Der blaue Strand. Erik Eriksson

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Название Der blaue Strand
Автор произведения Erik Eriksson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944369112



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als habe er Angst zu stören. Marta sah es und winkte ihm, bis zu ihnen zu kommen.

      »Das hier ist mein Sohn Josef«, sagte sie zu Kristina.

      »Ich glaube, ich habe dich ganz flüchtig im Hafen gesehen«, sagte Kristina und streckte die Hand aus.

      Josef machte eine Verbeugung, unnötig tief, fand Kristina. Sie lachte auf und hielt seine Hand fest, während sie gleichzeitig mit der anderen Hand seinem Unterarm einen kleinen Klaps gab.

      »Du gehst zur Schule, nehme ich an?«, fragte sie.

      »Ja, so ist es«, antwortete Josef. »Und ich mag Bücher.«

      »Was für Bücher liest du denn?«

      »Jetzt gerade ein Buch über Amerika.«

      »Er hat es von Onkel Markus bekommen«, sagte Marta.

      »Meinem Vater?«, fragte Kristina.

      »Ja, Markus aus Nygården.«

      »Wie seid ihr beiden mit meinem Vater bekannt?«

      Marta antwortete nicht sofort. Sie holte tief Luft, und Kristina bekam den Eindruck, dass sie nachdenken musste, was die richtige Antwort sei.

      »Ja, wir kennen uns so … oder wir kennen uns schon ziemlich lange«, sagte Marta mit einem Zögern in der Stimme.

      »Ach ja?«, sagte Kristina.

      »Ja, es sind ja viele, die hierherkommen und wir haben uns ganz einfach kennen gelernt.«

      »Ich mag Onkel Markus«, sagte Josef.

      »Das ist schön zu hören«, sagte Kristina.

      »Er gibt uns manchmal Geld.«

      Kristina antwortete nicht. Sie ahnte, dass ihr Vater ein Leben hatte, über das sie nichts wusste und gerade jetzt wollte sie nicht mehr darüber hören.

      »Das Wirtshaus verbraucht viel Fisch«, sagte sie.

      »Dann werden wir uns wohl wieder treffen«, sagte Marta.

      »Ich möchte Onkel Markus gerne treffen«, sagte Josef.

      Kristina stand auf und sagte auf Wiedersehen, gab zuerst Josef und dann Marta die Hand.

      »Innerhalb einer Woche bin ich zurück«, sagte sie, als sie ging.

      Sie ging in Gedanken, verlangsamte den Schritt. Sie erinnerte sich, dass sie die Leute gemeine Dinge über Marta und Josef hatte sagen hören; jemand hatte den Jungen Hurenkind genannt. Damals hatte Kristina keinen Grund gehabt, mehr wissen zu wollen. Aber jetzt tat sie es.

      Sie hatte gehofft, alleine zurückgehen zu können, aber als sie um die Ecke des Wirtshauses bog, kamen eine elegante Dame und ein Mann in schwedischer Offiziersuniform zur Tür hinaus. Der Uniformierte war Oberleutnant und gehörte dem Wachtrupp von Grisslehamn an. Die Dame war seine Frau, die zu Besuch war. Kristina hatte die Kaserne mit Fisch beliefert und der Oberleutnant erkannte sie.

      Er salutierte, Kristina machte einen Knicks und die Dame streckte die Hand aus. Sie gingen zusammen auf den Hafen zu. Der Oberleutnant sagte, er habe in der Zeitung gelesen, dass eines der englischen Kriegsschiffe Stockholm besucht habe.

      »Sie sind wie Helden von den Einwohnern der Stadt empfangen worden«, berichtete er. »Der Kapitän ist ein berühmter Mann. Er heißt Hall und hat russische Bomben vorgezeigt, die er vom Kampfplatz mitgenommen hat.«

      »Wie heißt das Schiff?«, wollte Kristina wissen.

      »Es heißt Hecla«, antwortete der Oberleutnant. »Und jetzt ist es wieder auf dem Weg hierher, um in den Kampf zurückzukehren.«

      »Wird die Hecla nach Grisslehamn kommen?«

      »Ja, so hieß es. Uns ist telegrafisch mitgeteilt worden, dass sie wieder einmal einen Lotsen suchen und vielleicht kann man hier einen finden.«

      Bald waren sie unten am Hafen. Der Oberleutnant und seine Frau gingen zur Kaserne, und Kristina setzte ihren Weg nach Byholma fort.

      In der Nacht lag der Nebel dicht über dem Meer und den Stränden, lichtete sich aber, als die Sonne aufging. Gegen sieben Uhr ging Kristina von zu Hause weg und da war der Himmel ganz klar. Sie hatte Arbeit in der Räucherei in Marviken zu erledigen. Der Fisch war bereits ausgenommen. Sie legte mehrere Reihen Maränen und Lachse auf die Gitter im Räucherhaus, wartete, bis der Fisch trocken war und füllte Wacholderreisig auf der Erlenholzglut nach. Jetzt hatte sie mehrere Stunden für sich, bevor es Zeit war, zurückzukehren.

