Die Gottesversprecher. Ute Aland

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Название Die Gottesversprecher
Автор произведения Ute Aland
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783765571923



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Wir können von dort sogar die Silhouette der Pyrenäen sehen, in die die Abendsonne eintaucht, kurz bevor sie die Gipfel mit ihrem Schleier aus rotgoldenem Licht verhüllt. Wir sitzen oft bis tief in die Nacht in eine Decke gewickelt auf der Bank, neben uns drängt sich Lavendel aus allen Fugen, unsere Weingläser stehen auf dem Tischchen vor uns.

      Aber dieses Jahr werde ich den Bordeaux nicht mittrinken. Ich darf nicht, denn ich bin schwanger – auch so ein Wunder. Denn eigentlich bin ich unfruchtbar. Auch das hat mit der Zeit damals zu tun, wie eigentlich fast alles in meinem Leben mit der Zeit damals zu tun hat. Ich wäre fast krepiert, denn „man geht nicht zum Arzt, weil Gott ja unser Arzt ist“.

      Im Grunde ist eine Gebärmutterentzündung nichts Schlimmes – wenn man sie behandelt. Ich habe sie nicht behandelt. Ich habe stur auf übernatürliche Heilung gewartet. Die kam aber nicht. Sondern Fieber, Schüttelfrost, schreckliche Schmerzen und dann der Notarzt.

      Alles voller Eiter, haben die Ärzte diagnostiziert und konnten nicht begreifen, warum ich nicht früher gekommen war – bei solchen Schmerzen! Sicher hätten sie auch nicht begriffen, warum ich nach drei Wochen Krankenhaus freiwillig direkt zu den Menschen zurückgegangen bin, die mitverantwortlich gewesen waren für meine Lage. Ich kann es heute selber kaum begreifen.

      „Sie werden keine Kinder bekommen können, Frau Feininger“, hatte die Ärztin mir mitgeteilt. Dabei wollte ich mindestens vier. Na ja, so viele werden es wohl jetzt nicht mehr werden, die biologische Uhr …

      Dass ich dann doch schwanger wurde, hat meinen Liebsten versöhnt mit den Ereignissen damals. Das Schlimmste für mich war, mich zwischen ihm und der Gruppe entscheiden zu müssen. Ich habe gebetet wie eine Verrückte, dass er auch einer von uns wird, einer von den „Auserwählten“.

      Aber er ist zu schlau – oder zu schlicht. Er ist Surfer! Er kennt die Wellen. Und die Felsen. Er ist am Meer groß geworden.

      Ich öffne das Törchen in der halb zerfallenen Mauer, wir steuern auf das Steinhäuschen zu, um auf der Bank im Lavendel Platz zu nehmen.

      Lavendel – auch so eine Erinnerung, denn der würzige Duft lässt mich daran denken, wie alles anfing – damals, vor ungefähr neun Jahren.

      Ich sitze in einem hohen, lichtdurchfluteten Saal, eigentlich kein typischer Gottesdienstraum. Auch von außen hätte ich den hohen Klinkerbau – eine ehemalige Weberei, wie das Messingschild verriet – niemals für eine Kirche gehalten, eher für ein Kulturzentrum. Im Moment sitzen hier um die sechzig, siebzig Leute. Die junge, hübsche Frau neben mir duftet ganz leicht nach Lavendel. Vielleicht ihr Shampoo. Der Duft passt zu ihr, finde ich. Sie hat so etwas Natürliches, Sonniges, Frisches.

      Als ich mich vorhin neben sie setzte, begrüßte sie mich herzlich, so als würden wir uns ewig kennen. Dabei kenne ich hier niemanden – abgesehen von Udo natürlich.

      Normalerweise ist diese Umarmerei nicht mein Ding, bei ihr war das aber okay. Ich mag Lavendel, und sie scheint nett zu sein. Ihr Name sei Natascha, stellte sie sich vor. Ich schätze, sie hat in etwa mein Alter, Mitte, Ende zwanzig.

      Und der Typ neben ihr ist vielleicht ihr Freund. Vielleicht aber auch nicht. Möglicherweise darf man hier nicht befreundet sein, und alle sind schon miteinander verheiratet. Keine Ahnung, was die hier für Regeln haben. Ich hätte Udo mal lieber eingehender ausfragen sollen. Wo treibt der Typ sich eigentlich rum?

      Kein Udo weit und breit, dabei kann man ihn im Grunde gar nicht übersehen. Mit seinen Zweimeterfünf müsste ich seine Geheimratsecken eigentlich schon von Weitem erblicken. Aber das sieht Udo ähnlich. Mich hier anzuschleppen und dann sitzen zu lassen.

      Langsam werde ich nervös. Ich ärgere mich, dass ich Idiot mich habe bequatschen lassen herzukommen. Jetzt eine Zigarette! Ob ich kurz mal vor die Tür gehe, eine rauchen? Oder gleich ganz abhauen. Noch kann ich.

      Als die Band anfängt zu spielen, ist es zu spät zu verschwinden. Scheiße, warum kommt Udo nicht?

