Die Gottesversprecher. Ute Aland

Читать онлайн.
Название Die Gottesversprecher
Автор произведения Ute Aland
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783765571923



Скачать книгу

einem „Und wie geht’s bei dir so?“ streift Janett ihre lackierten Fingernägel verwirrend leicht über meinen Unterarm und sieht mich mit schräg gelegtem Kopf und Kussmund an, lehnt sich dann wieder zurück und schlägt ihre unverschämt langen Beine übereinander.

      „Hab ein paar ziemlich spannende Leute kennengelernt, witzig, total gut drauf, aber auch interessant halt. Wir führen total tiefe Gespräche.“ Ich kenne Janett lange genug, um zu wissen, was die Worte bei ihr auslösen. Deshalb wundere ich mich auch nicht über den kurzen Schatten in Janetts süßem Antlitz.

      „Ach wirklich?“ Ihre Stimme klingt tatsächlich so schnippisch, wie ich erwartet habe. „Freut mich ja für dich, schön, echt!“ Dann scheint sie sich auf ihren letzten Gedanken zu besinnen: „Wir beiden Hübschen könnten ja auch mal wieder zusammen shoppen gehen, im Moment hast du ja wohl nicht so was Richtiges zum Anziehen.“ Dabei blickt sie direkt an mir vorbei aus dem mit himbeerfarbenen Seidenschals verhängten Fenster. Ich weiß, was das Biest will, und kann trotzdem nicht anders, als kurz meine Garderobe zu checken; die im Übrigen gar nicht so übel ist, wie ich finde: eine gut sitzende Jeans, eine neue Bluse, ein schicker breiter Gürtel – eigentlich ganz anständig.

      Anständigkeit täte deiner Garderobe auch ganz gut, ein bisschen zu nuttig das Outfit, denke ich und finde mich ätzend, sage dann aber: „Bei Schönemann kann man ganz gut einkaufen“, und zucke mit den Schultern.

      „Also, ich will jetzt meinen Eisbecher!“, verkündet Janett, schiebt die Eiskarte quer über den Tisch, bettet sich geschmeidig in das mintfarbene Polster und führt dem braun gebrannten, schokobecherlöffelnden Schönling am Nachbartisch die Vollkommenheit ihrer Beine vor. Sie lacht hell, und ich stelle mir die geilen Glotzaugen des Schokobechers vom Nebentisch vor, der sich nicht viel Mühe zu geben braucht, um Janetts Slip zu sehen – falls sie einen trägt.

      Janett winkt mit vollendeter Eleganz der kleinen italienischen Kellnerin zu, haucht mit einem zuckersüßen Lächeln: „Ich nehme den Eierlikörbecher“, und ohne die Kleine aus ihrem Bann zu entlassen, blickt sie den Bruchteil einer Sekunde zu mir herüber: „Und was nimmst du?“

      „Das Gleiche“, antworte ich, obwohl ich eigentlich lieber noch in der Karte geguckt hätte.

      Als die Eisbecher kommen, beginnt Janett lasziv an ihrem langen, schlanken Eislöffel zu lutschen, schließt bei jedem Mal genüsslich die Augen und rekelt sich im Mintkissen.

      Ich bin entsetzt. Die Show gilt offensichtlich dem gelockten Schokobecher schräg hinter mir, der – ich ahne es – sein Eis mittlerweile gierig vor sich hinschmelzen lässt. Ekelhaft. Mit solchen Leuten habe ich meine Zeit verbracht? Ich fasse es nicht. Ich bereue, überhaupt gekommen zu sein. Janett scheint mich eh nicht mehr wahrzunehmen. Sie blickt durch mich hindurch wie durch die Seidenschals am Fenster.

      Ich räuspere mich. Nichts. Ich bin für Janett im Augenblick nicht existent.

      Ich weiß nicht, was mich plötzlich reitet, jedenfalls verkünde ich in dem Moment lauthals: „Ich habe Jesus gefunden!“

      Das ist ein Satz! Ein toller Satz, ein Hammersatz, ein echter Schocker, einer, der es in sich hat, ein Satz, der mit dem schnuckeligen Schokobecher am Nachbartisch ohne Probleme mithalten kann.

      Und tatsächlich: Janett lässt fassungslos ihren Löffel in das Sahne-Eis-Eierlikör-Gemisch fallen und wirkt mit einem Mal ganz und gar nicht mehr verführerisch. Viel eher sieht sie – sie sieht leicht blöde aus. Als hätte einer sie ausgeschaltet.

      Ich gebe zu, ich habe diesen Anblick genossen und ganz langsam meinen Eierlikör-Becher zu Ende gelöffelt und mir die perfekte Janett angeschaut, die wie eingefroren auf ihrer Schickimicki-Bühne vereist war, einige ziemlich lange Momente lang, als hätte sie nicht nur ihren Text, sondern ihre gesamte Rolle vergessen. Ich bin mir sicher, dass selbst Brad Pitt sie in dem Moment nicht aus ihrer Starre hätte befreien können.

