Medienpsychologie. Sabine Trepte

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Название Medienpsychologie
Автор произведения Sabine Trepte
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170391567



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die interviewten Personen selbst. Sie orientieren sich am Ablauf ihrer eigenen Geschichte. Frageformen des problemzentrierten und des narrativen Interviews können kombiniert werden.

      Eine spezielle Variante der qualitativen Befragung, die auch in der Medienpsychologie Anwendung findet, ist die sogenannte Think-aloud-Technik. Die Think-aloud-Technik wird beispielsweise zur Analyse von Problemlöseprozessen eingesetzt.

      Definition

      Bei der Think-aloud- Technik werden Befragte aufgefordert, ihre Gedanken laufend zu verbalisieren, um kognitive Prozesse, z. B. während der Rezeption einer Fernsehsendung oder während der Internetnutzung, nachvollziehbar zu machen (Bilandzic, 2017).

      Die systematische und regelgeleitete Planung, Durchführung und Auswertung der qualitativen Interviews sind essenziell. Darüber hinaus gibt es verschiedene methodologische Ansätze zur Durchführung qualitativer Forschung.

      Bei der Planung einer qualitativen Interviewstudie müssen persönliche, theoretische und empirische Vorannahmen expliziert werden. Das qualitative Forschungsparadigma geht davon aus, dass Erfahrungen der Befragten durch die Forscher:innen rekonstruiert werden. Voraussetzung hierzu ist, dass die persönlichen Erfahrungen, theoriegeleiteten Vorannahmen und empirischen Eindrücke der Forscher:innen ebenfalls vorab explizit gemacht werden, um sie klar von den Erfahrungen der Befragten abgrenzen bzw. zu diesen in Beziehung setzen zu können. Neben der Sensibilität für diese vorhergehenden Erfahrungen muss die Interviewstudie so geplant und die Fragen so formuliert sein, dass sie maximal offen für überraschende und neue Perspektiven auf die Forschungsfrage sind. Diese Offenheit ist der Kern qualitativer Forschung und ermöglicht ein tiefergehendes Verstehen.

      Die Durchführung der qualitativen Interviewstudie erfordert ein systematisches und regelgeleitetes Vorgehen. Die Forschenden entscheiden, wie die Kontaktaufnahme organisiert ist, ob sie persönlich oder telefonisch befragen, welche Interviewsituation sie wählen (z. B. Forschungslabor, Konferenzraum, öffentlicher Ort, private Räume der Interviewten) und wie das Interview aufgezeichnet wird (z. B. Tonaufnahme vs. ex-post-Transkript). Situative Aspekte wie die soziale Interviewsituation beeinflussen die Offenheit, das Vertrauen, die Tiefe der Antworten und nehmen damit indirekt Einfluss auf die Forschungsergebnisse.

      Es gibt viele verschiedene Verfahren der Auswertung qualitativer Verfahren, die mit unterschiedlichen theoretischen Grundannahmen einhergehen: qualitative Inhaltsanalyse, Konversationsanalyse, dokumentarische Methode oder interpretative Ethnografie (vgl. im Überblick Mikos & Wegener, 2017). Die gängigste Vorgehensweise in der Medienpsychologie ist die qualitative Inhaltsanalyse (Gläser & Laudel, 2020; Mayring, 2016). Ziele der qualitativen Inhaltsanalyse sind die Zusammenfassung des Materials, die Strukturierung und schließlich Erklärung. Wichtig ist auch immer die Analyse der Antworten, die nicht gegeben wurden, also herauszufinden, welche Erwartungen der Forschenden nicht erfüllt wurden. Die inhaltsanalytische Auswertung erfolgt in der Regel computergestützt mittels Software wie beispielsweise ATLAS.ti oder MAXQDA. Die Regeln und der Prozess der Auswertung werden für die Studie eigens entwickelt (vgl. Beispiele für verschiedene Vorgehensweisen in Mayring, 2016). Verbindendes Element der vielen verschiedenen qualitativen Auswertungsmethoden ist, dass Wörter, Sätze oder Äußerungen im Textmaterial identifiziert und markiert werden, die zueinander und zur übergeordneten Dimension passen oder neue Aspekte ansprechen. Die Dimensionen werden entweder im Verlauf der Textanalyse identifiziert (induktive Kategorienbildung) oder zuvor anhand der Theorie festgelegt (deduktive Kategorienbildung). Diese miteinander in Beziehung stehenden Äußerungen werden dann geordnet, um vorab festgelegte Dimensionen besser zu verstehen und neue theoretische Dimensionen und Ansatzpunkte zu formulieren. Diese Dimensionen werden in einen theoretischen Bezug gesetzt, um Ursache-Wirkungsbeziehungen, Typen, Rezeptionsmodalitäten oder Zusammenhänge zu erkennen. Aus diesen Beziehungen wird das Material insgesamt interpretiert und anschließend theoretisch begründet bzw. die Theorie neu formuliert. Dieses systematische Vorgehen ist ein iterativer, selbstlernender Prozess: Wenn die Interviewtranskripte einmal durchgearbeitet und die Dimensionen theoretisch formuliert wurden, dann geht man das Material erneut durch, um die Zuordnung der Äußerungen zu prüfen und die Definition der Dimensionen zu überdenken und ggf. anzupassen.

