Der blaue Strand. Erik Eriksson

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Название Der blaue Strand
Автор произведения Erik Eriksson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944369112



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ein Stück Käse hin.

      Und was wollte er zu trinken haben?

      Er holte selbst Wasser im Eimer und goss sich außerdem ein erstes Glas Branntwein ein. Dann erzählte er vom Adler und seinem Angebot. Sie antworteten nicht; er aß das Essen auf.

      »Der Krieg«, sagte Johanna nach einer Weile. »Du musst in den Krieg, wenn du diese Anstellung annimmst.«

      »Das weiß ich wohl«, antwortete Markus.

      »Aber weißt du eigentlich, was Krieg bedeutet?«

      »Ich weiß nur, dass die Russen sich immer mehr ausbreiten; sie sind bald die Herren über die ganze Ostsee und noch weiter. Jemand muss sie aufhalten, und das macht jetzt England. Frankreich ist auch dabei, und Schweden sollte mithelfen.«

      »Das ist gut und schön, aber du weißt nicht, was Krieg bedeutet. Er bedeutet verlassene Kleinkinder, einsame Frauen und verbrannte Höfe, Armut und Trauer. Krieg hat nichts mit Helden zu tun, nichts mit Ruhm und Ehre. Wenn die Männer aus dem Krieg nach Hause kommen, sind sie zerrüttet – diejenigen, die überleben.«

      Markus antwortete nicht. Er wusste ja, dass seine Mutter, die achtundsechzig Jahre alt war, den Krieg aus der Nähe gesehen hatte, den russischen Krieg, der in ihrer Jugend gewütet hatte. Sie sprach selten davon, aber wenn sie es einmal tat, war sie immer aufgewühlt und verzweifelt.

      »Die Zeiten ändern sich«, sagte er.

      »Ja, aber der Krieg bleibt immer derselbe«, antwortete Johanna.

      Kristina hatte still dagesessen. Sie wusste, was ihre Großmutter vom Krieg hielt. Und sie vermutete, dass Johanna während des Kriegs etwas erlebt hatte, das ihr Leben grundlegend verändert hatte, obwohl sie nicht darüber sprach.

      »Ich finde, dass Großmutter Recht hat«, sagte sie. »Der Krieg ist etwas, das die Obrigkeit uns aufzwingt, und ich glaube nicht, dass er etwas Gutes mit sich bringt.«

      »Wer Tyrannen ausweicht, geht leicht unter«, antwortete Markus. »Jetzt, wo wir wieder von den Russen bedroht werden, müssen wir mit Kraft dagegenhalten. Schweden darf nicht das nächste russische Großfürstentum werden.«

      »Das hast du von jemand anderem gehört«, sagte Johanna. »Ich glaube nicht, dass das deine eigenen Gedanken sind.«

      Markus antwortete nicht. Warum sollte er auch, wenn seine Mutter seine Ansichten gering schätzte und Kristina ebenso. Er nahm die Branntweinflasche mit in seine Kammer, und obwohl er sie fast leer trank, war ihm sehr unbehaglich zu Mute. Die Frauen blieben in der Küche sitzen. Er hörte ihre murmelnden Stimmen durch die Tür und war sich sicher, dass sie über ihn sprachen.

      Kurzer Besuch

      Kristina wurde früh wach; es war schon hell, ein stiller Morgen Mitte Mai. Als sie aus der Herdasche Glut hervorgestochert und mit einigen Stücken Birkenrinde Feuer angeblasen hatte, ging sie nach draußen und wusch sich an der Wassertonne den Schlaf aus den Augen, streckte sich und sah die Katze vom Stall kommen. Bald würde sie melken, das wusste die Katze genau.

      An der Hausecke war alles zugewuchert, vieles auf dem Hof war vernachlässigt worden, Dach und Zaun mussten repariert werden. Es war Markus’ Sache, sich darum zu kümmern, aber er war oft auf See und fischte oder nahm vorübergehend Arbeit auf Frachtseglern an. Als die Post Matrosen einstellte, war er ein halbes Jahr mit dem Postschiff gesegelt. Er war mehrere Tage in der Woche von zu Hause fort gewesen und hatte seiner alten Mutter und jungen Tochter viel von der Verantwortung für den Hof aufgeladen. Sie hatten zwar Hilfe von Per Stensson, einem Knecht von Singö, den Markus dann und wann für Tagewerke gedungen hatte, aber es fehlte doch ein Mann.

      Jetzt war Markus zu Hause, aber es war, als sehne er sich die ganze Zeit fort. Und so war es offensichtlich schon seit seiner frühen Jugend gewesen. Seine Mutter Johanna wusste es ja. Markus hatte oft von Amerika gesprochen. Sein Freund aus Kindertagen, Gustaf Unonius, der Sohn des alten Postmeisters, war nach Amerika gefahren und hatte von dort Berichte für das Aftonbladet geschrieben. Es waren auch Briefe von Gustaf gekommen, und es kam immer wieder vor, dass Markus die Briefe hervorholte und in ihnen las.

