Medienpsychologie. Sabine Trepte

Читать онлайн.
Название Medienpsychologie
Автор произведения Sabine Trepte
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170391567



Скачать книгу

Personen (Trendstudie) in vorher fest definierten zeitlichen Abständen zu einem Thema befragt.

      Im Vergleich zu Einzelbefragungen ermöglichen Panelstudien Aussagen zu intraindividuellen Veränderungen von Personen im Zeitverlauf. Dies ist ein großer Vorteil, da somit Wirkprozesse untersucht werden können, die auf der Basis von Befragungen mit nur einem Messzeitpunkt nicht zweifelsfrei zu belegen sind. Längsschnittliche Panelbefragungen erlauben ebenso wie Experimente eine Annäherung an die kausalen Beziehungen von Variablen. So kann in Längsschnittbefragungen die Abfolge von unabhängigen und abhängigen Variablen erfasst und der Einfluss der unabhängigen auf die abhängigen Variablen nachvollzogen werden. Variablen können darüber hinaus im Zeitverlauf untersucht werden, beispielsweise, wenn man die Medienaneignung im Zeitverlauf des Grundschulalters oder die Entwicklung von Medienkompetenz älterer Menschen im Rahmen einer Schulung beurteilen möchte.

      Beispiel

      Längsschnittbefragung zur sozialen Unterstützung unter Freunden In einer repräsentativen Studie untersuchten Trepte, Masur und Scharkow (2017) die Auswirkung von Selbstoffenbarung auf die erfahrene soziale Unterstützung (siehe auch image Kap. 6.5). Dazu wurden 583 Personen im Abstand von einem halben Jahr dreimal befragt. Sowohl die Bereitschaft, sich in Freundschaften zu offenbaren, als auch die soziale Unterstützung durch befreundete Personen wurden für Face-to-Face-Kommunikation und Instant-Messaging-Kommunikation (IM) abgefragt. Für die IM-Kommunikation zeigte sich: Personen, die bereit waren, sich über IM zu offenbaren, erhielten sechs Monate später mehr soziale Unterstützung über IM und waren ein halbes Jahr später eher bereit, sich über IM noch mehr zu offenbaren. Dieser Effekt zeigte sich jedoch nicht für Face-to-Face-Kommunikation. Vielleicht liegt dies an den Unterschieden zwischen Online- und Offline-Kommunikation: Bei der IM-Kommunikation erhalten die Empfänger:innen nur die verschickte Nachricht und keine weiteren Hinweise zur Interpretation des Inhalts. Anders ist das bei der Face-to-Face-Kommunikation, denn hier erhalten sie zusätzlich zum Gesagten Hinweise durch Gestik, Mimik oder den Kontext. Bei der Online-Kommunikation spielt Selbstoffenbarung daher möglicherweise eine wichtigere Rolle als bei der Offline-Freundschaft. Besonders spannend ist, wie nun die Kommunikation über IM und Face-to-Face interagierten. Es zeigte sich ein Transfereffekt von der Online- auf die Offline-Kommunikation: Menschen, die sich über IM selbst stärker offenbarten, gewannen wie oben beschrieben mehr soziale Unterstützung. Dieser Zugewinn an sozialer Unterstützung über IM führte dann dazu, dass sie sich ein halbes Jahr später auch Face-to-Face mehr offenbarten. Wir sehen also hier sehr deutlich, dass Online- und Offline-Kommunikation ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflussen.

      Verschiedene Fehlerquellen können die Ergebnisse von Befragungen verfälschen, wobei das Befragungsinstrument, der Interviewer oder die Interviewerin und der bzw. die Befragte selbst mögliche Störeinflüsse darstellen können. In der Forschungspraxis wird eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um Störeinflüsse zu minimieren, z. B. sorgsames Formulieren und Testen der Fragen, intensive Schulungen der Interviewer:innen und Zusicherung der Anonymität zur Verringerung von sozial erwünschtem Antwortverhalten.

      Befragungen sind oft der erste und der letzte Schritt in umfangreichen Forschungsprogrammen. Sie ermöglichen im ersten Schritt einen kostengünstigen Zugang zum Forschungsfeld, bieten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und erlauben darüber hinaus die Rekrutierung von schwer zu erreichenden Stichproben. Im letzten Schritt einer Forschungsprogrammatik geht es oft darum, bisher gewonnene Erkenntnisse mit repräsentativen Stichproben zu testen und im weiteren Verlauf zu replizieren. Wenn wir Befragungen durchführen, gehen wir mehr oder weniger explizit davon aus, dass unsere Befragten auskunftsfähig und auskunftsfreudig sind. Wir nehmen an, dass Menschen, die wir befragen, ihre Gefühle, Gedanken und zurückliegenden Verhaltensweisen kennen und sie auch zum Ausdruck bringen können. Diese Annahme ist nicht immer berechtigt. Es gibt verborgene Gefühle und kognitive Zustände, die Menschen weniger gut zugänglich sind. In diesem Fall kommen psychophysiologische Methoden zum Einsatz.

