Ein Leben mit Freunden. Cornelia Weidner

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Название Ein Leben mit Freunden
Автор произведения Cornelia Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866749061



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in Wien], daß ich eines Tages beschlossen habe: Ich habe es satt, über etwas zu schreiben. Wenn ich nichts andres kann, wenn ich nicht etwas schreiben kann, werde ich mich auf meine Juristerei gutbürgerlich zurückziehen.«46 So weit kam es allerdings nicht

      Seitdem Morgenstern dem Weltkongreß der Vereinigung orthodoxer Juden, ›Agudas Yisroël‹, im September 1929 als Beobachter im Auftrag der Frankfurter Zeitung beigewohnt hatte, trug er sich mit dem Gedanken, das Erlebnis dieses Kongresses in einem Roman zu verarbeiten. Im Jahr 1930 machte er sich an die Umsetzung dieses Vorhabens. Er begann mit der Arbeit an seinem ersten Roman, den er bereits jetzt als Auftakt einer Trilogie konzipierte. Nachdem Morgenstern durch den sogenannten Arierparagraphen des NS-Schriftleitergesetzes vom 4. Oktober 1933, der Juden von Presseberufen ausschloß, seinen Posten bei der Frankfurter Zeitung verloren hatte, beschloß er, sich gänzlich der Schriftstellerei zu widmen. Die Arbeit an seinem ersten Roman wurde jedoch durch die bürgerkriegsähnlichen Unruhen im Februar 1934 unterbrochen, bei denen sämtliche Organisationen der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften in Österreich durch die autoritäre Regierung Dollfuß ausgeschaltet wurden. Morgenstern beschloß, seinem Freund Joseph Roth ins Exil nach Paris zu folgen: die zweite Exilerfahrung.

      Die Angst vor einer Verhaftung war nicht unbegründet. In der Frankfurter Zeitung waren im Vorfeld der Unruhen einige Angriffe Morgensterns gegen die Vorbereitungen des Februarputsches veröffentlicht worden, die ihn ins Visier der Nationalsozialisten gerückt hatten. Vornehmlich sein Artikel ›Worte fallen in den Herbst der Wahlen‹, der am 25. Oktober 1930 in der Frankfurter Zeitung erschienen war, erregte ihre Aufmerksamkeit und trug ihm ›die Ehre‹ ein, »auf die Schwarze Liste der Nazis zu kommen«, wie er in den Erinnerungen an Joseph Roth schreibt.47 Morgenstern beschreibt in diesem Feuilleton unter dem Motto ›Nationalsozialisten werden betrachtet‹ zwei junge Nazis, die auf dem Wiener Ring zu Propagandazwecken flanieren: »Dem hübschen, noch jüngeren Jungen saß das Braunhemd wie eine Haut am Leibe. (Gibt es Braunhemden nach Maß?) Das große Hakenkreuz blühte ihm wie die Blume einer exotischen Krankheit am Arm. Als sei er für die Politik schwer geimpft worden, ein Pockenträger des Hitlerheils. […] Ein Dunst knabenhaft rührender Eitelkeit spiegelte er sich in seiner unformierten Gefälligkeit, ein kleiner Narziß von einem Nazi: ein lieblicher Nazi!«49

      Abb. 2: Soma Morgenstern, Zeichnung von Bil Spira 1939 48

      Morgenstern erfuhr durch seinen Freund Karol Rathaus, daß sein Name auf die Schwarze Liste gesetzt worden war. Er nahm die Nachricht nicht allzu ernst. Daß er nur durch einen glücklichen Zufall den Fängen der Gestapo entgangen war, sollte er erst im Jahr 1940 in Marseille erfahren: »Eines Tages, im Jahre 1940, wurde ich zur Polizeipräfektur vorgeladen, und der Beamte tat so, als ob er sich um mein Schicksal kümmerte und mein Dossier studierte. Plötzlich und ohne mich anzublicken, so nebenbei, stellte er mir die Frage: ›Monsieur Morgenstern, vous conaissez par hasard une Madame Sonia Morgenstern?‹«50 Die Gestapo hatte Morgenstern fälschlicherweise als Frau Sonia Morgenstern in ihre Liste eingetragen. Ein Irrtum, der ihm das Leben gerettet hat.

      Im Pariser Exil vollendete er noch im gleichen Jahr seinen ersten Roman Der Sohn des verlorenen Sohnes, der den Auftakt zu der Trilogie Funken im Abgrund bildete. Die Vollendung dieser Trilogie wurde jedoch durch die auf Europa einstürzenden politischen Ereignisse immer weiter hinausgezögert, so daß Morgenstern den dritten und letzten Teil erst Anfang der vierziger Jahre in Hollywood fertigstellen konnte. Im Mai 1934 hatte sich die politische Lage in Österreich unter dem neuen Regime soweit stabilisiert, daß Morgenstern an eine Rückkehr nach Wien denken konnte. Ihm schien keine direkte Gefahr mehr zu drohen. Zudem konnte er auf einflußreiche Freunde vertrauen, die ihn zunächst vor dem Zugriff der Heimwehrführer schützen konnten. Morgenstern zog es zurück an seinen Schreibtisch, der, wie er in Joseph Roths Flucht und Ende schreibt, »in meinem bisherigen Leben der einzige Schreibtisch [war], vor dem ich gerne saß. Es zog mich zu ihm hin mit einer Kraft, als hätte ich schon eine Ahnung, daß dieser Schreibtisch auch der letzte sein wird, von dem ich das behaupten kann.«51

      Morgensterns Freude über seinen ersten Erfolg als Schriftsteller währte nicht lange. Im Dezember 1935, kurz nach dem Erscheinen des Romans, starb unerwartet sein engster Freund Alban Berg. Hinzu kam noch, daß sich seine wirtschaftliche Lage nach dem Stellenverlust bei der Frankfurter Zeitung zunehmend schwieriger gestaltete. Am 13. März 1938, am Tage des sogenannten Anschlusses Österreichs an Nazideutschland, flüchtete Morgenstern ein weiteres Mal nach Paris.

