Die Gottesversprecher. Ute Aland

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Название Die Gottesversprecher
Автор произведения Ute Aland
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783765571923



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hier, die gute alte Zeit da. Eigentlich hätten sie Großvater Friedrichs Konterfei hinter die Kanzel hängen sollen statt des Kreuzes.

      Hätte ich zum Abschied eigentlich mal machen sollen. Jesus war ja immerhin auch ein Rebell. Vielleicht hätte es ihm sogar gefallen.

      Nun ja, jetzt ist es zu spät. Kann ja schlecht nach dreieinhalb Jahren wieder im Gottesdienst auftauchen: „Hallo, hier bin ich, die verlorene Tochter, ich wollte nur mal kurz umdekorieren.“

      Nein, danke, ich bin damit durch. Ich habe zu viel erlebt. Ich habe zu viel hinter die Fassaden geschaut, ich nehme den Leuten ihr Erlöstsein nicht ab. Hier wird das auch nicht anders sein, auch wenn die hier deutlich jünger sind als bei uns.

      Hilfe! Sage ich noch immer „bei uns“? Ich fasse es nicht.

      Natascha weht immer mehr Lavendel zu mir herüber. Sie hat nämlich angefangen, zu der Musik zu tanzen. Ich weiß nicht, ob ich das peinlich finden soll – sieht nämlich eigentlich beneidenswert gut aus, was sie da macht. Die Figur dazu hat sie ja. Bei uns war Tanzen verpönt. Weltlich, Sünde, Fleischeslust!

      Das scheinen die hier ganz anders zu sehen.

      Lavendel-Natascha berührt mit ihrer Hand ganz leicht meine Schulter: „Du fühlst dich sicher komisch, oder? War bei mir am Anfang auch so.“

      Ich lächle sie an, aber so schön wie ihres ist mein Lächeln bestimmt nicht. Sie sieht irgendwie glücklich aus. Vielleicht ist sie ja frisch verliebt in den Typen neben ihr. Kein Wunder. Der würde mir auch gefallen.

      Überhaupt sehen die hier alle verdammt gut aus, und die Outfits sind auch vom Feinsten. Ganz schön kurze Röcke – ich stelle mir Opa Friedrichs Entsetzen vor: „Die Endzeit! Sodom und Gomorra!“ Hätte ich mein hautenges Top also doch anziehen können, ärgere ich mich über meine Entscheidung heute Morgen, die rosafarben-keusche, hochgeknöpfte Bluse zum Gottesdienst zu tragen.

      Wie auch immer; ich werde mir die Vorstellung zu Ende ansehen und verschwinde dann unauffällig.

      Hoffentlich verwickelt mich am Ende niemand in peinliche Gespräche wie: „Na? Weißt du, wie sehr Gott dich liebt und dass er für dich gestorben ist?“ oder so etwas.

      Gut, dass ich Udos Angebot, mich die fünfunddreißig Kilometer in seinem Wagen mitzunehmen, abgelehnt habe. Dann kann ich mich unauffällig verdünnisieren.

      Verstehe das sowieso nicht, dass jemand eine gute halbe Stunde fährt, um hier in Osnabrück in die Kirche zu gehen.

      „Wie lange geht das hier?“, frage ich Natascha unsicher. Ihr Lächeln ist echt hinreißend mit ihren strahlenden grünlichen Augen und den rötlich-blonden Locken. Ich kann verstehen, dass der Typ sie dauernd so verzückt anguckt.

      „Die Leiter beten noch“, erklärt sie. „Manchmal dauert das etwas länger, wenn die Gegenwart des Herrn besonders stark ist. Aber das Warten lohnt sich.“

      Was soll das heißen, „wenn die Gegenwart des Herrn besonders stark ist“? Frommes Gelaber?

      „Du hast ziemliche Vorurteile, oder?“, fragt sie mich.

      Volltreffer, denke ich. Sie sieht mir freundlich direkt in die Augen. Ich zucke mit den Schultern.

      „Schlechte Erfahrungen mit Kirche?“, fragt sie.

      Ich nicke. Kann sie etwa Gedanken lesen?

      „Gemeindekind?“

      Ich nicke wieder. Hat Udo etwa was von mir erzählt? Wenn ja, kriegt er was zu hören.

      „Ich spüre dein Misstrauen“, verrät sie mir. „Weißt du, ich kann das so gut nachvollziehen. Es wird nämlich sehr viel Schindluder getrieben mit dem Glauben. Ich bin auch in der Gemeinde groß geworden, ein typisches Gemeindekind, und hatte die Nase so was von voll! Aber hier bin ich dem lebendigen Gott begegnet.“ Sie sieht mir direkt in die Augen und bettelt förmlich: „Gib Gott eine Chance!“

      Ich bin ziemlich froh, dass ich ihr nicht antworten muss, denn in diesem Augenblick verklingt die Musik, und einige junge Männer betreten den Raum durch eine verdeckte Tür neben der Bühne. Udo ist auch dabei.