      2.4 Psychophysiologische Methoden

      Nach dem Ansehen einer Dokumentation sind Menschen nicht unbedingt in der Lage oder fähig, in Worte zu fassen, ob die Rezeption sie ängstigt und in welchem Ausmaß Sorgen oder Angst auftreten. Während der Rezeption eines spannenden Films ist ihnen vielleicht gar nicht bewusst, dass sie emotional erregt sind, lächeln oder intensiv nachdenken. Und beim Computerspielen sind die meisten Menschen zu sehr in das Spiel vertieft, um währenddessen oder danach darüber zu berichten, welchen Spielzügen sie mehr oder weniger Aufmerksamkeit schenkten. Psychophysiologische Methoden sind unabhängig von Sprache oder Erinnerungsvermögen, und sie messen zeitlich präzise. Sie werden eingesetzt, um die Nachteile subjektiv verbaler Datenerhebungen zu umgehen und diese zu ergänzen (Fahr & Hofer, 2013; Hofer & Fahr, 2016; Potter & Bolls, 2012; Vitouch, 1980).

      Definition

      Psychophysiologie beruht auf (1) der Erforschung psychologischer (sozialer, emotionaler, kognitiver und verhaltensbezogener) Phänomene und (2) den damit in Zusammenhang stehenden physiologischen Prozessen. Die psychophysiologische Forschung widmet sich individuellen Funktionen und Prozessen, setzt sich mit verschiedenen theoretischen Perspektiven auseinander und entwickelt entsprechende Methoden (Cacioppo et al., 2019).

      Viele Maße der psychophysiologischen Forschung beziehen sich auf das Ausmaß körperlicher Erregung. Zum Beispiel gibt die elektrodermale Aktivität Auskunft darüber, ob wir uns erregungsbezogen eher in einem »Normalzustand« befinden oder körperlich eher angeregt sind. Verschiedene Begriffe werden in den entsprechenden Fachartikeln und Studien verwendet: Mit Aktivierung oder Arousal wird der Prozess der Anregung beschrieben. Das Arousal dient beispielsweise der Fokussierung der Aufmerksamkeit zur Auslösung von Orientierungsreaktionen sowie der unmittelbaren Verhaltenskontrolle. Als Aktiviertheit oder Aktivation bezeichnet man einen angeregten Zustand bzw. eine messbare Veränderung des Arousals. Als Affekt bezeichnet man eine kurzzeitige emotionale Reaktion. Diese Konstrukte werden in der Regel in Kombination und zusammen mit anderen Maßen erhoben (vgl. folgender Merksatz).

      Merke

      Psychophysiologische Daten stehen nie für sich allein. Um die Daten sinnvoll interpretieren zu können, werden erstens mehrere psychophysiologische Maße erhoben (z. B. Hautleitwert und Herzrate), die sich im Sinne des Untersuchungsziels sinnvoll ergänzen. Zweitens werden neben psychophysiologischen auch subjektiv verbale Daten erhoben.

      Welche psychophysiologischen Verfahren werden wann eingesetzt? Wir geben in Tabelle 2.1 einen Überblick über die wichtigsten psychophysiologischen Verfahren und ihre Einsatzgebiete (image Tab. 2.1; siehe zu Apparaturen: Cacioppo et al., 2019; für einen Überblick: Fahr & Hofer, 2013; Hofer & Fahr, 2016; Potter & Bolls, 2012; sowie zum Eye-Tracking: Blake, 2013).

      Die Theorie- und Methodenentwicklung der Psychophysiologie ist komplex, aber es lassen sich einige Daumenregeln für den Einsatz psychophysiologischer Methoden formulieren:

      Emotionale Prozesse werden vor allem mit der Messung elektrodermaler Aktivität und kardiovaskulärer Aktivität erfasst. Die erforderlichen Apparaturen sind einfacher und preiswerter in der Anschaffung und Anwendung als die meisten anderen psychophysiologischen Apparaturen. In vielen medienpsychologischen Studien mit psychophysiologischem Bezug werden deshalb diese beiden Verfahren verwendet. Sie werden jedoch kritisch diskutiert, weil sie nicht die verfügbare Bandbreite psychophysiologischer Reaktionen abbilden.

      Kognitive Prozesse werden durch Beobachtung der Gehirnaktivität und -konnektivität gemessen. Mit der Elektroenzephalografie (EEG) erfasst man elektrische Potenziale im Gehirn und mit der funktionalen