      Sie ging hinaus nach Skatudden und schaute nach Süden. Weit weg, da wo Simpnäs und Arholma wie ein dünner Streifen Land ins Meer hineinragten, war schwarzer Rauch gegen das Wasser und den blassblauen Himmel zu sehen. Es war ein Dampfschiff, das da unten kam, und es war wohl auf dem Weg nach Norden auf Grisslehamn zu.

      Kristina hoffte, dass es die Hecla war. Der junge Engländer müsste mit an Bord sein. Aber sie wusste es ja nicht, vielleicht war er ja auch … Sie brach den Gedanken ab. Das durfte nicht sein, die meisten kamen ja mit dem Leben davon, warum sollte also gerade er…

      Als sie einmal angefangen hatte, an den Krieg zu denken, ließ die Unruhe sie nicht los, und als sie durch den Wald zurückging, kämpfte sie, um die dunklen Gedanken fernzuhalten. Sie drückte die Hand auf die Brust und spürte das Medaillon auf der Haut. Das hatte sie in letzter Zeit schon mehrmals getan; es wurde ihr langsam zur Gewohnheit.

      Erinnerst du dich?

      Die Hecla fuhr auf dem Meer vor der Küste von Väddö, umgeben von ihrem eigenen schwarzen Rauch; nur die Masten ragten hervor. Ein paar Segel waren gesetzt, aber es war die Dampfmaschine, die dem Schiff Fahrt gab. An diesem Tag kam der Wind aus Südosten und weil das Schiff und der Wind eine gleichmäßige Geschwindigkeit hielten und sich in die gleiche Richtung bewegten, schaffte es die mäßige Brise nicht, den Kohlenrauch aufzulösen. Sowohl die Mannschaft als auch die Offiziere auf dem Deck und der Kommandobrücke litten unter Husten und Übelkeit und mehrere fluchten über die schlechte Kohle, die sie aus den Gruben in Nordengland bekommen hatten. Alle wussten, dass die Marineleitung Lager mit hochklassiger Kohle aus Wales hatte, die nicht so dicken Rauch ergab, aber davon hatten sie nichts gesehen. Und an Bord der Hecla spekulierten die Matrosen. War das hier die Bestrafung für die erwarteten, aber bisher ausgebliebenen richtig großen Siege?

      Jetzt hatten sie neue Befehle. Sie waren auf dem Weg nach Norden, um den Kampf zu suchen und vielleicht auch Ruhm zu erlangen. Kapitän Hall, der Befehlshaber der Hecla, war für seine Waghalsigkeit bekannt. Seine nächsten Offiziere und Gefreiten waren Fachleute, bereit für England und Königin Victoria zu sterben. Aber die Hälfte der Mannschaft war aus dem einfachen Grunde mit der Hecla auf See gegangen, dass keine andere Arbeit zu haben war. Es waren arbeitslose Schustergesellen, Hafenarbeiter, Bauernjungen, arme Studenten, kleine Markthändler, Metzgergehilfen und Handlanger, alle ohne Erfahrung auf See. Dazu kamen dreizehn Schiffsjungen, von denen der jüngste zwölf und der älteste sechzehn Jahre alt war. Auch sie sollten in den Krieg.

      Es war eine buntgemischte Schar, aber die Disziplin war hart. Die Peitsche war oft zur Hand, und für allerlei Vergehen wurde die Prügelstrafe verhängt. Denn so war es in der Flotte Ihrer Majestät. Aber das wussten alle, wenn sie in London oder Portsmouth anmusterten.

      Robert Blackstone hieß einer der neueren Männer in der Besatzung, der zum ersten Mal auf See war. Er war aus London. Sein Vater war Schreiber im Hafen gewesen und an Tuberkulose gestorben; seine Mutter wusch Kleidung und verkaufte Gemüse. Robert fuhr mit der Flotte hinaus, um zur Versorgung der Familie beizutragen; eine andere Arbeit gab es zurzeit nicht.

      Als die Hecla sich Grisslehamn näherte, stand Robert auf der Backbordseite und schaute zum Land. Er sah Klippen, grünen Wald und links ein großes gelbes Haus, als das Schiff in die Hafenbucht hineinfuhr. Die großen Schaufelräder blieben stehen, der Anker wurde geworfen, das Zischen der Maschine ließ nach und der Rauch aus dem Schornstein trieb langsam landeinwärts.

      Eine Schar von Menschen stand auf einem Klippenvorsprung an der linken Seite der Hafenbucht und winkte. Es waren meist Männer, einige in Uniform; zwei junge