Der blaue Strand. Erik Eriksson

Читать онлайн.
Название Der blaue Strand
Автор произведения Erik Eriksson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944369112



Скачать книгу

      Josef war zehn Jahre alt; er war gut im Lesen und hatte eine gepflegte Handschrift. Er schrieb Wörter und Sätze auf Zettel, so oft er die Gelegenheit bekam. Bei der Kirche in Väddö war eine Schule gebaut worden, aber für die Kinder in den nördlichen Dörfern des Kirchspiels war es weit dorthin und deshalb kam jeden Herbst für einige Wochen ein Lehrer zu Besuch und machte Unterricht, wo es einen freien Raum gab. Zuletzt hatten sie auf dem Matshof in Byholma gesessen. Josef hatte schon in seinem ersten kurzen Schulhalbjahr Lesen gelernt. Aber dies war eines der längsten Wörter, die er je geschrieben hatte und er war sich nicht sicher, ob er es richtig buchstabierte.

      Dann versuchte er, den Kristallpalast auf eine der leeren Seiten ganz hinten im Buch zu zeichnen.

      Seine Mutter kam an diesem Abend nicht nach Hause. Josef nahm sich etwas Essen, ein Stück Roggenbrot und die Reste einer geräucherten Maräne, die Marta aus der Küche mit nach Hause geschmuggelt hatte. Als er sich schlafen legte, dachte er an den Kristallpalast; er versuchte, ihn sich von innen vorzustellen. Er war alleine dort mit all den seltsamen Dingen. Langsam ging er zwischen funkelnden Juwelen und wogenden Bäumen entlang, auf denen frisches, duftendes Brot wuchs. Er pflückte und aß, was er begehrte; alles war erlaubt. Auf anderen Bäumen wuchsen Süßigkeiten, süße, herrliche Plätzchen und Bonbons.

      Als er sich satt gegessen hatte, wanderte er weiter durch den Palast und war von wunderbarem Licht umgeben. Es blitzte und flackerte wie Hunderte von Strahlen in allen denkbaren Farben.

      Als Josef einschlief, war er immer noch im Kristallpalast. Und als seine Mutter später in der Nacht nach Hause kam und neben ihm ins Bett kroch, erwachte er und freute sich, als er an all das dachte, das er ihr würde erzählen können.

      Am Tag darauf verließ die Odin Grisslehamn. Das Kohlenschiff war unterwegs, das Wetter war gut und das Meer ruhig. Jetzt sollte die Odin Kohle bunkern und dann mit den gefangen genommenen Åländern weiter südwärts fahren. Wo sie abgesetzt werden sollten, war unklar. Das durfte niemand wissen, aber jemand meinte gehört zu haben, dass die Fahrt nach Kopenhagen ging. Sie waren jedoch davon unterrichtet worden, dass ihnen kein Leid geschehen sollte. England wollte der Bevölkerung Finnlands und Ålands nicht schaden; es war die russische Seefahrt, die man lahmlegen wollte. Die Schiffe wurden verbrannt oder beschlagnahmt und die Besatzungen fortgeschickt.

      Jetzt fuhr die Odin mit Höchstgeschwindigkeit nach Süden; sie machte an die zehn Knoten. Der Kapitän wusste, dass er bald zurück auf dem Åländischen Meer sein würde. Er sollte mit der Odin an Angriffen auf Küstenorte auf Åland und dem finnischen Festland teilnehmen. Aber noch immer fehlten der englischen Flotte Lotsen, die mit den Fahrwassern gut vertraut waren.

      Im Vertrauen

      Kristina stand auf der hohen Klippe bei Skatudden. Es war nicht ihre Gewohnheit, dorthin zu gehen; dies war der Ort, an den man ging, um Ausschau nach etwas zu halten. Zu allen Zeiten hatten besorgte Frauen dort gestanden und auf ihre Männer gewartet, die auf See waren. Noch immer wurde die Post von Grisslehamn aus in kleinen Booten über das Meer transportiert; jedes Jahr ertranken Bootsleute. Es gingen immer noch Frauen nach Skatudden.

      Das Wetter war eine Zeit lang ruhig gewesen, aber Kristina war dennoch während der letzten Woche mehrere Male auf Skatudden gewesen, hatte sich einen Vorwand dazu gesucht, sich selbst gesagt, dass sie sehen wollte, wie das Wetter werden würde, denn das sah man ja am besten, wenn man den Himmel und Horizont frei überblicken konnte.

      Sie hatte mehrere Kriegsschiffe dort draußen auf dem Åländischen Meer gesehen. Und sie hatte sie mit der Hecla verglichen, dem Dampfschiff, das sie im Nebel gesehen hatte. Keines der Schiffe weit draußen auf dem Meer war auf dem Weg nach Grisslehamn und keines von ihnen war die Hecla.

