

      »Ganz bestimmt nicht.«

      »Wieso denn nicht? Haben Sie etwa Angst, auf den Geschmack zu kommen? Hey, Mann, wenn Sie bei der Vorstellung einen Ständer bekommen, macht das nichts. Das geht den meisten so, die unsere Videos gucken.«

      Dennis grinste schmutzig und zeigte Jan den tadelnden Zeigefinger. »Sie wissen doch genau, wovon ich spreche.«

      »Ihr Freund … was ist mit dem?«

      »Hauke?«

      »Warum betrinkt er sich mitten am Tag?«

      »Weil er blöd ist. Weil wir Semesterferien haben.«

      »Ich würde gerne mit ihm sprechen.«

      »Das geht wohl schlecht.« Dennis schüttelte den Kopf und warf den Wurfarm der Armbrust auf den Tisch. »Verdammtes Teil. Wieso passt das nicht? Wo ist denn die verfickte Anleitung?«

      »Wäre es in Ordnung, wenn ich morgen wiederkomme und dann mit ihm spreche?«

      Dennis zuckte mit den Schultern. »Morgen? Wir wollen morgen drehen. Mit Lena. Stimmt doch, Lena?«

      Das Mädchen nickte.

      »Aber warum nicht. Kommen Sie einfach mit. Dann haben Sie was zu schreiben.«

      Jan sah dieses Zugeständnis als Möglichkeit, um aus der Villa zu verschwinden. Seine Rückkehr würde aber nicht erst morgen sein. Höchstens eine Stunde später würde er mit Kommissar Eggestein wieder an die Tür klopfen. Für seinen Artikel hatte er schon jetzt genug Stoff.

      Am besten bliebe Jan im Auto vor dem Haus sitzen und wartete, bis Eggestein bei ihm war. Dann bestand nicht die Gefahr, dass Dennis mit Hauke und Lena das Weite suchte, bevor die Polizei hier war.

      »Wann morgen?«, fragte Jan, um die Täuschung aufrecht zu erhalten. »10 Uhr?«

      »Zu spät. Viel früher.« Dennis griff zur Fernbedienung des Fernsehers. »Wir müssen bei Sonnenaufgang am Strand sein. Wenn es da noch nicht von Idioten wimmelt. Wir brauchen keine Zuschauer.«

      Passt, dachte Jan. So ähnlich muss es heute auch gelaufen sein.

      Die Jagd auf Anna hatte stattgefunden, bevor die meisten Urlauber noch beim Frühstück saßen.

      »Lena, bringst du ihn zur Tür? Der Typ wird langweilig.«

      Während Dennis das sagte, wurde der Fernseher immer lauter.

      Lena sah Jan solange auffordernd an, bis dieser nickte. Hinter der jungen Frau verließ er das Wohnzimmer. Wegen ihrer hohen Absätze bewegten sich Lenas Hüften überaus aufreizend. Ihre Bluse steckte noch nicht wieder ganz ordentlich im Rock, fast so, als würde sie ihren Geliebten nach einem Rendezvous zur Tür begleiten.

      Es behagte Jan nicht, die junge Frau mit Dennis und Hauke allein im Haus zu lassen. Er überlegte, wie er sie zum Mitkommen überreden konnte.

      Er konnte ihr nicht sagen, dass ihre Schwester tot war. Ihre Reaktion konnte Probleme verursachen. Am wahrscheinlichsten schien es zwar, dass sie Jan nicht glaubte. Aber vielleicht würde sie auch mit ihm streiten und nach Dennis rufen. Darauf legte Jan aber keinen Wert. Trotzdem machte er sich Sorgen um Lena. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Kurz entschlossen griff er im Flur nach ihrem Arm.

      »Kommen Sie mit mir«, sagte er halblaut. »Der Kerl spinnt.«

      Überrascht blickte Lena auf die Hand an ihrem Arm. »Ich weiß auch, dass er etwas spinnt. Na und?«

      »Sie wollen doch zu Anna. Ich bringe Sie zu ihr.«

      Lena schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Anna ist im Hotel. Und ich darf vor morgen nicht mit ihr sprechen.«

      »Es gibt gar keine Zimmer mehr.«

      »Was?«

      »Dentistenkongress. In Westerland sind alle Hotels ausgebucht. Dort gibt es keine Zimmer mehr. Ich habe auch keines bekommen und schlafe deshalb auf einem Campingplatz.«

      »Was?«, wiederholte Lena. Nun riss sie sich von Jan los. »Verschwinden Sie endlich!«

      Unwirsch deutete sie zur Haustür. Ob Journalist oder nicht. Der Typ, der bei Leuten ums Haus schlich und durch fremde Fenster guckte, spann offenbar nicht weniger als Dennis.

      Mehr noch als Lenas Worte überzeugte Jan der Ausdruck in ihren Augen, dass sie es ernst meinte. Ob er wollte oder nicht, er musste sie in der Villa zurücklassen.

      Er würde einfach möglichst schnell mit Eggestein wieder hier sein müssen. Es würde ihr schon nichts passieren. Nicht ausgerechnet in der nächsten Stunde. Dennis saß vor dem Fernseher, und Hauke schlief seinen Rausch aus.

      Jan streckte die Hand zur Klinke aus. Er musste sich selbst hinauslassen. Lena stand nur da und sah ihm nach. Bis bald, wollte er sagen. Doch dazu kam es nicht.

      »Hey, guckt mal«, rief Dennis in diesem Moment triumphierend. Er stand am anderen Ende des Flurs. »Ich hab’s doch hingekriegt.«

      Noch während Jan sich umdrehte, spürte er ein heißes Brennen in der rechten Schulter. Irritiert drehte er den Blick zum Ausgangspunkt des