Ein Leben mit Freunden. Cornelia Weidner

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Название Ein Leben mit Freunden
Автор произведения Cornelia Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866749061



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Monat später unter dem Titel ›Besuch bei Soma Morgenstern. Erinnerungen an einen Europäer in New York‹ in der österreichischen Tageszeitung Die Presse und wird vom Verfasser selbst als die einzig maßgebliche Fassung bezeichnet.77 Frisés Nachruf ist weniger ein Nekrolog im Sinne einer posthumen Würdigung des Verstorbenen als vielmehr die Schilderung von Frisés Zusammentreffen mit Morgenstern im Oktober 1973. Im Zuge seiner Recherchen für die Herausgabe der Musil-Tagebücher war Frisé auf den Namen Morgensterns gestoßen. Musil erwähnt den Freund in einem Eintrag vom 16. März 1930. Das Gespräch mit Morgenstern weckte Frisés Interesse. »Die Fragen nach RM traten nicht zurück, im Gegenteil, aber der sie beantworten sollte, sie, in keiner Sekunde seine Reminiszenzen ordnend, mühsam animierend, ungemein plastisch, umweglos beantwortete, wurde unversehens auch selbst zum Objekt des Interviews, eine Figur, die Fragen aufwarf, das Interesse, die Neugier provozierte.«78

      Frisé dürfte es auch gewesen sein, auf dessen Anregung die ›Internationale Robert Musil Gesellschaft‹ einen Nachruf auf Morgenstern in ihrem halbjährlich erscheinenden Periodikum Musil-Forum veröffentlichte.79 Damit erschöpft sich die Liste der Würdigungen. Zumindest ist nichts über weitere Nekrologe bekannt. Morgensterns Tod verhallte so gut wie unbeachtet. Um so notwendiger ist die zumindest posthume, geistige Wiederbelebung dieses in Vergessenheit geratenen Schriftstellers und seines Werkes. Bislang war dies der Arbeit einiger weniger überlassen – allen voran Ingolf Schulte und dem zu Klampen Verlag.

      Wer war Soma Morgenstern? – der obige kurze Abriß über Morgensterns Leben kann diese Frage nur zu einem Teil beantworten. Er kann Lebensdaten und -stationen benennen, doch die Frage nach dem Wesen und Charakter dieses Schriftstellers bleibt damit unbeantwortet. Ihre Beantwortung fällt heute schwer, da es nur wenige Menschen gibt, die Morgenstern noch persönlich gekannt haben. Deshalb soll zum Abschluß dieses einführenden Kapitels ein Mann zu Wort kommen, der Morgenstern äußerst nah gestanden hat und der ihn besser gekannt haben dürfte als die meisten: sein engster Freund Alban Berg.

      In einem Brief an Morgensterns zukünftige Schwiegermutter, Annemarie von Klenau, schreibt er über den Freund: »[…] Ist damit schon gesagt, daß mich sein äußeres und inneres Wesen, seine menschlichen Züge, seine charakterlichen Eigenschaften so ungemein sympathisch berühren, wie es mir noch selten im Leben passiert ist, so möchte ich, wenn ich von ihm als Künstler spreche, sagen, daß er nicht nur einer von ganz exceptioneller Intelligenz ist, dank welcher er in allem Geistigen und Künstlerischen zuhaus ist, sondern daß er auch einer mit einem Wissen um die Dinge seines eigentlichen Berufs ist, wie dies sicherlich Wenige seinesgleichen aufzuweisen haben. […] Es wäre falsch, ihn, weil er Künstler ist und vielfach nach außen hin das Leben eines Bohémiens führt, für einen Phantasten zu halten, für einen der den praktischen, sagen wir sogar: den bürgerlichen Forderungen des Leben fremd gegenübersteht. Im Gegentheil: Dank seiner großen Menschenkenntnis, seiner Lebenserfahrung weiß er wohl, auf was es im Leben ankommt und – so macht es mir wenigstens den Eindruck – es wird ihm im gegebenen Fall an der, zur Gründung einer Existenz und überhaupt zum Leben, nötigen Energie, Zähigkeit, ja Härte sicher nicht fehlen, für welche Annahme auch seine, bei allem Mangel an Robustem überraschende körperliche Zähigkeit und Ausdauer (er ist Hochtourist) spricht.«80

      »Ich sagte mir: entweder kannst du Brot liefern oder nicht. Kannst du kein Brot liefern, gutes, gesundes Brot, das das Herz und den Magen des Menschen erfreut, dann gib’s auf. […] Torten, Luxus werde ich nicht produzieren.«

      Soma Morgenstern81

      2.2 »Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung« – Zum Werk Soma Morgensterns

      »Das Vergessen verlängert das Exil – Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung«, dieser Spruch ist als Inschrift in die israelische Holocaust-Gedenkstätte ›Yad Vashem‹ in Jerusalem eingraviert. Hier steht er als Überschrift über dem Kapitel, das einen Überblick über Morgensterns schriftstellerisches Gesamtschaffen geben will. In vielerlei Hinsicht sind diese Worte von leitmotivischem Charakter für Morgensterns Leben wie auch für sein literarisches Schaffen. Sie umreißen mit wenigen Worten das Wesen von Morgensterns literarischem Werk.

