Ein Leben mit Freunden. Cornelia Weidner

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Название Ein Leben mit Freunden
Автор произведения Cornelia Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866749061



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und Verbreitung ihrer Werke ganz abgesehen. Wer nicht bereits vor Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933 seinen Ruf als Schriftsteller hatte festigen und es zu internationaler Bekanntheit hatte bringen können, wie zum Beispiel Stefan Zweig oder Lion Feuchtwanger, der wurde nach 1933 nahezu sämtlicher Publikationsmöglichkeiten beraubt. Und auch nach dem Krieg, im amerikanischen Exil, war Morgenstern, der zeit seines Lebens in deutscher Sprache schrieb, kein Erfolg als Schriftsteller beschieden. Zwar erschienen in den USA noch einige seiner Romane in englischen Übersetzungen, ohne jedoch auf nachhaltige Resonanz zu stoßen. In Deutschland blieb er so gut wie unbekannt.

      Nur wenige der sogenannten Exil-Schriftsteller schafften es, sich nach dem Krieg in ihren Exilländern wieder eine Existenz aufzubauen oder an schriftstellerische Erfolge der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Viele mußten sich mit Gelegenheitsjobs ihren Lebensunterhalt verdienen. Nicht wenige, die es in die Vereinigten Staaten verschlagen hatte, verdingten sich als Drehbuchautoren bei einer der großen amerikanischen Filmgesellschaften. Auch Morgenstern war vorübergehend als Verfasser von Untertiteln für fremdsprachige Filme tätig, konnte jedoch keine dauerhafte Anstellung finden. Sein Hauptaugenmerk war auf die Rekonstruktion der auf der Flucht verlorengegangenen Manuskripte und die Vollendung der Roman-Trilogie gerichtet. Ende der vierziger Jahre erschien die gesamte Trilogie in einem amerikanischen Verlag unter dem Titel Sparks in the Abyss in englischer Übersetzung. Anfang der fünfziger Jahre veröffentlichte er noch einen weiteren Roman: The Third Pillar/Die Blutsäule, der ebenfalls in englischer Übersetzung erschien. Doch auch hier sollte sich kein nachhaltiger Erfolg einstellen.

      Morgensterns Entdeckung als Schriftsteller begann erst Anfang der neunziger Jahre, genauer gesagt im Jahr 1994 mit dem Erscheinen des ersten Bandes der Werkausgabe im zu Klampen Verlag. Eine Vorreiterrolle spielte dabei Ingolf Schulte, der Herausgeber dieser Ausgabe, der, wie er in einem Artikel über den ›vergessenen Autor Soma Morgenstern‹ schreibt, »beschloß, dem Namen nachzugehen, der mir lange zuvor in einigen Brieferwähnungen begegnet war«5. In den Jahren 1991 und 1992 sichtete Schulte Morgensterns Nachlaß in New York, der schließlich zur Grundlange der elfbändigen Werkedition wurde. Die Ausgabe spiegelt die Vielfältigkeit von Morgensterns schriftstellerischer Persönlichkeit. Sie umfaßt zum einen Morgensterns gesamtes Romanwerk, die Trilogie Funken im Abgrund und den Roman Die Blutsäule, die beide bis zu diesem Zeitpunkt nur in den USA und in englischer Übersetzung erschienen waren und hier erstmals vollständig und in deutscher Originalsprache publiziert wurden. Daneben wurde Morgensterns bislang unveröffentlichter letzter Roman Der Tod ist ein Flop zum ersten Mal ediert. Zwei weitere Bände enthalten Morgensterns in der Frankfurter Zeitung erschienene Feuilletons, Theater-, Film- und Literaturkritiken sowie sämtliche Typoskripte, die sich in seinem Nachlaß in den Vereinigten Staaten befanden, darunter auch Manuskriptvarianten, Tagebücher und Notizhefte.

      Der weitaus größte Teil der bis dato unveröffentlichten Typoskripte entstand im Rahmen eines großangelegten autobiographischen Projektes, mit dem sich Morgenstern in den letzten fünfundzwanzig Jahren seines Lebens überwiegend beschäftigt hatte und das ursprünglich den Titel Ein Leben mit Freunden tragen sollte. Es ist kein Zufall, daß die Freunde den Mittelpunkt seiner Lebenserinnerungen bilden sollten, schließlich ziehen sich Freundschaften wie ein roter Faden durch sein gesamtes Leben: »Was Freundschaft betrifft, habe ich in meinem Leben besonderes Glück gehabt«, schreibt Morgenstern in seinen Erinnerungen. »Ich kann ohne Übertreibung sagen, daß es der Segen meines Lebens war. Mit vielen bedeutenden Menschen lebte ich in ungetrübter Freundschaft, bedeutenden, die später berühmt werden sollten, wie Joseph Roth, Alban Berg, Robert Musil, Otto Klemperer, Josef Frank, Ernst Bloch, um nur einige zu nennen.«6