      Es war Johanna gewesen, die Kristina mit Hilfe alter Zeitungen das Lesen gelehrt hatte. Es gab einen kleinen Stapel Tageszeitungen in Nygården, zerlesene Ausgaben von Stockholms Posten und Dagligt Allehanda, die Großmutter Johanna in ihrer Jugend angeschafft hatte, und neuere Exemplare von Aftonbladet und Folkets Röst, die Markus und Kristina für eigenes Geld bei reisenden Händlern gekauft hatten. Zeitungen waren immer ein Quell des Wissens für die Leute in Nygården gewesen.

      Die Amerikabriefe wurden wohl gehütet. Die Zeitungen hingegen lagen auf einem Haufen, zwar ordentlich gefaltet und sorgfältig geordnet, aber sie lagen herum. Die Briefe waren in Markus’ privater Schublade im Sekretär eingeschlossen. Die Frauen wussten, wo der Schlüssel lag, aber sie wären nie auf den Gedanken gekommen, sie zu öffnen.

      Aus einigen der Briefe hatte Markus in der Küche so oft vorgelesen, dass Kristina Teile davon auswendig konnte. Es waren schwindelerregende Abenteuer von Indianern und merkwürdigen Dingen, und vieles in Amerika war unermesslich groß, wie die Prärie, die ungeheure Grasebene:

      »Sie ist bar jeglichen Anzeichens von Wald«, schrieb Gustaf Unonius. »Nicht einmal der allerkleinste Busch ist zu sehen. Das Ganze ist ein unermesslicher, unüberschaubarer Gras- und Blumenteppich, der in allen Farben schillert. Wie ein unendliches Meer liegt sie vor dem Betrachter.«

      Kristina wusste, wie das Meer aussah und versuchte, sich ein Blumenmeer bis an den Horizont vorzustellen, aber das war schwer. Von allen merkwürdigen Beschreibungen in den Briefen aus Amerika war die Prärie am schwindelerregendsten.

      Konnte Johanna sich dieses Blumenmeer vorstellen?

      »Man muss sich wohl eine schwedische Blumenwiese zur Mittsommerzeit vorstellen und dann in der Fantasie die Wiese tausendmal größer machen«, sagte sie.

      »Oder vielleicht wie das Åländische Meer«, meinte Kristina, »wenn man auf Skatudden steht und an einem windstillen Tag hinausschaut, nur mit Gras und Blumen anstelle des Wassers.«

      Aber es war nicht leicht, so zu denken. Amerika war nicht wie Schweden, das war einmal sicher. Markus hörte zu, sagte aber nichts. Er hatte seine eigenen Gedanken und behielt sie für sich.

      An diesem Nachmittag ging Markus nach Grisslehamn. Er brauchte zwanzig Minuten. Einmal blieb er stehen und lauschte; er meinte, einen Kuckuck zu hören, den ersten des Jahres. Der Laut kam von Süden und bewegte sich nach Westen; vielleicht war der Vogel zwischen einigen Wäldchen hinunter auf Orneviken zugeflogen.

      Kuckuck aus Süden oder Westen bringt den Tod oder alles zum Besten, dachte Markus. Das nächste Mal ist das entscheidende; fliegt er zurück nach Süden, sieht es übel aus, bleibt er im Westen, wird es ein gutes Jahr für mich.

      Er lauschte und ging weiter, aber der Vogel war still.

      Genau dazwischen, dachte Markus. Weder Tod noch Glück, also zu Hause bleiben und die Dinge auf sich beruhen lassen.

      Er ging am Hafen vorbei, sah einige Soldaten, die vor der Kaserne standen und rauchten, und passierte das Posthaus. Als er sich dem Wirtshaus näherte, zögerte er. Es gab einen Pfad um den Stall und die Nebengebäude herum, hinunter zum Ufer und von dort hinauf durch das Gestrüpp zur Rückseite des Wirtshauses. Er konnte sich dort herumschleichen und ungesehen ankommen.

      Er wählte den Umweg, blieb einige Male stehen und ging weiter, als er niemanden sah. Dann blieb er direkt vor der Küchenseite stehen, wo er von einem Wacholderwäldchen verdeckt wurde. Aber niemand war dort. Er wartete. Marta hielt sich gewöhnlich an der Arbeitsbank vor der Küche auf; das war ihr Arbeitsplatz, wo sie spülte und Töpfe schrubbte, Kartoffeln schälte und Holz hackte. Sie erledigte viel von der schweren und schmutzigen Arbeit.

      Markus blieb stehen und wartete, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten, dann sah er jemanden. Ja, sie war es.

      Marta brachte einen Stapel Teller heraus, stellte sie auf die Bank, ging wieder hinein und kam mit einem weiteren Stapel zurück. Da trat Markus vor. Sie sah ihn im selben