      Zweifellos kannte Morgenstern den Wortlaut dieser Inschrift und das nicht erst, seit ihn seine mahnende Plazierung nach der Eröffnung von ›Yad Vashem‹ im Februar 1947 international bekannt gemacht hat. Vielmehr dürfte diese Formel Morgenstern seit frühester Jugend geläufig gewesen sein und ihn sein Leben lang begleitet haben. Sie geht zurück auf Rabbi Israel ben Eliezer, genannt Baal Schem Tov, der als Gründer des Chassidismus gilt, jener religiösen Bewegung, in deren Sinn auch Morgenstern erzogen wurde. Die Religiosität, die so nachhaltig Morgensterns Elternhaus und damit auch seine Kindheit geprägt hat, ist auch in seinem weiteren Leben stets ein bestimmender Faktor geblieben, sieht man von der frühen Glaubenkrise in der Gymnasialzeit einmal ab. Fraglos hat sie auch sein Schreiben stark beeinflußt.

      Exil und Erinnerungen spielen eine entscheidende Rolle in Morgensterns schriftstellerischem Werdegang. Erst im Exil begann er zu schreiben, schließlich war das Leben in Wien bereits ein erstes Exilerlebnis für den Jurastudenten mit journalistischen Ambitionen, nachdem er im Ersten Weltkrieg Ostgalizien, seine ursprüngliche und eigentliche Heimat, endgültig hatte verlassen müssen. Sein erster Roman entstand zu großen Teilen im Jahr 1934 im Pariser Exil. Die Exilsituation erscheint demnach ein durchaus prägender Faktor für Morgensterns schriftstellerische Tätigkeit gewesen zu sein. Nicht von ungefähr nimmt die Beschreibung seiner Heimat Ostgalizien mit ihren Menschen und Landschaften einen bedeutenden Platz in Morgensterns Romanen ein. Letztlich stellt sich Morgensterns gesamtes schriftstellerisches Werk dem Leser wie eine einzige Reise durch seine Erinnerungen dar. Selbst dort, wo er nicht unmittelbar sein eigenes Leben beschreibt, greift er maßgeblich auf sie zurück. In seinen Romanen verarbeitet er grundlegende Erlebnisse und Eindrücke aus seinem eigenen Leben, läßt die Welt seiner Kindheit in Ostgalizien wiedererstehen. Kapitel 3 der vorliegenden Untersuchung wird sich eingehend mit der Frage auseinandersetzen, in welchem Zusammenhang Exilerfahrung und das Bedürfnis nach deren schriftstellerischer Verarbeitung zueinander stehen.

      Sieht man von den beiden frühen Versuchen als Theaterautor ab, begann Morgenstern seine schriftstellerische Tätigkeit als Romanautor. Das Romanschaffen bestimmt vor allem die ersten zwei Jahrzehnte seiner Autorenlaufbahn. Ende der vierziger Jahre vollendete er seinen vierten Roman Die Blutsäule. Erst zwanzig Jahre später, Ende der sechziger Jahre, schrieb er wieder einen Roman, der allerdings auch sein letzter bleiben sollte. Die Jahre dazwischen waren von der Arbeit an den ›autobiographischen Schriften‹ bestimmt, die den zweiten maßgeblichen Teil von Morgensterns Werk bilden.

      Im Zentrum des Romanschaffens steht die Trilogie Funken im Abgrund. Morgenstern erzählt in den drei Bänden die Geschichte des jungen assimilierten Wiener Juden Alfred Mohylewski. Alfreds im Ersten Weltkrieg gefallener Vater hatte in jungen Jahren seine ostgalizische Heimat verlassen und war in Wien zum Christentum übergetreten, was zum Bruch mit seinem Bruder, dem ostgalizischen Gutsbesitzer Welwel Mohylewski, führte. Welwel holt seinen Neffen Alfred in die Heimat seines Vaters, nach Ostgalizien, zurück. Der ›Sohn des verlorenen Sohnes‹ findet dort zu seinen jüdischen Wurzeln und zum jüdischen Glauben zurück.

      Der vierte Roman, Die Blutsäule, muß nach Morgensterns eigenen Angaben als Abschluß der Trilogie gesehen werden. Morgenstern legt hier ein tiefes Bekenntnis zu seinem jüdischen Glauben ab. Erst die Besinnung auf die Tora, das Kernstück des jüdischen Glaubens, konnte ihn aus der sprachlichen Erstarrung lösen, die ihn nach der Konfrontation mit den Dokumentationen über die an den Juden begangenen Verbrechen der Nationalsozialisten erfaßt hatte. Das scheinbar aussichtslose Dilemma, zum einen alles Deutsche so sehr zu hassen, daß er auch die deutsche Sprache nicht mehr lieben konnte, und zum anderen sich nicht in der Lage zu sehen, in einer anderen Sprache als der deutschen zu schreiben, löste Morgenstern, indem er auf den Sprachduktus der Tora, der fünf Bücher Mose, zurückgriff. Hier fand er zu einer neuen Sprache, einer deutschen Sprache, die bezeugte, daß er sich von der europäischen Kultur gelöst hatte.82 Das Buch sollte geschrieben sein, »as a man writes who has never read any other book