Die Gottesversprecher. Ute Aland

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Название Die Gottesversprecher
Автор произведения Ute Aland
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783765571923



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ist Anni echt toll. Sie ist direkt, ehrlich, auf sie kann man sich verlassen. Aber für irgendwelche Fragen nach dem Sinn des Lebens oder so hat sie kein Verständnis. Eigentlich wundert es mich nicht, dass sie so reagiert. Hätte ich mir denken können.

      Sie hält ja sogar die Baptisten für eine Sekte. Aber ich kann super umschalten. Das ist ja das Tolle an unseren Martiniabenden, dass man nichts denken muss, nur trinken, rauchen, kichern.

      „Schon gut!“, sage ich, fische heimlich die Eiswürfel aus dem Glas und lasse sie zwischen die Ritzen der Bretter unter den Hochsitz fallen – scheiß auf die Tradition.

      Hätte mir natürlich schon gewünscht, dass sie mal mitkommt in einen der Gottesdienste, sich das wenigstens mal anschauen. Aber Anni zieht es vor, sich mit den Dingen, zu denen sie sich eine Meinung bildet, nicht zu sehr auseinanderzusetzen. Ist einfacher für sie. Differenzieren ist nicht so ihr Ding.

      Also bleiben unsere Martiniabende, was sie immer waren, und wenn ich reden will über Dinge, die mich noch so beschäftigen, dann muss ich mir jemand anderen suchen.

      Meiner Clique brauche ich mit Gott eh nicht zu kommen, das gilt bei denen als Liebestöter. Jedenfalls waren sie extrem erleichtert, als ich nicht mehr zu den Baptisten gegangen bin. Im Grunde habe ich ziemlich lange ein Doppelleben geführt.

      Wenn ich denen sagen würde, dass ich mein Leben ernsthaft in Gottes Hand gelegt habe, dass ich ihm folgen und vertrauen will – die würden mich doch für krank halten, für eine Spaßbremse allemal. Aber die sollen sich wundern, wenn die glauben, ich entwickle mich jetzt zu einer angepassten Kirchenmaus. Für die passt das wohl nicht zusammen: Markusevangelium und Martini.

      Mein Bedarf an Input und Austausch ist neuerdings jedenfalls ziemlich hoch, und ich sauge alles an Predigten und Lehre auf, was ich kriegen kann, als hätte ich Jahre aufzuholen, die ich besser hätte verbringen können, als mich mit selbstverliebten Leuten herumzutreiben, die an allem und jedem etwas auszusetzen hatten.

      Ich will Gott gefallen!

      Das Einzige, womit ich mich von Anfang an schwergetan habe, ist das Missionieren. Ich finde es ja absolut richtig, die Leute nicht in die Kirche, sondern die Kirche zu den Leuten zu bringen. Die Kirche, meint Dan, sei kein Gebäude, keine Institution, die Kirche sind wir Gläubigen, wo immer wir sind. Deshalb gehen wir raus zu den Menschen.

      So weit die Theorie. Die Praxis sieht bei mir leider anders aus. Mit Grauen erinnere ich mich an mein erstes Treffen mit Janett, nachdem sich bei meiner alten Clique doch herumgesprochen hatte, dass ich jetzt „richtig“ fromm geworden bin:

      Janett sitzt schon an einem Tisch, direkt an der Tür des Eiscafés, als ich reinkomme. Ich entdecke sie sofort, Janett ist nicht zu übersehen. Sie ist nie zu übersehen. Janett, ganz wie man sie kennt: perfekt geschminkt, perfekt angezogen mit ihrem engen, neongelben Shirt und dem dunkelbraunen Mini-Minirock.

      Jeder, der zu einem der Tische in der Eisdiele will, muss ihren tadellosen Beinen mit den hochhackigen Schuhen ausweichen, die sie in den Raum gegossen hat. Die platinblonden Haare wickelt sie wie in Gedanken versunken um ihre schmalen Finger.

      Janett ist perfekt. Perfektes Aussehen, perfekter Gang, eine Meisterin des Small Talks, bestimmt ist sie auch gut im Bett – soll ja auch jede Menge Übung haben, nach dem, was man so hört.

      Reiß dich zusammen, ermahne ich mich. Immerhin bin ich nicht hier, um über Janetts Moral zu urteilen. Genau das wollte ich mir ja abgewöhnen! Wozu ich allerdings hier bin, weiß ich auch nicht so genau.

      Will ich mich vor meiner alten Clique für meinen Glauben rechtfertigen? Denn eines ist ja wohl klar: Janett ist hier, um auszukundschaften, was an den Gerüchten so dran ist, und es den anderen dann brühwarm aufzutischen. Janett würde alles haarklein Charlott, Susan, Christine und Laureen berichten. Jede Wette, nach diesem Eisessen wird Janetts Telefon für mindestens zweieinhalb Tage durcharbeiten. Und mir wird klar, dass es noch gar nicht so lange her ist, da habe ich dieser Gerüchteküche mein Gift tüchtig mit beigemischt. Offiziell habe ich dieses Treffen als meine erste „Freundschaftsevangelisation“ eingeordnet – erfahrungsgemäß die wirksamste Art, Menschen die Gute Nachricht nahezubringen, sagt Dan.