      „Das ist unsere Leitung“, flüstert Natascha mir zu. „Der ganz rechts ist Arthur, der Pastor. Daneben steht Daniel, wir nennen ihn Dan. Ein ganz toller Gottesmann. Er hat eine starke apostolische Berufung.“

      Apostolische Berufung? Und was soll das bitte sein? Sieht jedenfalls super aus, der Apostel. Wie Leonardo di Caprio in Rotblond. Seine fuchsbraunen Augen leuchten bis in meine Reihe – und ich sitze ziemlich weit hinten. Kaum zu fassen, welche Präsenz dieser Mann hat.

      Er tänzelt ein wenig, als er dem durchtrainierten jungen Mann zu seiner Rechten etwas ins Ohr flüstert. Auf dessen Jungengesicht strahlt ein kurzes Lächeln auf.

      „Das ist Jörg“, unterrichtet mich Natascha, die – ich weiß nicht, wie sie das macht – wohl mitgekriegt hat, dass mir der Typ auf Anhieb gefällt.

      Jörg kämmt sich mit der Hand die leicht gelockten, braunen Haare aus der Stirn. Der freche Ausdruck auf seinem Gesicht – der ist bestimmt total gut drauf. Ich kenne solche Jungs, wo die sind, geht meist die Post ab. Aber bei dem hier ist noch etwas anderes: Er hat auch einen ernsten Zug um die fast schwarzen Augen, etwas, das Seriosität ausstrahlt. Er ist mir sofort sympathisch! Seine ganz besondere Ausstrahlung verdoppelt meine Gänsehaut, aber ich habe meine Tage, da reagiere ich eh auf alles etwas überempfindlich.

      Bleib mal ganz locker, Sara, versuche ich mich zur Besinnung zu bringen, aber mein Herz klopft total.

      Die Band spielt jetzt so ’ne Art psychedelische Musik, um mich herum singen alle in einer komischen Sprache. – Ob das der gefürchtete Sprachengesang ist? Hätte mir eigentlich denken können, dass ich bei Charismatikern gelandet bin. In meiner Gemeinde hat man mich so viel vor ihnen gewarnt, dass ich jetzt richtig neugierig bin.

      Der Gesang, oder was immer das ist, wird ruhiger, dann herrscht plötzlich wieder Stille. Der Apostel geht ans Pult. Er wird wohl die Predigt halten, aber eines kann der sich abschminken: Auf keinen Fall werde ich mich von irgendwem um den Finger wickeln lassen.

      „Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Geschwister!“, freut sich Dan, uns zu sehen. „Ich bin so froh, dass der Herr euch heute hierhergebracht hat.“

      Na ja, ob das der Herr war?, denke ich, innerlich auf Krawall gebürstet. Mich hat jedenfalls nicht der „Herr“ hierhergeführt, sondern euer Udo.

      „Niemand ist hier, den der Herr nicht kennt und liebt“, fährt der Apostel fort.

      Noch habe ich nichts Überwältigendes von ihm gehört, denke ich, aber nach zwei Sätzen, das wäre auch zu viel verlangt.

      „Es ist kein Zufall, dass gerade du hier bist“, behauptet Dan.

      Ja, ja, äfft es in mir, alles Masche.

      „Der Herr wollte, dass genau du heute Morgen hierherkommst. Er kennt jeden deiner Schritte. Du denkst: Bei mir war’s sicher nicht der Herr, jemand hat mich hierhergeschleppt.“

      Scheiße, schießt es mir durch den Kopf. Kann der etwa auch Gedanken lesen? Quatsch, ermahne ich mich und rutsche auf meinem Stuhl hin und her.

      „Der Herr meint dich ganz persönlich“, fährt der Apostel fort, und ich sage mir: Bleib nüchtern, Sara, das ist alles Vertretergelaber, wundere mich aber gleichzeitig, wieso ich nicht einfach mal kommentarlos zuhören kann.

      Hast du etwa etwas zu verbergen?, frage ich mich. Wieso bin ich so wenig souverän, sondern nörgle in einer Tour? Ich nehme mir vor, mich wie eine Erwachsene zu verhalten.

      Bleib fair!, rüge ich mich.

      „Vielleicht glaubst du, Gott zu kennen. Vielleicht bist du der Religion schon lange überdrüssig. Vielleicht bist du auf der Suche nach einem erfüllten, glücklichen Leben …“, höre ich Dan sagen.

      Bingo!, denke ich, über mich selbst überrascht. Habe ich ihm etwa zugestimmt? – Warum auch nicht? Wo er