Ein Leben mit Freunden. Cornelia Weidner

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Название Ein Leben mit Freunden
Автор произведения Cornelia Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866749061



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auf ihrem Weg nach Hollywood. Mit neun meiner zehn Dollar zahlte ich die Rechnung für die erste Woche. Dann begann das Hungern. […] Neben unserem Hotel befand sich ein kleines griechisches Restaurant, in dessen Fenster die Tageskarte hing. Es gab ein Dinner, drei volle Gänge, für 50 Cent. […] für mich in New York waren 50 Cent ein Luxus, den ich mir nicht leisten konnte. Ich pflegte die drei Gänge deshalb mit meinen Blicken durch das Glas zu verschlingen und holte mir dann in der Bäckerei für einen Nickel, d.h. fünf Cent, zwei Krapfen.«53

      Morgenstern befand sich in den ersten Monaten in New York in einer ähnlichen Situation. Auch er erwähnt in seinen Erinnerungen das griechische Café in der Nähe des Hotel Park Plaza. So heißt es in den Kindheitserinnerungen In einer anderen Zeit: »Ich zog mich schnell an und ging hinunter in das griechische Lokal in meiner nächsten Nachbarschaft, das sich Café Museum nennt und mich an das liebe Café Museum in Wien erinnert, obwohl es mit dem Wiener Café soviel Ähnlichkeit hat wie ein Affe mit einem Menschen.«54 Den Angaben seines Sohnes Dan zufolge war sein Vater in den Jahren seines Hotellebens ein täglicher Gast im Café Museum: »Während er im Hotel lebte, ging er in ein griechisches Restaurant um die Ecke, wo sie genau wußten, was er essen wollte. Es hieß Café Museum, was ein lustiger Zufall war.«55

      Im Jahr 1946 erhielt Morgenstern die amerikanische Staatsbürgerschaft. Nun konnte er seine Frau und seinen Sohn nach New York nachholen, die sich nach der Besetzung Dänemarks durch die deutsche Wehrmacht nach Schweden hatten flüchten können. Doch die Eheleute Morgenstern hatten sich während der langen Trennung auseinandergelebt. »Meine Eltern hatten in ihrer Ehe einige Probleme«, beschreibt ihr Sohn Dan die Situation.56 Morgenstern blieb im Hotel Park Plaza wohnen. Für seine Frau und den Sohn besorgte er eine Wohnung. Erst nachdem er infolge eines Herzanfalls im Jahr 1967 nicht mehr allein im Hotel leben konnte, bezog er wieder eine gemeinsame Wohnung mit seiner Frau, die ganz in der Nähe des Hotel Park Plaza gelegen war. Morgenstern erging es ähnlich wie den meisten der vor der Naziherrschaft geflohenen Emigranten. Sein vordringlichstes Problem in den USA war zunächst ein wirtschaftliches, nämlich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dem Journalismus hatte er in der französischen Internierung für immer abgeschworen, wie Alfred Hoelzel in seinem 1989 veröffentlichten Artikel über Morgenstern schreibt.57 Aussagen seines Sohnes Dan zufolge versuchte der Vater zunächst Arbeit zu bekommen. Er war vorübergehend für eine Filmfirma tätig und verfaßte Untertitel für fremdsprachige Filme. Diese Tätigkeit gab er jedoch nach kurzer Zeit bereits wieder auf.58 Er sollte nie wieder einer geregelten Arbeit nachgehen, sondern versuchte nach wie vor, als freier Schriftsteller Fuß zu fassen. Auf der Suche nach einem Verleger für den bereits fertiggestellten zweiten Teil seiner Roman-Trilogie gelangte Morgenstern schließlich an die ›Jewish Publication Society of America‹, die ihm für die geplante Veröffentlichung der Roman-Trilogie einen Vorschuß gewährte und auch die Übersetzung der beiden ersten Teile in die Wege leitete. Zudem übernahm der Verlag die Vorbereitungen für die Veröffentlichung des dritten noch nicht fertiggestellten Romans.

      Finanzielle Unterstützung erhielt er zudem durch eine von Deutschland ausbezahlte ›Wiedergutmachungsrente‹, eine Entschädigungszahlung für seine Entlassung aus der Frankfurter Zeitung, die ihm zumindest das tägliche Überleben sicherte. Daneben waren es immer wieder die Freunde, von denen er auch monetäre Hilfe bekam. So zum Beispiel von Dr. Conrad Lester, den Morgenstern 1938 in Paris kennengelernt hatte und der inzwischen ebenfalls in die Vereinigten Staaten emigriert war. In den Jahren 1942 und 1943 lebte Morgenstern in Lesters Haus in Hollywood, wo er den Großteil des dritten und letzten Teils seiner Trilogie fertigstellen konnte.

      Im Frühjahr 1943 kehrte Morgenstern nach New York zurück. Die nunmehr vollendete Roman-Trilogie erschien in den Jahren 1946 bis 1950 bei der ›Jewish Publication Society of America‹ in amerikanischer Übersetzung unter dem Gesamttitel Sparks in the Abyss.59 Eine Veröffentlichung der Gesamttrilogie in Deutschland sollte Morgenstern nicht mehr erleben. Lediglich der dritte Band wurde 1963 unter dem Titel Der verlorene Sohn bei Kiepenheuer & Witsch in Köln verlegt, allerdings in einer gekürzten und vom Verlag bearbeiteten Textversion, die dem Werk mehr schadete, als daß sie dazu beitrug, Werk und Autor in Deutschland zu größerer Bekanntheit zu verhelfen.60 Die erste Gesamtausgabe der Trilogie in deutscher Sprache erschien im Jahr 1996 unter ihrem Originaltitel Funken im Abgrund im zu Klampen Verlag als vierter, fünfter und sechster Band der Morgenstern-Werkausgabe.