      Janett wickelt noch immer ihre blonden Locken um die Finger, sieht aber jetzt mit süßem Augenaufschlag lächelnd zu mir herüber. Die Hand löst sich aus der blonden Pracht und winkt mir zu. Ich stehe noch immer in der Tür und höre das aus Janetts knallroten Lippen gehauchte „Hi“ ganz deutlich. Es verteilt sich wie Erdbeerduft im Raum, und mir ist klar, dass es im Grunde gar nicht mir gilt, sondern allen hier. Janett ist irgendwie immer auf einer Bühne, und der Rest der Welt darf ihr zusehen.

      „Hi“, quäle ich mir ein Lächeln ab.

      „Toll, dass du da bist, Süße!“, flötet Janett, als ich mich setze, und es ist irgendwie schön, dass sie das sagt, auch wenn ich davon ausgehen muss, dass es geheuchelt ist.

      „Ja“, erwidere ich, „freue mich auch total.“ Auch das entspricht mindestens nur zur Hälfte der Wahrheit.

      Janett gehört zu der Clique, mit der ich seit der Oberstufe zusammen bin, wobei ich Janett selbst erst am Berufskolleg kennengelernt habe. Janett Kommunikationsdesign, ich Werbegrafik und Design. In Windeseile wurde Janett zur ungekrönten Königin unserer Clique. Was sie toll findet, ist toll. Sie kriegt immer die besten Jungs, die hippesten Klamotten.

      Was uns als Clique einte – abgesehen von unserem gemeinsamen Interesse an Klamotten, Jungs, Tanzen? Na ja, das, was die meisten Gruppen eint: die Überzeugung von der eigenen Überlegenheit gegenüber anderen. Ich schäme mich dafür, dass wir uns ständig kichernd die Mäuler zerrissen haben über alle, die unseren fragwürdigen Vorstellungen nicht entsprachen.

      Mein Job war da eher der des hässlichen Entleins, auf das der Glanz der anderen herabscheint. Vielleicht habe ich mir gerade deshalb mein Maul am lautesten über die anderen zerrissen.

      „Es ist ja echt so lange her, dass wir uns gesehen haben.“ Janett betont das Wörtchen „echt“, als wolle sie darauf ein Universum errichten. „Echt total lange!“

      Ich nicke eingeschüchtert. Wir beide sind total verlogen, denke ich. Ich weiß doch, dass ihr über mich herzieht.

      Ich will ja weiter Beziehungen zu Nichtchristen führen, habe ich mir vorgenommen, aber was soll das hier für eine Beziehung sein? Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich ja vor allem hier, um genau das herauszukriegen. Ich sollte unserer Beziehung wenigstens eine Chance geben.

      „Ja, ja, ich war ziemlich beschäftigt in letzter Zeit“, erkläre ich und spüre, wie schwer es werden würde, den wahren Grund meiner Zurückhaltung zu nennen. Denn wie würde Janett wohl auf einen Satz reagieren wie: „Ich gehöre jetzt Jesus“?

      Ich kann mir den Spott und die Verachtung in Janetts Augen ziemlich gut ausmalen. Nein, danke, das brauche ich wirklich nicht.

      Ja, ich gebe es zu: Ich bin ein Schisser. Zu feige, für Jesus ein Zeuge zu sein. Die anderen sind da viel cooler. Helena zum Beispiel. Schon als wir uns in der Gemeinde kennenlernten, überschüttete sie mich mit ihren begeisterten Berichten. Was für unglaubliche Dinge sie erlebt, wenn sie fremden Menschen von Jesus erzählt. „Man darf einfach keine Scheu haben“, behauptete sie.

      Udo tickt in der Beziehung genauso. Dafür verdrehen die Kollegen aber auch die Augen, wenn er mit seinem „Jesus-Gequatsche“ anfängt.

      Aber warum auch gleich mit der Tür ins Haus fallen? Vielleicht wird Janett ja von selbst merken, wie sehr ich mich verändert habe, und nach dem Grund fragen. Dann kann ich es ihr ja immer noch sagen – später vielleicht.

      „Hatte einiges zu erledigen – Persönliches und so. Auch im Job war’s ganz schön stressig“, erkläre ich.

      „Echt? Das ist ja … Das sind doch bestimmt acht, neun Wochen, dass ich von dir nichts gehört habe. Ist echt alles in Ordnung bei dir?“

      „Ja, klar. Acht Wochen schon? Mann, das könnte sein. War das nicht, als ich dich mit Christine im Aroma getroffen habe?“

      „Ja, Wahnsinn!