      Mir dämmerte schon auf dem Nachhauseweg, dass das wohl nicht ganz im Sinne des Erfinders gewesen war. Meinen ersten Bekehrungsversuch musste ich wohl als echten Reinfall verbuchen.

      Die zweite Erfahrung auf diesem Gebiet war von komplett anderer Art; es hat allerdings etwas gedauert, bis ich mich habe breitschlagen lassen, mit Helena loszuziehen. Was ich dabei erlebt habe, hat mein Denken ziemlich auf den Kopf gestellt:

      Es war am 24. Juni, ich erinnere mich genau an die laue Nacht, als Helena und ich aus dem Bus am Hauptbahnhof ausstiegen. Wir fühlten uns wie Gesandte einer anderen Wirklichkeit. „Ist dir eigentlich klar“, fragt mich Helena, „was für eine wertvolle Fracht wir bei uns haben? Die Botschaft vom Reich Gottes.“

      Ich nicke angestrengt, denn ich kämpfe gegen schier unüberwindlichen Harndrang – vor lauter Aufregung. Mit meiner Linken wühle ich in meiner Umhängetasche, drehe die Schachtel Zigaretten zwischen den Fingern. Wenn Helena dabei ist, traue ich mich nicht zu rauchen. Sie sagt dann zwar nichts, aber ich weiß, dass sie Rauchen für Schwäche hält, ungesund, Schnuller für Erwachsene. Und sie hat ja recht – also bleibt die Schachtel in der Tasche.

      Bei mir herrscht Chaos im Kopf. Einerseits dieser Gedanke: Du verfügst über die wertvollste Nachricht der Welt, die Menschen aus Verzweiflung und Verlorenheit holen kann; andererseits habe ich auch einfach Schiss, ausgelacht zu werden. „Was kann dir denn schon passieren?“, fragt Helena. „Man trifft viel öfter Menschen, die Gott suchen, als man vermuten würde. Gott hat den Menschen die Ewigkeit ins Herz gelegt. Es gibt also eine Art Brückenkopf Gottes in jedem Menschen!“

      Ich bin froh, dass sie die ganze Zeit redet. Sie erzählt von ihren Einsätzen, aber ich kann ihr kaum zuhören, so nervös bin ich.

      Dann sind wir endlich beim Marschallplatz. Hier liegt das „Forum“, die angesagteste Disco der Stadt. Da sitzen immer jede Menge junger Leute auf den Stufen, Opfer des allgemeinen Rauchverbots – und potenzielle Opfer unserer geplanten Evangelisation. Ich will nur weg hier. „Herr, hilf mir!“, flehe ich und versuche mich auf Helenas Ratschläge zu konzentrieren.

      „Man sollte vorher beten, dass der Herr einem zeigt, wen man ansprechen soll, den Rest regelt Gott.“

      Ich hoffe, dass sie recht hat. Vor dem Forum hängt ein Pulk rauchender Jungs ab, die lauthals rumgrölen und sich mit gegenseitigem Anrempeln ihre Existenz beweisen.

      Weiter Richtung „Antonios Pizza“ sitzen zwei Mädels auf einer Mauer, sie wirken etwas verlassen. Ich denke: Vielleicht ganz gut für unsere Zwecke. Die Rothaarige mit den Zöpfen, die würde ich gerne ansprechen und frage mich, ob das Gottes Führung ist oder ob mir nur ihr Outfit besonders gefällt. Sie trägt ein moosgrünes, hautenges Shirt und einen kurzen karierten Faltenrock, der ihre geringelte Strumpfhose bis über die Knie freilässt. Vielleicht etwas zu mager auf den zweiten Blick. Girly-Look – ich würde so nicht rumlaufen, aber ihr steht das.

      „Die beiden auf der Mauer?“, tippt mich Helena an.

      „Hab ich auch schon gedacht“, erwidere ich und weiß noch immer nicht, ob das jetzt Zufall oder Gottes Reden ist.

      „Lass uns noch mal kurz beten“, schlägt Helena vor und fängt auch sofort an: „Vater, du liebst die beiden jungen Frauen. Du kennst sie. Du willst ihnen deine Liebe zeigen. Gib uns den richtigen Zugang, offenbare uns, was du ihnen sagen willst. Amen.“

      „Amen.“

      Mehr fällt mir in dem Moment nicht ein, dann gehen wir rüber. Ich habe ziemlich weiche Knie und versuche mich hinter Helena zu verstecken.

      „Hi“, sagt sie.

      „Hi“, antworten die beiden etwas kurz angebunden. Wir stören ganz offensichtlich.

      „Dürfen wir kurz?“, fragt Helena, ohne sich für die Antwort zu interessieren. Mir ist das unangenehm. Ich mag es nicht, mich aufzudrängen, und setze mein schönstes Lächeln auf, aber sicher wirkt es so bescheuert, wie ich mich fühle.

      Helena hat sich schon neben die Schwarzhaarige auf das Mäuerchen gesetzt. Bleibt mir der Platz neben dem Girl. Ich hopse hoch, ohne sie anzusehen. Echt peinlich das alles hier. Helena schweigt eine Weile. Alle schweigen.

      „Ihr