      Dieses zweite Pariser Exil sollte endgültig sein. Morgenstern kehrte nicht mehr nach Österreich zurück. Der zweite Teil seiner Trilogie, der Roman Idyll im Exil, war zu diesem Zeitpunkt bereits im Manuskript fertiggestellt. Seine Frau Ingeborg und den achtjährigen Dan mußte Morgenstern in Wien zurücklassen. Dan litt an Scharlach und war nicht in der Lage, die Reise nach Paris anzutreten. Wenig später konnten Mutter und Sohn nach Dänemark flüchten. Als Tochter des dänischen Komponisten Paul von Klenau besaß Ingeborg Morgenstern auch die dänische Staatsbürgerschaft. Das erleichterte die Ausreise.

      In Paris lebte Morgenstern gemeinsam mit Joseph Roth im Hôtel de la Poste. Joseph Roths angestammter Tisch im dem Hotel zugehörigen Café Tournon entwickelte sich zum Treffpunkt der österreichischen Emigranten. Morgenstern schildert diese Zeit ausführlich in seinen Erinnerungen an Joseph Roth, die im Jahr 1994 als erster Band der Werkausgabe unter dem Titel Joseph Roths Flucht und Ende erschienen sind. An Roths Tisch im Café Tournon dürfte Morgenstern auch die Arbeit an dem dritten Teil seiner Trilogie, Das Vermächtnis des verlorenen Sohnes, begonnen haben. Beide Manuskripte – sowohl das des zweiten Bandes Idyll im Exil wie auch das des dritten – mußte Morgenstern in seinem Zimmer im Hôtel de Poste zurücklassen, als er im Mai 1940 von der französischen Polizei verhaftet wurde. Sie fielen wie auch alle weiteren Aufzeichnungen, Briefe und persönlichen Papiere Morgensterns in die Hände der Pariser Geheimpolizei.

      Im Mai 1939 starb Joseph Roth. Morgenstern, der sich seit längerem vergeblich darum bemüht hatte, die nötigen Papiere für eine Emigration in die USA von den Pariser Ämtern zu bekommen, versuchte, eine Ausreise nach Palästina zu forcieren. Dieses Vorhaben wurde durch den Kriegsbeginn im September 1939 zunichte gemacht. Als ›feindlicher‹ Ausländer kam Morgenstern in französische Internierungshaft. Nachdem er kurzzeitig wieder auf freiem Fuß gewesen war, wurde er beim Beginn der deutschen Invasion im Mai 1940 abermals verhaftet und in das Internierungslager von Audièrne in der Nähe der bretonischen Hafenstadt Quimper deportiert. Von dort gelang ihm im darauffolgenden Monat, als das Lager bereits von deutschen Truppen besetzt war, die Flucht. Gemeinsam mit einem Lagergenossen konnte er sich bis nach Marseille durchschlagen, das in der unbesetzten Zone lag. Diese Erlebnisse hat er im ›Romanbericht‹ Flucht in Frankreich verarbeitet.52

      Nach siebenmonatigem Aufenthalt im unbesetzten Marseille, wo er die verlorenen Teile seines Romans Das Vermächtnis des verlorenen Sohnes zu rekonstruieren versuchte, konnte er sich nach Casablanca durchschlagen und gelangte schließlich nach Lissabon. Dort schiffte er sich auf einem Überseedampfer nach New York ein. Am 1. April 1941 verließ das Schiff Lissabon. Erst neun Jahre später, im Sommer 1950, sollte Morgenstern wieder einen Fuß auf europäischen Boden setzen. Mitte April des Jahres 1941 erreichte Soma Morgenstern New York – ein fünfzigjähriger, exilierter Schriftsteller ohne nennenswerte Reputation, nahezu mittellos und von der Familie getrennt.

      In New York angekommen mietete sich Morgenstern im Hotel Park Plaza an der Upper West Side in der Nähe des Central Park ein. Dieses Hotel war offenbar eine Anlaufstelle für viele österreichische Emigranten, so hatten dort auch Walter Mehring, Hermann Kesten, Leonhard Frank und Hertha Pauli eine Unterkunft gefunden. Letztere war auf demselben Weg wie Morgenstern am 12. September 1940 nach New York gekommen. In ihrer Autobiographie Der Riß der Zeit geht durch mein Herz beschreibt sie die Situation im Hotel Park Plaza folgendermaßen: »Kesten quartierte uns in einem Hotel ein, wo er selbst mit seiner Frau Toni wohnte. Es liegt gegenüber dem Naturhistorischen Museum, mit einem freundlichen Blick auf den Central Park West. Damals schien mir das Hotel als ein Feenschloß, heute ist es ganz