      Aber an diesem Vormittag sah sie ein Dampfschiff aus relativ geringer Entfernung. Es war die Odin, die nach Süden steuerte. Kristina blieb eine Weile stehen und sah das Schiff immer kleiner werden. Es zeichnete sich die ganze Zeit über gegen den Wasserspiegel ab und der dicke schwarze Rauch wehte wie ein dunkler Vorhang auf das Meer hinaus.

      Sie ging durch den Wald zurück nach Byholma. Immer noch fragte sie sich, warum der junge Engländer den Åländer hatte entkommen lassen. Hatte er es um ihretwillen getan? Glaubte er, dass sie und der Flüchtende zusammengehörten?

      Der Soldat und sie hatten einander einige Sekunden lang angesehen und in diesem Moment hatte er sich entschieden. Dessen war sie sich sicher. Nein, nicht ganz sicher, aber es fühlte sich so an. Als verstünden sie einander gerade in diesem Augenblick.

      Sie konnte nicht aufhören, an ihn zu denken. Zuerst hatte sie ziemlich viel nachgedacht, aber dann hatte sie es von sich geschoben und sich gesagt, dass es ein ungewöhnliches Ereignis gewesen war und nicht mehr.

      Einige Tage lang war sie mit anderem beschäftigt gewesen, hatte viel Arbeit in der Räucherei gehabt und war zwischen Nygården, Marviken und dem Wirtshaus hin und her geeilt. Aber die Gedanken an den Engländer kehrten wieder und jetzt war er näher. Sie sah ihn, sein Gesicht, den freundlichen Blick.

      Zu dieser Zeit begann sie, nach Skatudden zu gehen und auf das Meer hinauszublicken.

      Sie brauchte niemandem etwas zu erklären. Alle, die am Meer lebten, standen manchmal dort und hielten Ausschau. Wenn jemand eine Wand anstarrte, war das seltsam, oder wenn jemand still dastand und einfach geradeaus über einen Acker, zum Wald hin oder in den Himmel schaute. So etwas machte nur jemand, der nichts im Kopf hatte oder seltsam war.

      Aber wer auf das Meer hinausblickte, tat das mit vollem Recht und wenn jemand fragte, brauchte man nicht zu antworten. Also ging Kristina nach Skatudden. Aber sie fand nicht, was sie suchte.

      Markus war an diesem Tag nicht zu Hause in Nygården. Er war in letzter Zeit viel weg gewesen und wenn er zu Hause war, hatte er meist geschwiegen. Seine Mutter und seine Tochter begriffen, dass er über etwas nachgrübelte.

      Die Frauen saßen zusammen in der Küche, wenn sie keine Arbeit hatten, die ihre Zeit in Anspruch nahm. Als Kristina von Skatudden zurückkam, hatte ihre Großmutter gerade Kaffee gekocht; für eine Tasse würden sie wohl Zeit haben.

      »Das englische Dampfschiff ist weggefahren«, sagte Kristina.

      »Sie fahren immer weg«, antwortete Johanna.

      »Und manche kommen zurück.«

      »Ja, aber nicht immer der, auf den man wartet.«

      »Redest du jetzt von jemand bestimmtem?«

      »Vielleicht tu ich das.«

      »Gibt es etwas, das du mir erzählen willst?«

      Johanna schaute zum Fenster hinaus. Sie saß eine Weile still da und schien in Gedanken versunken zu sein. Kristina begriff, dass ihre Großmutter sich einer Begebenheit näherte, die vor langer Zeit geschehen war.

      »Es gab einen Mann, der mir viel bedeutete«, sagte sie.

      Kristina wartete. Jetzt sah Johanna sie an. Es lag etwas Abwesendes im Blick ihrer Großmutter, so als suche sie immer noch in alten Erinnerungen. Aber dann atmete sie ein, es klang wie ein tiefer Seufzer. Sie lächelte Kristina an und jetzt war sie wieder vollständig anwesend.

      »Ja, es gab einen Mann, den ich sehr liebte«, fuhr sie fort.

      »War das, als du jung warst?«

      »Das war während des russischen Krieges. Er war Feldwebel und hier stationiert, als der alte Telegraf gebaut wurde.«

      »Meinst du den da oben auf dem Aussichtsberg?«

      »Ja, da oben lag er, mit Tafeln, die sich bewegten und Wörter und ganze Sätze bildeten.«

      Kristina nickte. Sie hatte von dem optischen Telegrafen gehört, der schon seit langem nicht mehr benutzt wurde und inzwischen völlig verfallen war.

      »Er hieß Kristoffer«, sagte Johanna.

      »War das, bevor du Großvater getroffen hast?«

      »Das Leben ist nicht immer so einfach zu verstehen, liebes Kind. Ich will dir gerne davon erzählen, das wollte ich schon lange tun. Aber ich habe darauf