      Cool bleiben, Sara, versuche ich mich zu beruhigen, die werden dir hier schon nichts tun.

      „Das ist ganz anders, als du es kennst“, hat Udo mir versichert. „Du wirst überrascht sein, wie locker alles bei uns läuft. Keine Religiosität, sondern echtes Leben.“

      Zugegeben, die Band ist ziemlich gut, richtig professionell sogar und die Sängerin ein Augen- und Ohrenschmaus. Eine tolle Stimme – gänsehautverdächtig. Und dann noch Saxofon – voll mein Stil.

      Trotzdem denke ich an Zigarette.

      Die Location ist auch cool, wie ich widerwillig eingestehen muss. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, Kirche ätzend zu finden und alles, was mit Kirche zu tun hat. Ich habe wirklich genug Gründe dafür, glaubt mir. Das hier sieht jedenfalls wirklich nicht wie eine typische Gemeinde aus, wie ich sie kenne, mit pietistischem Staub, Jahreslosungsposter im Wechselrahmen oder Sonnenuntergangsschmu mit Bibelspruch, dieser „röhrende Hirsch“ der Frommen.

      Die hohen Wände sind grob weiß verputzt, oben schmale Oberlichter, Industrielook. Die alten Stahlträger hängen voller Lichttechnik. Sogar die Stühle sind nicht nur stylisch, sondern sogar bequem.

      Ich bin wahrlich kein Kirchenneuling. Im Gegenteil. In Anbetracht all der Erlebnisse, die ich schon im Schoß der Gläubigen erlitten habe, wundere ich mich, wie es Udo gelingen konnte, mich in die „Everlasting Church of God’s Power“ zu schleppen. Allein dieser bekloppte Name.

      Hatte ich mir nicht geschworen, mich von Kirche fernzuhalten? Immerhin war ich in den Jahren als baptistisches Gemeindekind zu dem Schluss gekommen, dass Gemeinde der geschlossenen Abteilung einer Irrenanstalt manchmal gefährlich ähnlich ist. Ich habe mich deswegen auch nicht gewundert, als mir jemand sagte, dass religiöser Wahn in psychiatrischen Einrichtungen ziemlich stark vertreten sei.

      Ich bin nur hier, weil Udo keine Ruhe gegeben hat.

      In den Mittagspausen hat er sich in der Kantine immer zu mir gesetzt, um mich vollzuquatschen. Offensichtlich sehe ich wie ein typisches Missionsopfer aus, irgendwie „verloren“.

      War mir immer ein bisschen unangenehm, denn die Kollegen haben schon komisch geguckt, dass sich jemand aus der Chefetage zu mir setzt.

      „Entspann dich“, hat Melanie zu mir gesagt. Melanie und ich bilden eine Projektgruppe bei „Jagner International Communication Design“. „Der sucht sich immer die Neuen, um sie zu bekehren. Bei mir hat er es auch schon probiert, mich von seinem Jesus-Quatsch zu überzeugen. Fast drei Wochen hat es gedauert, bis er endlich kapiert hat, dass ich kein Interesse habe.“

      Tja, Melanie ist wohl tougher als ich. Ich habe mich schlicht und einfach breitschlagen lassen zu kommen – Udo kann entsetzlich penetrant sein.

      Ich mag ihn nicht sonderlich und bin ziemlich sauer, dass er nicht akzeptieren will, dass ich von Gemeinde die Schnauze voll habe. Was soll das hier? Als „Gemeindekind“ bin ich eh immun. Ich habe meine christliche Gehirnwäsche nämlich hinter mir. Ich war Jugendleiterin. Sogar mit Schein! Nur den Taufschein, den habe ich nicht. Bin gerade noch rechtzeitig abgesprungen vom „Schiff, das sich Gemeinde nennt“. Den Stress, den meine Eltern mit der Gemeinde haben, brauchte ich echt nicht, und im Grunde war ich nur wegen Papa und Mutti in der Gemeinde, habe ihnen zuliebe das brave Mädchen gemacht.

      Ich erinnere mich mit Schrecken an die vier Jahre, die Papa Ältester war.

      Es kann sich keiner vorstellen, über was für Lächerlichkeiten sich Menschen streiten. Und mit welch kriecherischer „Demut“ sie ihre Böswilligkeiten verbreiten.

      Ohne mich!

      Ich werde mein Leben mit Sicherheit nicht mit den Befindlichkeiten von irgendwelchen Gemeindemitgliedern verderben. Echt, Leute, ich glaube ja, dass es Gott irgendwie gibt, zumindest ein höheres Wesen. Aber dieser Zirkus? Nein, danke!

      Ich kann mir kaum vorstellen, dass Jesus da Bock drauf hätte: „Bruder Soundso will die Musik lauter, die Schwester Soundso will lieber die alten Lieder singen, die hatten noch Tiefe.“ Und so’n Quark. Ich kriege Pickel beim Gedanken an die miesepetrigen Gesichter mit dem geheuchelten Kirchenlächeln – zweite Reihe links reserviert