      Qualitative Methoden haben den Vorteil der Offenheit und sind deshalb besonders für innovative, unerforschte Fragen und neue Medienangebote geeignet. Darüber hinaus folgen sie dem Prinzip des Verstehens, sie eignen sich also für die intensive Ausleuchtung einer Forschungsfrage.

      2.6 Inhaltsanalyse

      Wie stereotyp werden in Fantasy-Bestsellern (z. B. »Die Tribute von Panem« von S. Collins oder »Harry Potter« von J. K. Rowling) Frauen und Männer dargestellt? In dieser beispielhaften Forschungsfrage geht es um die Analyse von Buchinhalten. Die übergeordnete Problemstellung ist, dass Kinder und Jugendliche diese Romane gern lesen, dass die Bände eine hohe Reichweite in dieser Zielgruppe haben, und dass diese Bücher möglicherweise Einfluss auf geschlechtsstereotypes Denken und Verhalten haben. Um eine fundierte Aussage über die Inhalte selbst treffen zu können, kann im ersten Schritt eine Inhaltsanalyse durchgeführt werden. Im zweiten Schritt könnte dann beispielsweise experimentell die Wirkung der Lektüre ausgewählter Kapitel auf die Kinder und Jugendlichen untersucht werden.

      Definition

      Die Inhaltsanalyse ist ein empirisches Verfahren, dessen Ziel (1) eine systematische Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von medienvermittelten Botschaften und (2) die darauf basierende Ableitung von interpretativen Schlussfolgerungen ist (Früh, 2017; Rössler, 2017).

      Bei der Inhaltsanalyse geht es zum einen darum, rein deskriptiv zu beschreiben, welche manifesten Inhalte und welche Form ein Medieninhalt hat. Ein manifester, direkt beobachtbarer Inhalt ist in unserem Beispiel möglicherweise die Häufigkeit des Auftretens von männlichen und weiblichen Charakteren und ob sie eher Haupt- oder Nebenrollen einnehmen. Zum anderen werden mit der Inhaltsanalyse auch latente Inhalte messbar. Ein latenter Inhalt ist beispielsweise, ob eher weibliche oder eher männliche Akteure in den untersuchten Geschichten die Gesprächsführung übernehmen.

      Das Vorgehen der Inhaltsanalyse folgt einem wissenschaftstheoretisch durchdachten Prozess und erfolgt nach vorab festgelegten Qualitäts- und Gütekriterien. Damit wird die Inhaltsanalyse ebenso wie die anderen standardisierten Verfahren intersubjektiv (also für andere Forschende) nachvollziehbar.

      Die Entscheidung für die Auswahleinheit, also das interessierende Material, erfolgt systematisch. Dazu wird das relevante Medienangebot (z. B. Fantasy Bücher), der räumliche Geltungsbereich (z. B. in deutscher Übersetzung erschienen) und der Zeitraum (z. B. 2015–dato) bestimmt (Rössler & Geise, 2013). Für die Codierer:innen werden diese Kriterien als sog. Aufgreifkriterien formuliert, durch die sichergestellt werden soll, dass die passenden Bücher in die Stichprobe gelangen. Danach werden alle Analyseeinheiten dieser Stichprobe (z. B. Kapitel, Dialoge, einzelne Aussagen) definiert und für die Analyse herausgegriffen. Wichtigstes Handwerkszeug der Inhaltsanalyse ist das Codebuch. Es enthält genaue Anweisungen, welche Analyseeinheiten ausgewählt werden und welche numerischen Codes bestimmten Ausprägungen zugewiesen werden (Codiereinheiten). In unserem Beispiel kann beispielsweise ermittelt werden, ob und wie viele Darstellungen von weiblicher oder männlicher Dominanz in einem Kapitel auftreten, von welchen Akteur:innen dominante Verhaltensweisen wie Aggression oder Anweisungen ausgehen, gegen bzw. an wen sie sich richten und welche Konsequenzen diese Verhaltensweisen haben (z. B. Belohnung, Bestrafung). Die Inhaltsanalyse macht durch Codierung die Merkmale der Medienbotschaft quantifizierbar.

      Neue Perspektiven für die Medienpsychologie eröffnen automatisierte Inhaltsanalysen (Keyling, 2014; Scharkow, 2013). Sie sind der Computational Social Science zuzuordnen. Dieser Forschungsansatz basiert auf digitalen Daten, die »computational«, also mithilfe von Computern abrufbar sind (z. B. Log-Daten). Gleichzeitig werden die Daten auch »computational«, also automatisiert oder teilautomatisiert mithilfe von Algorithmen ausgewertet (vgl. im Überblick Stützer, Welker & Egger, 2018).

      Definition

      Die