      Später verwarf Morgenstern den Titel Ein Leben mit Freunden wieder, da er, wie er in den ›Bemerkungen‹ schreibt, die sich beim Typoskript zu Joseph Roths Flucht und Ende im Nachlaß fanden und als Nachwort in diesem Band veröffentlicht wurden, »zu der unglücklichen Generation gehör[t]e, die in einer Flut von Weltgeschichte verunglückte, aus der nur einige ihr Leben gerettet haben, aber keinesfalls ohne Schaden davongekommen sind.«7 Auch ist es nie zum Abschluß dieses schriftstellerischen Vorhabens gekommen. Morgensterns Autobiographie blieb unvollendet. Dennoch soll der Titel Ein Leben mit Freunden gleichsam Motto und Überschrift der vorliegenden Untersuchung sein, sich mit eben diesem Komplex des Morgensternschen Œuvres auseinandersetzt: den – im weitesten Sinne – ›autobiographischen Schriften‹.8 Ziel der Arbeit ist eine erste wissenschaftliche Erschließung dieser Texte, die bislang im Rahmen der ohnehin noch in ihren Anfängen steckenden Morgenstern-Forschung so gut wie unberücksichtigt geblieben sind. Dieser Umstand ist fraglos auch auf die Tatsache zurückzuführen, daß dieser Komplex seines Gesamtwerkes bis vor wenigen Jahren nur in Morgensterns Nachlaß erhalten und einem breiteren Leserpublikum nicht zugänglich war. Vor allem die Roman-Trilogie Funken im Abgrund, aber auch der Roman Die Blutsäule, die zumindest in den Vereinigten Staaten noch zu Morgensterns Lebzeiten eine Veröffentlichung erfahren hatten, haben auch nach ihrem Erscheinen im zu Klampen Verlag die Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft bereits häufiger auf sich gezogen. Daher ist der Romankomplex in Morgensterns schriftstellerischem Werk nicht Gegenstand dieser Untersuchung.

      An dieser Stelle muß auf eine grundsätzliche Problematik hingewiesen werden, die sich bei der Beschäftigung mit Morgensterns ›autobiographischen Schriften‹ ergibt. Der Textkorpus, der dieser Untersuchung zugrunde liegt, setzt sich ausschließlich aus Texten zusammen, die posthum publiziert wurden und die zum Teil nur in fragmentarischer Form in Morgensterns Nachlaß überliefert waren. Bei den ›autobiographischen Schriften‹ handelt es sich, wenn man so will, um Werke aus zweiter Hand, da der Autor selbst nicht für die Veröffentlichung verantwortlich zeichnet. Es muß hier die Frage gestellt werden, inwieweit die Werke in der Form, in der sie in der Werkausgabe vorliegen, Morgensterns Intention entsprechen und wie groß die editorischen Eingriffe des Herausgebers Ingolf Schulte waren.

      Eine synoptische Gegenüberstellung der im Exil-Archiv der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main befindlichen Original-Typoskripte von Soma Morgenstern mit den in der Werkedition vorliegenden Ausgaben der ›autobiographischen Schriften‹ hat gezeigt, daß der Herausgeber sehr sorgfältig mit Morgensterns Vorlagen umgegangen ist und sich weitestgehend an die Original-Typoskripte gehalten hat. Sicherlich ist Schultes Vorgehen nicht bar jeder Kritik und es gibt durchaus Punkte, die zu diskutieren wären. So wurde zum Beispiel im Band In einer anderen Zeit ein längeres Typoskript vom Herausgeber in mehrere kürzere Kapitel aufgeteilt, um, so Schulte, »das Gliederungsprinzip des Buches zu wahren.«9 In Alban Berg und seine Idole ergänzte Schulte den in das Typoskript eingegliederten Briefteil um die in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek befindliche Korrespondenz aus dem Nachlaß Alban Bergs. Dieses Vorgehen mag als gravierender Eingriff gewertet werden. Schulte erläutert und begründet sein Vorgehen jedoch stets sehr eingehend in den editorischen Notizen des jeweiligen Bandes, so z. B. zu In einer anderen Zeit: ihm sei »der subjektive Charakter seiner jeweiligen Entscheidung durchaus bewußt.«10

      Im Falle des ergänzten Briefwechsels im Band Alban Berg und seine Idole kann sich der Herausgeber darüber hinaus auf eine Aussage Morgensterns berufen, aus der eindeutig hervorgeht, daß Morgenstern durchaus darum bemüht war, die gesamte Korrespondenz mit Alban Berg in seinen Erinnerungen zu veröffentlichen. In einem Brief, den er im Jahr 1970 an die Witwe Alban Bergs, Helene Berg, entworfen hat, den er jedoch nie abschickte und der in Alban Berg und seine Idole erstmals veröffentlicht wurde, schreibt Morgenstern: »Es geschah im Jahre 1968, bei meinem letzten Besuch. Du hast mir noch ein paar von meinen Briefen, die ich an Alban geschrieben habe, ausgesucht und versprachst, noch andere zu suchen, obwohl ich genau wußte, daß Du nicht zu suchen brauchtest. Du wußtest sehr wohl, wo sie sind und hattest längst beschlossen, welche Du mir ›aussuchen‹ und welche Du unterschlagen wolltest.«11 Dieses Zitat zeigt, daß Morgenstern selbst versucht hat, den Korrespondenzteil um die in Alban Bergs Nachlaß befindlichen Briefe zu ergänzen und zu vervollständigen.

      Es ist auch nicht Ziel und Zweck der vorliegenden Arbeit, eine Editionskritik der Morgenstern-Werkausgabe zu schreiben. Es sollte hier lediglich auf die außergewöhnliche Textgrundlage hingewiesen werden, mit der man es im Fall von Soma Morgensterns ›autobiographischen Schriften‹