      Wie in seinen Wiener Jahren pflegte Morgenstern auch in New York einen ausgedehnten Freundeskreis, der sich auch hier wie seinerzeit in Wien vorwiegend aus dem Intellektuellenmilieu rekrutierte. Zu Morgensterns amerikanischem Bekannten- und Freundeskreis zählten der namhafte New Yorker Theaterkritiker und Journalist Brooks Atkinson, der New Yorker Zeichner und Karikaturist Al Hirschfeld sowie dessen aus Deutschland stammende Ehefrau, die Schauspielerin Dolly Haas, der aus Rumänien stammende, in England aufgewachsene und seit 1914 in den USA lebende Publizist, Erzähler und Übersetzer Maurice Samuel und der deutsch-amerikanische Publizist, Romancier, Übersetzer und Professor der deutschen Literatur Ludwig Lewisohn, der auch die englische Übersetzung zweier Romane Morgensterns übernahm. Zudem begegnete er in New York auch alten Freunden seiner Wiener Jahre wieder, wie zum Beispiel dem Rezitator Ludwig Hardt, zu dem er bis zu dessen frühen Tod – er starb bereits 1947 im Alter von einundsechzig Jahren – einen engen Kontakt pflegte.

      Während seines Aufenthaltes im Hause Conrad Lesters in Hollywood begegnete Morgenstern auch Alma Mahler wieder, der im Jahr 1940 gemeinsam mit Franz Werfel auf ähnlich abenteuerlichem Wege wie Morgenstern die Flucht aus dem besetzten Frankreich gelungen war und deren Haus in Los Angeles sich zu einem Treffpunkt exilierter Künstler und Intellektueller entwikkelt hatte. Mit Alma Mahler, die er bereits aus seinen Wiener Jahren kannte, verband Morgenstern auch später noch in New York eine enge Bekanntschaft. 1952, wenige Jahre nach Werfels Tod, zog seine Witwe nach New York und lebte dort offenbar in unmittelbarer Nähe von Morgensterns Hotel an der Upper West Side. Einer Aussage seines Freundes Al Hirschfeld zufolge, frühstückten Morgenstern und Alma Mahler jeden Sonntag gemeinsam.61 Wie nahe Morgenstern der legendären Künstlermuse gestanden hat, zeigt der Umstand, daß er bei der Trauerfeier für Alma Mahler in Campbell’s Funeral Chapel am 20. Dezember 1964 einen Nachruf auf die Freundin verlas. Aus den Worten, die er für Alma Mahler gefunden hat, spricht große Wärme und Zuneigung für eine außergewöhnliche Frau sowie eine intime Kenntnis ihrer Persönlichkeit: »Sie komponierte nun ihr Leben. Das sollte ihr Meisterwerk werden. […] Dieses Leben hatte ihren Stil, ihren eigenen Wert, ihre Würde, ihre Großzügigkeit. […] Im Schatten stand Alma nie. Sie hatte eben ihr eigenes Licht, den Segen der Persönlichkeit. […] Von ihrem Leben ging ein so starker Glanz aus, daß sogar wir, die nahen Freunde, erstaunlich selten innewurden, daß in ihrem Leben nebst vielem Glück viel Unglück und viel Leid Platz hatte. […] Es lag aber wohl nicht an Alma selbst, wenn ihre Freunde in ihrem Leben die Schattenseiten übersehen haben. Denn wir sind alle so geartet, daß wir unsere Legenden im Licht ohne Schatten sehen wollen.«62

      Die Tatsache, daß Morgenstern seine neuen Bekanntschaften und Freundschaften wieder vorwiegend in künstlerischen und intellektuellen Kreisen schloß, zeigt, wie wichtig ihm dieser Umgang und diese Art des intellektuellen Austausches gewesen sein müssen. Sie haben die Person Morgenstern wie auch sein Schreiben entscheidend geprägt. Das intellektuelle Umfeld, in dem sich Morgenstern zeit seines Lebens bewegte, sein ausgedehnter Freundes- und Bekanntenkreis, haben vor allem die ›autobiographischen Schriften‹ wesentlich beeinflußt. Die Tatsache, daß Morgenstern beabsichtigte, seinen Memoiren den Titel Ein Leben mit Freunden zu geben, unterstreicht den besonderen Stellenwert, den die Freunde in seinem Leben eingenommen haben. Es ist nicht zuletzt dieser Aspekt in Morgensterns Erinnerungen, der die Memoiren zu einem herausragenden Dokument ihrer Zeit macht.

      Nach den Erlebnissen des Krieges und der Verfolgung fiel Morgenstern das Schreiben äußerst schwer. Die Nachrichten über die schrecklichen Verbrechen der Nazis, deren grauenhaftes Ausmaß erst Ende der vierziger Jahre im Zuge der Nürnberger Prozesse vollends bekannt wurde, stürzten ihn in eine tiefe seelische Krise, die sich zu einer Schaffenskrise ausweitete. Sie machte ihm das Schreiben vorübergehend unmöglich. Zudem mußte er erfahren, daß auch seine zweiundachtzigjährige Mutter sowie sein ältester Bruder Moses und seine Schwester Helena in Konzentrationslagern